Salzburger Nachrichten

Der Krieg landet im Kinderzimm­er

Sechs Jahre lang dauert der Syrien-Krieg nun an. Und die Welt ist live dabei. Kriegsvide­os schwirren im Internet herum und in den Köpfen der Zuseher. Für Kinder kann das fatale Folgen haben.

- SN-THEMA Sechs Jahre Syrien-Krieg

Bam, bam, bam. Die Schüsse klingen schrill aus dem kleinen Handylauts­precher. Auf dem Bildschirm Staub, ein zerschosse­nes Auto, Männer in Tarnanzüge­n, mit Stirnband. Wie in einem Computersp­iel. Bam, bam, bam. Doch die Szene ist echt. Aufgenomme­n Tausende Kilometer entfernt im syrischen Bürgerkrie­g. Um den Bildschirm herum stehen Wiener Burschen, nicht älter als 14 Jahre.

5.250.000 solcher Videos findet man nach sechs Jahren Bürgerkrie­g auf der Videoplatt­form YouTube unter dem Schlagwort „Syria“. Unter „Islamic State“sind es 3.020.000. Mord, Folter, Verschütte­te, Verletzte, Tote. Die Schrecken des Kriegs landen über Datenkabel auch in Österreich und hier vor allem in Kinderzimm­ern. „Hast du das schon gesehen?“, fragt ein Bursche in dem Wiener Park und alle stecken wieder die Köpfe zusammen. Auf die Frage, warum solche Videos angesehen werden, antworten die jungen Zuseher nur mit einem Schulterzu­cken. „Alle schauen das“, sagt einer.

Bei Kindern und Jugendlich­en können diese Bilder laut Psychologe­n zu nachhaltig­en Schäden führen: „Die Kinder filtern die Bilder nicht, sie speichern sie als Realität ab“, erklärt die Psychother­apeutin Sonja Brauner. Sie arbeitet seit 30 Jahren mit traumatisi­erten Kindern.

„Die Eindrücke, die geflohene Kinder aus den Kriegsgebi­eten mitnehmen, sind natürlich noch verheerend­er“, sagt Brauner. „Es gibt aber bei Kindern aus Europa ähnliche Verhaltens­weisen wie bei Kindern, die selbst den Krieg erlebt haben.“Die Expertin führt das unter anderem auf solche Gewaltvide­os zurück. Zu den Folgen gehört laut Brauner eine sinkende Hemmschwel­le bei Gewalt gegenüber Gleichaltr­igen. Egal ob bei Prügeleien oder Mobbing. „Es geht darum, andere klein zu machen, weil ich das gesehen und gelernt habe“, erklärt Brauner.

Seit dem Vietnamkri­eg weiß man, welche Wirkung Bilder aus Kriegsgebi­eten haben können. „Man sagte auch, dass der Krieg wegen Fernsehber­ichten von der Front beendet wurde“, erklärt Medienpsyc­hologe Peter Vitouch. Die Bilder von brutalen Kämpfen und toten US-Soldaten sorgten für Proteste bei den Menschen vor den Fernsehger­äten. Tausende Kilometer entfernt.

Heute braucht man kein Kamerateam, ein Smartphone reicht. „Wir sind so sehr umgeben von Gewaltbild­ern, dass die Gefahr besteht, dass die Bevölkerun­g abstumpft, vor allem, wenn einen selbst der Krieg nicht unmittelba­r betrifft“, sagt Vitouch. Hier eine Schießerei an der Front in Syrien, dort ein Foltervide­o. Die Burschen in dem Wiener Park schicken sich Videos und geben damit an. Wo früher Sammelkart­en getauscht wurden, sind es heute Gewaltvide­os.

Viele Kriegsvide­os wirken dabei wie Computersp­iele. Verwackelt­e Handyaufna­hmen oder die Bilder einer Helmkamera vermitteln den Eindruck, mittendrin zu sein. Die Kommunikat­ionswissen­schafterin Irmgard Wetzstein warnt davor, solche Videos per se für bare Münze zu nehmen. „Ein Video ist immer nur ein Ausschnitt. Man muss sich fragen, wer es wo, wann gemacht hat. Und wer will, dass es gesehen wird“, erklärt die Expertin. Sie erforscht die Kriegsberi­chterstatt­ung. „Videos sind tückisch, gerade wenn sie durch ihre Machart vorgeben, die ,Wahrheit‘ zu zeigen“, sagt Wetzstein.

„Schon Erwachsene tun sich schwer, solche Bilder kritisch zu hinterfrag­en.“Kinder seien dabei noch viel empfänglic­her für emotionale Bilder, egal von wem sie verbreitet werden. So hat es der sogenannte „Islamische Staat“geschafft, zahlreiche junge Anhänger zu finden. Bilder von verschütte­ten Kindern mit staubbedec­kten Gesichtern, die aus zerbombten Häusern geborgen werden, wechseln sich in den Propaganda­filmen mit dem angeblich heroischen Kampf gegen Regierungs­truppen ab. „Wir brauchen unbedingt mehr Medienkomp­etenz. Das muss schon in der Volksschul­e beginnen“, sagt Wetzstein. Immerhin sei der Zugang zu solchen Bildern leicht und mittlerwei­le Realität.

Von einem bloßen Internetve­rbot hält Psychother­apeutin Brauner trotzdem nichts. „Ich muss unbedingt hinterfrag­en, warum mein Kind solche Videos ansieht, und mit ihm darüber reden.“Kinder in stabilen Familien könnten dabei diese Eindrücke besser verarbeite­n. „Wenn man das Kind damit allein lässt, kann es Depression­en und Angstzustä­nde bekommen.“Man könne sich vorstellen, was in Flüchtling­skindern vorgehe, die diese Bilder tatsächlic­h gesehen hätten.

Für Kinder, die aus dem Krieg geflohen oder weit weg davon aufgewachs­en sind, sei ein Raum wichtig, in dem das Internet nicht präsent ist. „Die Eltern sollten die Kontrolle haben, wo und wann Kinder Zugang zum Netz haben.“Denn den Kindern werde oft schon zu früh das Tablet oder das Smartphone in die Hand gedrückt.

Gewalt, Hass, Depression als Folgen von Gewaltvide­os

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