Diagnose: total ausgelaugt
Stress im Job, trotzige Kinder zu Hause – und dann noch viel zu hohe Ansprüche: Warum manche Eltern vor dem Family-Burn-out stehen und was man dagegen tun kann.
„Die Kinder haben kaum noch Zeit, Kinder zu sein. Und Eltern spielen Taxi.“Monika Aichhorn, Psychotherapeutin
Alle Eltern kennen das: Das Neugeborene will einfach nicht einschlafen, schreit stundenlang. Die Nächte sind kurz, die Mutter ist übermüdet, erschöpft und irgendwann mit der Geduld am Ende.
Oder: Die Eltern sind am Sprung in die Arbeit, doch der Zweijährige, mitten in der Trotzphase, schreit und wehrt sich wieder mit Händen und Füßen dagegen, außer Haus zu gehen. Oder der Vater, der sich nach einem mühsamen Arbeitstag und einem nervenaufreibenden Stau auf der Autobahn zu Hause von der pubertierenden Tochter anpflaumen lassen muss und gleich wieder ins Auto einsteigen darf, um den Sohn zum Vorspielabend in die Musikschule zu bringen.
Praktisch alle Eltern haben irgendwann einmal das Gefühl, dass ihnen alles über den Kopf wächst und sie nur noch ferngesteuert durchs Leben gehen: eingespannt im Hamsterrad von Terminen und Verpflichtungen. Frauen, die „nur“zu Hause beim Kind bleiben, sind oft auch nicht besser dran, weil ihnen die Decke auf den Kopf fällt und sie mangels Anerkennung ihrer Erziehungsarbeit in Dauerfrust abgleiten. Kommt dann noch die eine oder andere Provokation des trotzigen Buben oder der zickenden Tochter dazu, kann es schon sein, dass Väter und Mütter zu schreien beginnen und manchen sogar einmal die Hand ausrutscht.
„Viele Eltern glauben, sie müssten perfekt sein – als Eltern, in der Beziehung, im Job“, sagt die auf Familien spezialisierte Salzburger Psychotherapeutin Monika Aichhorn. Dazu kämen die gestiegenen Anforderungen an die Kinder, die angehalten werden, nur sehr gute Schulnoten heimzubringen. „Das erzeugt einen riesigen Druck in den Familien.“
Umfragen zufolge leidet jedes sechste Kind unter deutlichem Stress. Kein Wunder, ist doch oft auch die Freizeit durchgeplant mit musikalischer Früherziehung und Klavierunterricht. Und in den Pausen keine Erholung, sondern permanente Ablenkung durch Internet und Handy. „Die Kinder haben kaum noch Zeit, Kinder zu sein“, sagt Aichhorn. „Und die Eltern hängen mit drin, sie spielen Taxi.“
Psychotherapeuten sind heute weit öfter als früher damit konfrontiert, dass Eltern permanent unter Strom stehen und darunter leiden, ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht zu werden. Schließlich versuchen die meisten, in der Erziehung alles richtig zu machen – und die Kinder auch nicht autoritär, sondern „demokratisch“zu erziehen. Der „Befehlshaushalt“ist zu einem „Verhandlungshaushalt“geworden, „die Machtverhältnisse in der Familie sind egalitärer, zugleich ist die Elternrolle anspruchsvoller und schwieriger geworden“, wie Experten vom Österreichischen Institut für Familienforschung der Uni Wien in einer Studie feststellen. Die Schattenseite dieser Entwicklung: Das alles setzt die Eltern „häufig unter großen Druck“.
Nach Angaben der Elternberatung des Landes Salzburg brauchen zwischen sechs und acht Prozent der Eltern von Babys und Kleinkindern professionelle Unterstützung.
„Überforderung tritt ein, wenn die Anforderungen die Ressourcen übersteigen“, sagt Psychotherapeutin Katharina Fitzka, eine Expertin für „Frühe Hilfen“(siehe Kasten rechts). Wie belastbar jemand sei, das hänge auch von der eigenen Lebensgeschichte ab. „Wenn zwei stabile Menschen als Paar zusammen sind, ist die Chance größer, dass sie ihre Beziehung als erfüllt erleben können. Glückliche Paare haben mehr Kapazitäten, um in schwierigen Situationen mit den Kindern zurechtzukommen. Dort ist die Chance höher, dass die Beziehung zu den Kindern gelingt.“
Was aber tun, wenn die Batterien leer sind? Kurzfristig hilft: einfach einmal raus aus der Situation, spazieren gehen oder eine Runde joggen. Auch Gespräche mit Gleichgesinnten können wohltuend und entlastend sein. Mittelfristig müsse sich jeder die Frage stellen, wo man Kraft tanken könne, sagt Fitzka. Ein Patentrezept gebe es nicht. „Für den einen kann Yoga oder Sport gut sein, für den anderen bedeutet das nur noch mehr Leistungsdruck.“