Alte Gefühle lassen sich heilen
Gegen innere Glaubenssätze hilft ein wenig Mut zu neuen Erfahrungen.
Jeder Mensch trägt Grundüberzeugungen, seine persönlichen Glaubenssätze mit sich. Das sind Konzepte über uns selbst und die Welt, die wir nicht mehr überprüfen und für wahr halten. Die meisten Grundüberzeugungen entstehen in der Kindheit, also in der Zeit, in der sich das Selbstbild und unser Verständnis der Welt entwickeln. Sie halfen damals als Orientierung, um Herausforderungen zu bewältigen. Manche dieser Glaubenssätze wirken aber auch noch hartnäckig im Erwachsenenalter, wenn sich die Lebenssituation verändert hat. Das passt dann oft nicht mehr zusammen und verursacht Leiden.
Der Wiener Psychologe und Psychotherapeut Saam Faradji hat sich mit den Auswegen beschäftigt. SN: Wie arbeiten diese Grundüberzeugungen in uns?
Faradji: Die Grundüberzeugungen bestimmen die Gedanken und beeinflussen unsere Reaktionen in bestimmten Situationen. So werden sie dann zu Erfahrungen. Wenn ich als Kind den Glaubenssatz entwickelt habe: „Ich bin kein liebenswerter Mensch“oder: „Wenn ich Bedürfnisse habe, verlassen mich die Menschen“, dann wird das meine Beziehungen bestimmen. Wir alle haben Glaubenssätze, viele davon sind positiv, viele davon nicht förderlich. Es sind also nicht die Ereignisse der Vergangenheit, die unser Leben bestimmen, sondern die Grundüberzeugungen, die wir aufgrund von Ereignissen entwickelt haben. SN: Wie findet man seine negativen Glaubenssätze? Meist drängen sie sich durch Leiden auf. Es nützt dann nichts, mit kühler Vernunft dagegenzuarbeiten. Die negativen Glaubenssätze sind ja eng mit Emotionen verknüpft, mit schmerzvollen, die wir nicht wiedererleben wollen. Dann können Gespräche mit einem Fachmann guttun, in denen man übt, Gedanken unterscheiden zu lernen, ob sie für die Bewältigung bestimmter Lebenssituationen förderlich sind oder nicht. Es führt dann allerdings kein Weg daran vorbei, sich ins Leben zu stürzen und wieder Erfahrungen zu machen. SN: Was kann man selbst tun? Der erste Schritt ist, den Schmerz wichtig zu nehmen, denn der will mir etwas sagen. Dem Schmerz sicherheitshalber auf Dauer ausweichen zu wollen hieße, sich aus dem Leben zurückzuziehen. Und es führt dazu, dass man die alten Glaubenssätze und Erfahrungen nicht mehr überprüft, ob sie stimmen oder nicht. Also müssen wir manchmal ein emotionales Risiko eingehen, etwa wieder eine Beziehung. Das heißt dann ja nicht automatisch, dass alles super wird, aber dass wir irgendwann eine Beziehung finden, in der wir einander bereichern. SN: Welche Hilfestellung können Sie als Therapeut geben? In der Therapie sage ich von Anfang an, dass die Gespräche nur eine Orientierung sind. Erst die Erfahrung bringt die Veränderung. Erfahrungen braucht man, denn auf der emotionalen Ebene greifen vernünftige Überlegungen nicht. Erst durch die Bereitschaft, sich auf neue Erfahrungen einzulassen, gibt es Änderung. Ich versuche Betroffene zu motivieren, Schritte zu setzen, um die nicht förderlichen Glaubenssätze zu verändern, damit sich Herausforderungen oder auch der Alltag besser bewältigen lassen. Einige können das schnell, andere brauchen dafür mehr Zeit. Es gibt auch Menschen, die nicht dazu bereit sind. SN: In vielen Fällen werden Beziehungen betroffen sein. Was kann der Partner tun?
Für den Partner ist es wichtig, zwischen Therapie und Beziehung zu unterscheiden. Er soll nicht der Therapeut sein und die Beziehung nicht die Therapie. Ein wertschätzender Umgang ist natürlich förderlich. Man sollte aber wissen, dass sich in unsicheren Situationen trotzdem alte Glaubenssätze zurückmelden können. Ein empathischer Umgang mit uns und unserem Partner unterstützt uns dabei, unsere Handlungen an für uns förderliche Gedanken zu orientieren. Saam Faradji ist klinischer Psychologe und Psychotherapeut. Er arbeitet nach vielen Jahren der Erfahrung mit onkologischen Patienten in eigener Praxis, wo er Selbsterfahrungsseminare leitet. Dieser Tage ist sein Buch „Das Aschenputtel-Prinzip: Von Selbstkritik und Strenge zu mehr Selbstliebe und Lebensfreude“, Verlag myMorawa, erschienen.