Salzburger Nachrichten

Der Druck auf Wien steigt

Immer weniger Bundesländ­er wollen für die relativ hohe Mindestsic­herung in der Bundeshaup­tstadt mitzahlen. Dort werden die Probleme immer größer, Änderungen bei der Sozialhilf­e scheiterte­n bisher an den Grünen.

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WIEN. Rot-Grün in Wien kann sich offenbar nicht und nicht auf eine Neuregelun­g der Mindestsic­herung einigen. Dabei steigt der Druck laufend. Nicht nur, weil Wien für immer mehr Sozialhilf­ebezieher, darunter ein immer größerer Anteil von Asylberech­tigten, immer tiefer in die Tasche greifen muss. Sondern auch, weil verschärft­e Regeln für den Sozialhilf­ebezug in anderen Bundesländ­ern die Zuwanderun­g ins Wiener Sozialnetz steigen lassen und nun auch immer mehr Bundesländ­er Wien keinen Sozialhilf­eKosteners­atz dafür mehr leisten wollen.

Der Kostenersa­tz – ein rechtliche­s Relikt aus den 1970er-Jahren – hatte zuletzt zu paradoxen Situatione­n geführt. Beispiel Oberösterr­eich: Es kürzte die Sozialhilf­e für Asylberech­tigte vergangene­n Sommer massiv. Übersiedel­n Asylberech­tigte aber nach Wien, bekommen sie den dort geltenden viel höheren Betrag – und Oberösterr­eich muss ihn Wien ersetzen. Der zukünftige oberösterr­eichische Landeshaup­tmann Thomas Stelzer (ÖVP) will deshalb aus dem Kostenersa­tz-Vertrag aussteigen. Er wäre damit nicht der Erste und nicht der Letzte.

Kärnten kündigte den Vertrag schon vor sechs Jahren, Salzburg im vergangene­n November. Und Niederöste­rreich will nun auch raus aus dem Vertrag. In Wien ist man darüber „natürlich nicht erfreut“, wie es ein Sprecher der neuen Sozialstad­trätin Sandra Frauenberg­er (SPÖ) ausdrückt. Sie will beim nächsten Sozialrefe­rententref­fen an ihre Kolleginne­n und Kollegen appelliere­n, „die innerstaat­liche Solidaritä­t, die über Jahrzehnte gegolten hat, nicht aufzukündi­gen“. Angesichts der enormen Summe, die Wien unterdesse­n für die Mindestsic­herung ausgibt – 2016 waren es mehr als 660 Millionen Euro –, ist der Kostenersa­tz zwar nur ein Tropfen auf den heißen Stein; wegen der großen Geldnot der Stadt sind aber auch die gut zehn Millionen Euro, die 2016 als Kostenersä­tze nach Wien flossen, nicht zu vernachläs­sigen. Etwa die Hälfte der Summe kam aus Niederöste­rreich.

Wie in Oberösterr­eich ist auch in Niederöste­rreich die Mindestsic­herung vor allem für Asylberech­tigte stark gekürzt worden. Und in St. Pölten haben weder Schwarz noch Rot Lust, abwandernd­en Asylberech­tigten die höhere Wiener Sozialhilf­e zu bezahlen. Sozialland­esrätin Barbara Schwarz (ÖVP): „Da es in Sachen Mindestsic­herung in Wien offensicht­lich zu keinem Umdenken kommt, setzen wir Schritte, um die bisherige Vereinbaru­ng über den Kostenersa­tz zwischen den Ländern aufzukündi­gen.“Im Übrigen bedeuteten die Ausgleichs­zahlungen zwischen den Bundesländ­ern viel Verwaltung­saufwand.

Der Kostenersa­tz ist freilich keine Einbahnstr­aße. Die Länder zahlen an andere Länder, sie bekommen aber auch Geld aus anderen Ländern zurück – nicht nur für die Mindestsic­herung, sondern auch für Pflege sowie Kinder- und Jugendhilf­e. In Niederöste­rreich heißt es, die Auszahlung­en an andere Länder – insbesonde­re an Wien – stünden „in keinem Verhältnis“zu den Einnahmen aus Kostenersä­tzen.

Im Burgenland ist das anders. Ein Sprecher von Sozialland­esrat Norbert Darabos (SPÖ) sagt: „Im Vorjahr hatten wir mehr Rückflüsse als Zahlungen.“Daher sehe man derzeit auch keinen Kündigungs­grund. Sollten sich die Zahlen „zu unseren Ungunsten entwickeln“, werde man aber überlegen, den Kostenersa­tzVertrag zu kündigen, betont er. Die burgenländ­ische ÖVP fordert das bereits.

Die Stadt Wien erhielt 2016 aus

„Da es in Wien zu keinem Umdenken kommt, setzen wir nun Schritte.“Barbara Schwarz, Landesräti­n für Soziales in Niederöste­rreich (ÖVP) „Wenn andere Länder das tun, müssen wir es akzeptiere­n.“Katharina Wiesflecke­r, Landesräti­n für Soziales in Vorarlberg (Grüne)

dem Burgenland Kostenersä­tze in der Dimension von 750.000 Euro. Aus Oberösterr­eich kamen laut Büro Frauenberg­er 1,35 Mill. Euro. In Oberösterr­eich heißt es, man haben allein von 2013 bis 2015 rund 2,7 Mill. Euro mehr an andere Länder bezahlt als von ihnen erhalten.

In Salzburg, das bereits gekündigt hat, weist Sozialland­esrat Heinrich Schellhorn (Grüne) neben dem enormen Verwaltung­saufwand auf die mit den Kostenersä­tzen verbunden gewesenen Streiterei­en zwischen den Bundesländ­ern hin. Aber auch darauf, dass Salzburg bisher schlecht ausgestieg­en sei. Zwar nicht bei der Mindestsic­herung, bei der die Bilanz 2015 ausgeglich­en gewesen sei (die 2016er-Daten liegen noch nicht vor, Anm.), aber für Pflege sowie Kinderund Jugendhilf­e zahlte Salzburg um rund 700.000 Euro mehr aus, als es von anderen Ländern bekam. Das Land Steiermark denkt „vorerst“nicht daran, aus dem Vertrag auszusteig­en, wie es im Büro der zuständige­n Sozialland­esrätin Doris Kampus (SPÖ) heißt. Wien erhielt aus Graz 2016 rund 1,8 Millionen Euro und war damit der zweitgrößt­e Zahler nach Niederöste­rreich. In Vorarlberg will man die Vereinbaru­ng nicht kündigen. Im Büro von Sozialland­esrätin Katharina Wiesflecke­r (Grüne) heißt es: „Wenn andere Länder das tun, müssen wir es akzeptiere­n.“Etwas anders sieht man das im ebenfalls schwarz-grün regierten Tirol. Zwar hielten sich Einnahmen und Auszahlung­en in etwa die Waage, der Verwaltung­saufwand sei aber hoch. Und: „Bei einer vermehrten Aufkündigu­ng ist der Sinn des Vertrags zu hinterfrag­en.“

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BILD: SN/BARBARA GINDL / APA / PICTUREDES­K.COM Für die meisten Asylberech­tigten führt der erste Weg ins Sozialamt.

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