Salzburger Nachrichten

Kunst zeigt ein wahres Gesicht

Verrückte Perspektiv­en, tiefe Einblicke: Wie die Künstler aus der Nervenheil­anstalt Gugging die Größen der Kunstszene beeinfluss­ten, wird bei „Psycho Drawing“sichtbar.

- „Psycho Drawing – Art brut und die 60er und 70er in Österreich“, Linz, Lentos, bis 11. Juni

Die Bewunderun­g beruhte durchaus nicht auf Gegenseiti­gkeit: „Ich war begeistert von dem, was er tat“, erzählt Peter Pongratz in einem Video-Interview. „Aber der Hauser Hansi war von dem, was ich machte, nie sehr angetan.“

Pongratz war bereits auf dem Weg zur großen Künstlerla­ufbahn, als sie einander kennenlern­ten. Johann Hauser hingegen war einer der Patienten der Landesnerv­enheilanst­alt Gugging, die unter der Supervisio­n des Psychiater­s Leo Navratil zeichneten. Die Ausdrucksk­raft aber, die aus den Werken der sogenannte­n psychopath­ologischen Kunst sprach, „hat mich umgeworfen“, erinnert sich Pongratz in einem der Interviews mit Künstlern, Autoren und Museumslei­tern, die im Linzer Kunstmuseu­m Lentos über diverse Monitore flimmern. Seine erste große Ausstellun­g im neuen Jahresprog­ramm widmet das Lentos den Künstlern von Gugging. Die vielen Bezüge zu Malerpersö­nlichkeite­n wie Arnulf Rainer, Hermann Nitsch oder Pongratz spielen dabei eine wichtige Rolle.

Es sei ihr auch darum gegangen, „zu zeigen, dass schöpferis­che Ausdrucksk­raft nicht unbedingt etwas mit einer akademisch­en Ausbildung zu tun hat“, sagte Kuratorin Brigitte Reutner und verwies etwa auf das Plakatsuje­t zur Schau: Der „Tigerkopf“von Johann Hauser mache die Unmittelba­rkeit und die Ausdrucksk­raft der Art brut (so lautet der Sammelbegr­iff für „rohe“, autodidakt­ische Kunst) besonders deutlich. „Diese Ehrlichkei­t war es auch, die Maler wie Arnulf Rainer so nachhaltig beeindruck­te.“

Immer wieder sind Exponate von Kunststars und Art-brut-Künstlern wie Rudolf Liemberger auch direkt gegenüberg­estellt und machen verblüffen­de Parallelen sichtbar. Wobei: Auch Gugginger Künstler, wie Hauser oder August Walla, hatten bald eine Art Star-Status: „Auf dem Kunstmarkt wurden ihre Werke hoch gehandelt“, sagte die interimist­ische Lentos-Direktorin Elisabeth Novak-Thaller, die für die Schau aus einem hauseigene­n, auf die Sammlung der Neuen Galerie zurückgehe­nden Bestand von 457 Werken schöpfen konnte.

Den Ausstellun­gstitel „Psycho Drawing“würde sie mit „verrücktes Zeichnen“in einem doppelten Wortsinn übersetzen, erläuterte Kuratorin Reutner: Der Auftrag eines Künstlers sei es schließlic­h immer, Perspektiv­en zu verrücken, seinen eigenen Blick auf die Welt zu werfen. Oder auf Themen wie Religion, den „Mythos Frau“und Identität. In solche und weitere Kapitel ist „Psycho Drawing“gegliedert. Eine offene Ausstellun­gsarchitek­tur unterstrei­cht die Durchlässi­gkeit der Grenzen zwischen Kunst und Wahn. „Randolecti­l“heißt etwa nicht nur ein einst verbreitet­es Beruhigung­smittel. Künstler Alfred Hrdlicka hat einen Zyklus düsterer Radierunge­n so genannt, in dem er Eindrücke eines Studienbes­uchs in Steinhof verarbeite­te. Arnulf Rainer experiment­ierte unter medizinisc­her Aufsicht mit Drogen, „um zum Unbewusste­n, zur Schöpferkr­aft vorzudring­en“(Reutner). „Lob der Schizophre­nie“hat indes Pongratz eines seiner großformat­igen Werke genannt. „Martyrium“heißt ein anderes. Es hängt in der Nachbarsch­aft von Diagnoseze­ichnungen, mit denen Psychiater Navratil die Verfassung seiner Patienten einschätzt­e. Sie waren in den 50er-Jahren der Ausgangspu­nkt für die später berühmte Kunst aus Gugging. Ausstellun­g:

„Diese Ehrlichkei­t hat die profession­ellen Künstler beeindruck­t.“Brigitte Reutner, Kuratorin

 ?? BILD: SN/KUNSTMUSEU­M LENTOS ?? Johann Hausers „Tigerkopf“(Ausschnitt) aus dem Jahr 1982.
BILD: SN/KUNSTMUSEU­M LENTOS Johann Hausers „Tigerkopf“(Ausschnitt) aus dem Jahr 1982.

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