Kunst zeigt ein wahres Gesicht
Verrückte Perspektiven, tiefe Einblicke: Wie die Künstler aus der Nervenheilanstalt Gugging die Größen der Kunstszene beeinflussten, wird bei „Psycho Drawing“sichtbar.
Die Bewunderung beruhte durchaus nicht auf Gegenseitigkeit: „Ich war begeistert von dem, was er tat“, erzählt Peter Pongratz in einem Video-Interview. „Aber der Hauser Hansi war von dem, was ich machte, nie sehr angetan.“
Pongratz war bereits auf dem Weg zur großen Künstlerlaufbahn, als sie einander kennenlernten. Johann Hauser hingegen war einer der Patienten der Landesnervenheilanstalt Gugging, die unter der Supervision des Psychiaters Leo Navratil zeichneten. Die Ausdruckskraft aber, die aus den Werken der sogenannten psychopathologischen Kunst sprach, „hat mich umgeworfen“, erinnert sich Pongratz in einem der Interviews mit Künstlern, Autoren und Museumsleitern, die im Linzer Kunstmuseum Lentos über diverse Monitore flimmern. Seine erste große Ausstellung im neuen Jahresprogramm widmet das Lentos den Künstlern von Gugging. Die vielen Bezüge zu Malerpersönlichkeiten wie Arnulf Rainer, Hermann Nitsch oder Pongratz spielen dabei eine wichtige Rolle.
Es sei ihr auch darum gegangen, „zu zeigen, dass schöpferische Ausdruckskraft nicht unbedingt etwas mit einer akademischen Ausbildung zu tun hat“, sagte Kuratorin Brigitte Reutner und verwies etwa auf das Plakatsujet zur Schau: Der „Tigerkopf“von Johann Hauser mache die Unmittelbarkeit und die Ausdruckskraft der Art brut (so lautet der Sammelbegriff für „rohe“, autodidaktische Kunst) besonders deutlich. „Diese Ehrlichkeit war es auch, die Maler wie Arnulf Rainer so nachhaltig beeindruckte.“
Immer wieder sind Exponate von Kunststars und Art-brut-Künstlern wie Rudolf Liemberger auch direkt gegenübergestellt und machen verblüffende Parallelen sichtbar. Wobei: Auch Gugginger Künstler, wie Hauser oder August Walla, hatten bald eine Art Star-Status: „Auf dem Kunstmarkt wurden ihre Werke hoch gehandelt“, sagte die interimistische Lentos-Direktorin Elisabeth Novak-Thaller, die für die Schau aus einem hauseigenen, auf die Sammlung der Neuen Galerie zurückgehenden Bestand von 457 Werken schöpfen konnte.
Den Ausstellungstitel „Psycho Drawing“würde sie mit „verrücktes Zeichnen“in einem doppelten Wortsinn übersetzen, erläuterte Kuratorin Reutner: Der Auftrag eines Künstlers sei es schließlich immer, Perspektiven zu verrücken, seinen eigenen Blick auf die Welt zu werfen. Oder auf Themen wie Religion, den „Mythos Frau“und Identität. In solche und weitere Kapitel ist „Psycho Drawing“gegliedert. Eine offene Ausstellungsarchitektur unterstreicht die Durchlässigkeit der Grenzen zwischen Kunst und Wahn. „Randolectil“heißt etwa nicht nur ein einst verbreitetes Beruhigungsmittel. Künstler Alfred Hrdlicka hat einen Zyklus düsterer Radierungen so genannt, in dem er Eindrücke eines Studienbesuchs in Steinhof verarbeitete. Arnulf Rainer experimentierte unter medizinischer Aufsicht mit Drogen, „um zum Unbewussten, zur Schöpferkraft vorzudringen“(Reutner). „Lob der Schizophrenie“hat indes Pongratz eines seiner großformatigen Werke genannt. „Martyrium“heißt ein anderes. Es hängt in der Nachbarschaft von Diagnosezeichnungen, mit denen Psychiater Navratil die Verfassung seiner Patienten einschätzte. Sie waren in den 50er-Jahren der Ausgangspunkt für die später berühmte Kunst aus Gugging. Ausstellung:
„Diese Ehrlichkeit hat die professionellen Künstler beeindruckt.“Brigitte Reutner, Kuratorin