Im Gefängnis traumatisiert
Eine Nacht, eine Affäre, ein Mord: Die Abgründe der Menschheit, die Unberechenbarkeit der Polizei, die Willkür des Justizsystems sind dankbare Themen. Sie erlauben vielerlei Botschaften und geben Autoren Gelegenheit, Heimtücke zu beschreiben – vielleicht als Unterhaltung, ganz sicher aber zur Abschreckung und um Spannung zu erzeugen. Die dunklen Seiten des amerikanischen Justizsystems prangern manche Schriftsteller ihre ganze Karriere lang an, John Grisham zum Beispiel. Seine Romane wurden schon oft verfilmt. Richard Price („Cash“) hat mit „The Wire“Drehbücher für eine Erfolgsserie verfasst. Nun kreierte Price zusammen mit Steven Zaillian (Drehbuchautor von Steven Spielbergs „Schindlers Liste“) das Justizdrama „The Night of“, das kühl und sachlich inszeniert und trotzdem packend ist. Keinen Moment vermisst man die Glätte von Grisham-Adaptionen. Allerdings dehnt sich das sonst durchaus intensive Geschehen manchmal derart, dass die Serie ein Kandidat für den neuen Trend „Speed Watching“ist. Jedenfalls verlangt es einige Muße, den pakistanisch-amerikanischen Studenten zu begleiten, der wegen angeblichen Mordes in Untersuchungshaft sitzt. Alle Indizien sprechen gegen ihn, korrupte Polizisten, geldgierige Anwälte und gehässige Richter machen ihm das Leben zur Hölle. Die aufgewendete Zeit erlaubt es der Regie jedenfalls, den Verwandlungsprozess des unbekümmerten jungen Mannes zu einer vom Gefängnis traumatisierten Existenz nachzuvollziehen. Inzwischen rotieren die Mühlen der Justiz. Star des Films ist John Turturro, dessen heruntergekommene Anwaltsfigur in „Columbo“-Klamotten stark an Paul Newmans Advokaten in Sidney Lumets „The Verdict“erinnert. „The Night of“ist jedenfalls ein freies Remake der britischen Serie „Criminal Justice“. James Gandolfino, der ursprünglich mitwirken sollte, ist mit einem Producer-Credit gewürdigt.
The Night of, 8 Episoden, 524 Minuten, 3 HBO/Warner Blu-ray Discs