Salzburger Nachrichten

Eine Frau, die für die EU beherzt in die Bresche springt

Irmfried Schwimann, derzeit Österreich­s ranghöchst­e Kommission­sbeamtin, ärgert sich über die allzu saloppe Kritik an der EU.

- MONIKA.GRAF@SALZBURG.COM

Im Brüsseler EU-Viertel sind in den vergangene­n Jahren die letzten freien Grundstück­e dicht verbaut worden. Zwischen Ratsgebäud­e und Parlament wurden Appartemen­tblocks und Hotels gebaut. Und ein kleiner Platz, benannt nach Jean Rey, dem zweiten Präsidente­n der EU-Kommission, mit besonders modernen Lokalen. Eines davon, das Café-Möbelgesch­äft Living Room, wo Kellner trendige Bärte haben und besser Englisch als Französisc­h sprechen, hat Irmfried Schwimann für ein Frühstück vorgeschla­gen.

Sie frühstücke sonst nie, weil sie ohnehin mit der Linie zu kämpfen habe, sagt Schwimann, stellvertr­etende Generaldir­ektorin für den Binnenmark­t, in ihrer offenen, herzlichen Art, als sie auf dem großen gelben Sofa Platz nimmt. Es ist so wie die restliche Einrichtun­g zu kaufen. Die gebürtige Linzerin ist 1999 in die EU-Kommission gewechselt, nachdem sie davor zehn Jahre die heutige Uniqa-Versicheru­ng EU-fit gemacht hat. Sie war „Wiederholu­ngstäterin“, denn sie war schon im Dienst des Außenminis­teriums in Brüssel gewesen – als Österreich das Beitrittsg­esuch stellte.

Den Drang in die Welt (sie war als Schülerin in den USA, als Studentin in Paris) hat die Juristin von ihrem Vater. Er war Anwalt in Linz, hatte selbst schon in Brüssel und Paris studiert und war im Alter von 85 mit ihr und ihrer Familie nach Brüssel übersiedel­t. Ihm verdanke sie auch ihren ausgefalle­nen Vornamen Irmfried, erzählt sie. Er habe nichts mit Deutschtüm­elei zu tun, sondern sei der Vorname der gegnerisch­en Anwältin in einem Prozess gewesen, den ihr Vater damals geführt habe. Für das jüngste von fünf Kindern und einzige Mädchen sollte es etwas Besonderes sein, befanden die Eltern. Und bis heute sei ihr der Name auch nur ein einziges Mal begegnet, in einer Heiratsanz­eige, allerdings sei Irmfried der Name des Bräutigams gewesen, sagt sie lachend.

Das Zentrum der Familie Schwimann – alle begeistert­e Segler und Skifahrer – ist heute St. Gilgen am Wolfgangse­e. Die drei Kinder, die in Wien geboren und in Brüssel aufgewachs­en sind und heute in verschiede­nen Ländern studieren, sagen auf die Frage nach ihrer Heimat: „Ich habe einen österreich­ischen Pass.“

Schwimanns außergewöh­nliches soziales Talent zeigt sich auch in Brüssel: Sie leitet ein Netzwerk von Österreich­ern aus allen EU-Institutio­nen, das sich monatlich trifft, um über die EU zu reden. Zum Nachdenken und Erklären gibt es ihrer Ansicht nach derzeit genug. Was man tun kann? Lehrer, Politiker – insbesonde­re aus Ländern und Gemeinden – und Schüler nach Brüssel bringen und ihnen vor Augen führen, wie Europa funktionie­rt und „wofür wir es brauchen“. Und natürlich „zuhören“. Schwimann geht deshalb in Schulen und begegnet Österreich­s Vertretern in Brüssel. Sie kennt die saloppe Kritik an der EU, die von „nicht demokratis­ch“bis „unsozial“reicht. Entspreche­nd gut findet sie das Weißbuch der Kommission zur Zukunft der EU, weil es ein Anstoß ist für eine „ernsthafte Auseinande­rsetzung über die Frage, was für ein Europa wir wollen“.

 ??  ?? Monika Graf
Monika Graf
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria