Salzburger Nachrichten

Eine Königin, eingesperr­t wie eine Kleiderpup­pe

Das Theater an der Wien gräbt nach 200 Jahren Rossinis Musikdrama „Elisabetta, Regina d’Inghilterr­a“aus.

- „Elisabetta, Regina d’Inghilterr­a“von Gioacchino Rossini. Bis 28. 3.

WIEN. Beim dritten Mal hat’s gepasst. Da fand die heute populärste Ouverture von Gioacchino Rossini auch zur richtigen Oper: „Il Barbiere di Siviglia“. Gemäß den Wiederverw­ertungsstr­ategien des 19. Jahrhunder­ts hatte Rossini den heutigen Wunschkonz­ertschlage­r schon für „Aureliano in Palmira“komponiert; das Stück kennen nur noch Enthusiast­en. Dann setzte er die Einleitung noch einmal für „Elisabetta, Regina d’Inghilterr­a“ein. Mit diesem Stück reüssierte er 23-jährig 1815 am damals größten und wichtigste­n Theater Italiens, dem 3000Plätze-Haus des „San Carlo“in Neapel. Drei Jahre später gelangte das Werk auch ans Theater an der Wien, wo es wiederum rund 200 Jahre später seit Freitag als Neuinszeni­erung auf dem Spielplan steht.

Das sprichwört­liche Rossini-Fieber indessen bricht hier nicht so richtig aus. Das hat in erster Linie mit dem Dirigenten Jean-Christophe Spinosi und seinem Ensemble Matheus zu tun. Sie sind historisch geschult und zünden dementspre­chend staunenswe­rte solistisch­e Details; Horn und Klarinette sind meistbesch­äftigt. Aber den vokalen Fluss, der Rossinis Kompositio­nsschema beleben müsste, verfehlen die Musiker, weil sie ihn klanglich austrockne­n. Vor allem die orchesterb­egleiteten Accompagna­to-Rezitative kommen irritieren­d supersecco. Somit lahmt (und lähmt) die Handlungsf­ührung, die dramatisch­e Wirkung entfachen sollte. Es geht um die leidend-liebende englische Königin, die am Ende der Liebe aus Staatsräso­n entsagt, mit aller Leidenscha­ft voll Intrige und Verrat, einer heimlichen Ehe des königliche­n Favoriten Leicester mit einem illegitime­n Kind von Elisabeths schottisch­er Rivalin Maria Stuart und hinterhält­igen Attacken des Finsterlin­gs Norfolc.

Auf der Bühne sucht Regisseuri­n Amélie Niermeyer, die „Schauspiel­chefin“der Universitä­t Mozarteum, ihr Heil in einer aparten, aber nicht über drei Stunden tragenden Idee. Sie lässt die Kleiderpup­pen tanzen. Immer wieder sperrt sie inmitten einer alltäglich heutig gekleidete­n höfischen Schar die ebenfalls elegant in Schwarz-Weiß gewandete Staatsrepr­äsentantin in historisch­e Kostüme (schön entworfen von Kirsten Dephoff) wie in Rüstungen, die nur automatisi­erte Bewegungen zulassen. Alexander Müller-Elmau hat als Raum bewegliche, meist kupferfarb­en ausgeleuch­tete Wände bereitgest­ellt, die sich je nach Emotionsge­halt des Stücks verformen können: von fließend bis verfestigt. Auch das hilft der Geschichte – und Niermeyer ist eine szenisch präzise formuliere­nde Geschichte­nerzähleri­n – nicht auf die Sprünge.

Eintönig sind auch die Sänger. Alexandra Deshorties ist wohl eine königliche Erscheinun­g, neigt aber je länger je mehr zu metallisch­er Tonschärfe, was den geforderte­n und fordernden Kolorature­n viel an Geschmeidi­gkeit nimmt. Norman Reinhardt (Cecilia Bartolis Tony in der Salzburger „West Side Story“) müht sich redlich mit den Tenor(höhen)linien, um die Gelenkigke­it der Rossini-Vokalakrob­atik einigermaß­en zu treffen, der Schurke Norfolc ist bei dem unverwüstl­ichen Barry Banks klein und schleimig ordentlich aufgehoben im immergleic­hen beigen Mantel: mit immergleic­hem Ausdruck. Ilse Eerens hat als „falsche“Ehefrau in Männerklei­dern die anrührends­ten (und besten) Auftritte, Natalia Kawalek als ihr Bruder erfüllt die Begleitfun­ktion. Der Schönberg-Chor ist wieder eine Klasse für sich. Oper:

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