Eine Königin, eingesperrt wie eine Kleiderpuppe
Das Theater an der Wien gräbt nach 200 Jahren Rossinis Musikdrama „Elisabetta, Regina d’Inghilterra“aus.
WIEN. Beim dritten Mal hat’s gepasst. Da fand die heute populärste Ouverture von Gioacchino Rossini auch zur richtigen Oper: „Il Barbiere di Siviglia“. Gemäß den Wiederverwertungsstrategien des 19. Jahrhunderts hatte Rossini den heutigen Wunschkonzertschlager schon für „Aureliano in Palmira“komponiert; das Stück kennen nur noch Enthusiasten. Dann setzte er die Einleitung noch einmal für „Elisabetta, Regina d’Inghilterra“ein. Mit diesem Stück reüssierte er 23-jährig 1815 am damals größten und wichtigsten Theater Italiens, dem 3000Plätze-Haus des „San Carlo“in Neapel. Drei Jahre später gelangte das Werk auch ans Theater an der Wien, wo es wiederum rund 200 Jahre später seit Freitag als Neuinszenierung auf dem Spielplan steht.
Das sprichwörtliche Rossini-Fieber indessen bricht hier nicht so richtig aus. Das hat in erster Linie mit dem Dirigenten Jean-Christophe Spinosi und seinem Ensemble Matheus zu tun. Sie sind historisch geschult und zünden dementsprechend staunenswerte solistische Details; Horn und Klarinette sind meistbeschäftigt. Aber den vokalen Fluss, der Rossinis Kompositionsschema beleben müsste, verfehlen die Musiker, weil sie ihn klanglich austrocknen. Vor allem die orchesterbegleiteten Accompagnato-Rezitative kommen irritierend supersecco. Somit lahmt (und lähmt) die Handlungsführung, die dramatische Wirkung entfachen sollte. Es geht um die leidend-liebende englische Königin, die am Ende der Liebe aus Staatsräson entsagt, mit aller Leidenschaft voll Intrige und Verrat, einer heimlichen Ehe des königlichen Favoriten Leicester mit einem illegitimen Kind von Elisabeths schottischer Rivalin Maria Stuart und hinterhältigen Attacken des Finsterlings Norfolc.
Auf der Bühne sucht Regisseurin Amélie Niermeyer, die „Schauspielchefin“der Universität Mozarteum, ihr Heil in einer aparten, aber nicht über drei Stunden tragenden Idee. Sie lässt die Kleiderpuppen tanzen. Immer wieder sperrt sie inmitten einer alltäglich heutig gekleideten höfischen Schar die ebenfalls elegant in Schwarz-Weiß gewandete Staatsrepräsentantin in historische Kostüme (schön entworfen von Kirsten Dephoff) wie in Rüstungen, die nur automatisierte Bewegungen zulassen. Alexander Müller-Elmau hat als Raum bewegliche, meist kupferfarben ausgeleuchtete Wände bereitgestellt, die sich je nach Emotionsgehalt des Stücks verformen können: von fließend bis verfestigt. Auch das hilft der Geschichte – und Niermeyer ist eine szenisch präzise formulierende Geschichtenerzählerin – nicht auf die Sprünge.
Eintönig sind auch die Sänger. Alexandra Deshorties ist wohl eine königliche Erscheinung, neigt aber je länger je mehr zu metallischer Tonschärfe, was den geforderten und fordernden Koloraturen viel an Geschmeidigkeit nimmt. Norman Reinhardt (Cecilia Bartolis Tony in der Salzburger „West Side Story“) müht sich redlich mit den Tenor(höhen)linien, um die Gelenkigkeit der Rossini-Vokalakrobatik einigermaßen zu treffen, der Schurke Norfolc ist bei dem unverwüstlichen Barry Banks klein und schleimig ordentlich aufgehoben im immergleichen beigen Mantel: mit immergleichem Ausdruck. Ilse Eerens hat als „falsche“Ehefrau in Männerkleidern die anrührendsten (und besten) Auftritte, Natalia Kawalek als ihr Bruder erfüllt die Begleitfunktion. Der Schönberg-Chor ist wieder eine Klasse für sich. Oper: