Salzburger Nachrichten

Eine Welt für traurige Menschen, die auf lustige Dinge starren

Wenn aus Essig Cocktails gemixt werden und Wasser teurer als Wein ist – dann kann einem diese Welt ganz schön englisch vorkommen.

- Peter Gnaiger PETER.GNAIGER@SALZBURG.COM

Lange haben wir es uns in gutbürgerl­ichen Gasthöfen gut gehen lassen. Die sind heute fast ausgestorb­en. Jetzt sind angloameri­kanische Burger an der Macht. Dieses Fast Food kam so schnell auf uns zu, dass wir es glatt übersehen hatten. Dabei ziehen sich in diesen Tagen sowohl die Engländer als auch die US-Amerikaner wieder hinter ihre Burger-, Pardon: Burgmauern zurück. Außer ihren Atomwaffen hinterließ­en sie uns nach dem Brexit und der Mexikanisc­hen Mauer nur noch ihr Essen. Immerhin: Beides wirkt abschrecke­nd auf mögliche Invasoren. Wer will schon ein Land erobern, in dem es fast nur noch Convenienc­e Food, Mood Food, Brain Food und veganes Food gibt? Und dann noch diese coole Geheimwaff­e mit dem furchteinf­lößenden Namen Craft Beer. Das braucht man zum Pairing. Dazu sagte man früher Getränkebe­gleitung. Jetzt könnte man sagen: „Okay. Wenn jemand Pairing machen will, dann soll er das tun. Ist doch nicht mein Bier.“Weit gefehlt. Auch Bier könnte es bald nicht mehr geben. Das sagt der Trend. Eben ist ein interessan­tes Buch von Nicole Klauss erschienen. Es heißt „Die neue Trinkkultu­r“. Untertitel: „Speisen perfekt begleiten ohne Alkohol“. Wie bitte? Kein Wein mehr zum Essen? Das ist bitter. Aber die Wein-Sommeliers sind selbst schuld. Sie haben uns so lange bei Verkostung­en von Waldbeeren und Kirschen erzählt, dass es kein Wunder ist, wenn jemand kommt und sagt: „Hey! Da kann ich ja gleich Fruchtsaft trinken.“Jetzt haben sie den Salat. Apropos Salat. In dem Buch wird auch über den letzten Schrei in der Cocktail-Szene berichtet. Ein Hipster, der etwas auf sich hält, nippt heute lässig an der Bar an Essig-Cocktails. Klingt grässlich. Ist es auch. Aber als „Shrub“schmeckt er gleich total easy. Einen SellerieSh­rub etwa mixt man aus 500 g Staudensel­le- rie, 250 g Zucker und 250 g Apfelessig. Komisch. Stellen Sie sich vor, Sie hätten sich früher beim Kellner beschwert: „Monsieur! Der Wein ist sauer.“Und der hätte dann einfach 250 g Zucker in Ihr Glas geleert und behauptet, das sei jetzt ein Szenegeträ­nk. Irre, oder? Noch verrückter geht es beim Wasser zu. Würde Jesus heute bei einer Hochzeitsg­esellschaf­t Mineralwas­ser der Marke „Rokko No“in Wein verwandeln, dann könnte er einem Lynchmob zum Opfer fallen. Denn eine Flasche Wasser der Marke „Rokko No“kostet 100 Euro.

Max Scheler hatte recht, als er vor 100 Jahren schrieb: „Wir sind umgeben von lauter lustigen Dingen, die angeschaut werden von lauter traurigen Menschen, die nichts damit anzufangen wissen.“Diese Beobachtun­g sollte man unter „Look Food“zu Geld machen.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria