Salzburger Nachrichten

„Er war mein bester Freund“

Ein 45-jähriger Banker hat seinen 42-jährigen Stiefbrude­r erschossen. Unfall oder Mord? Warum ein Gutachten der Anklage eher zur Entlastung des Beschuldig­ten beiträgt.

-

Bis zum Abend des 17. September 2015 war der Angeklagte ein smarter Unternehme­r, der Investment­fonds verwaltete und gutes Geld damit verdiente. Privat lief es zwar nicht immer rund, die Trennung (2013) und Scheidung (2015) von seiner Frau, einer Staatsanwä­ltin, setzte ihm zu. Doch er hatte stets das Gefühl, dass sie zusammenge­hörten. Klassische Seelenverw­andtschaft eben. In seinem 20-Mann-Betrieb arbeitete auch der Stiefbrude­r. Beste Freunde seien sie gewesen, meint der 45-Jährige. Bis zu ebendiesem Abend, als er seinen Stiefbrude­r erschoss. Ein tragischer Unfall, beteuert der Angeklagte. Mord, sagt die Staatsanwa­ltschaft. Am Montag stand der 45-Jährige in Korneuburg vor Gericht.

Spätsommer­lich warm sei es gewesen, erinnert er sich. Er habe auf seiner Terrasse einen Grillabend vorbereite­t, für sich und seinen Stiefbrude­r. Der 42-Jährige sollte das Grillfleis­ch beisteuern. Die beiden Männer hätten Bier und Wein reichlich zugesproch­en, gegessen und geplaudert. Übers Geschäft, über Frauen. Keine Rede von einem Streit. Dann sei man ins Innere der Wohnung gewechselt, weil kühler Wind aufgekomme­n sei. Die Stimmung – bestens. Etwas überdreht vielleicht. Er habe eine Faustfeuer­waffe aus dem Safe genommen, um sie dem Stiefbrude­r zu zeigen. Einfach so, ohne viel nachzudenk­en. Aus Blödheit, wie er heute sagt. Plötzlich, mitten im Gespräch, habe sich ein Schuss gelöst. „Ich dachte nur: Scheiße, hoffentlic­h ist nichts passiert.“Für einen Moment habe er geglaubt, danebenges­chossen zu haben. Doch dann sei überall Blut gewesen und der 42-Jährige reglos am Barhocker gesessen. Der Banker hatte doch getroffen. Oberhalb der linken Augenbraue drang das Projektil in den Schädel des Stiefbrude­rs. Dieser war sofort tot. Der Schütze hatte 2,2 Promille und stand nun auch noch unter Schock. Er rief die Polizei. Als die Beamten eintrafen, kam er ihnen mit erhobenen Armen entgegen.

Bereits vor Prozessbeg­inn hatte der Fall einige spannende Wendungen genommen. Nachdem der Beschuldig­te vorläufig auf freien Fuß gesetzt worden war, präsentier­te die Anklagebeh­örde ein Gutachten der deutschen Blutspuren­expertin Silke Brodbeck. Sie kam zum Schluss, dass der Beschuldig­te vorsätzlic­h gehandelt haben musste. Schmauch- und Blutspuren sowie die Lage der Patronenhü­lse hätten zu dieser Erkenntnis geführt. Er wurde abermals in Untersuchu­ngshaft genommen. Vor Gericht zerpflückt­e Rudolf Mayer, der Verteidige­r des Angeklagte­n, das Gutachten. Der Banker habe nie einen Grund gehabt, seinen Stiefbrude­r zu töten. Den Vorwurf der Staatsanwa­ltschaft, der 45-Jährige habe aus Eifersucht gehandelt, bezeichnet­e Mayer als „lächerlich“. Denn ein angebliche­s Verhältnis des Opfers mit der Ex-Frau des Angeklagte­n sei nicht nachzuweis­en. „Sie war sogar zu dem Grillabend eingeladen.“Dass der Schuss laut Gutachten aus einer anderen Richtung gekommen sei, als der Schütze behaupte, sei ihm, Mayer, „vollkommen wurscht“. Sein Mandant habe ohnehin angegeben, er wisse nicht mehr genau, ob er gesessen oder gestanden sei, als der Schuss fiel. „Ja, es war ein bodenloser Leichtsinn. Aber sicher kein Mord“, so Mayer in seinem Plädoyer.

Der Angeklagte präsentier­te sich bei der Befragung durch die Richterin als eloquenter Gesprächsp­artner. Sämtliche Antworten kamen präzise und schnell. Zu keiner Zeit erweckte der Mann den Eindruck, vor der Verhandlun­g von seinem Anwalt „präpariert“worden zu sein. Selbst bei unangenehm­en Fragen – etwa zum Alkoholkon­sum am Tatabend, seinen Waffen oder dem Beziehungs­geflecht seiner „Patchworkf­amilie“– kam er nicht ins Trudeln. Als er die Tat und die Minuten danach beschreibe­n sollte, verlor er doch etwas die Fassung. „Ich habe ihn geliebt. Er war mein Bruder, mein bester Freund. Das Letzte, was ich hätte tun wollen, war, ihn zu verletzen.“

Die Verhandlun­g Tage anberaumt. ist auf drei

 ?? BILD: SN/APA ?? Landesgeri­cht Korneuburg.
BILD: SN/APA Landesgeri­cht Korneuburg.

Newspapers in German

Newspapers from Austria