„Der Lohn für aktive Väter ist enorm“
Männer streichen noch immer die patriarchale Dividende ein – ohne zu sehen, was sie dabei an Lebensqualität verlieren.
Der deutsche Psychologe und Männertherapeut Björn Süfke über Geschlechter-Stereotype und warum sie so hartnäckig sind.
SN: Wie geht es Ihnen, wenn Sie in ein Spielzeuggeschäft kommen und dort fein säuberlich die Buben-Ecke von der rosa Mädchen-Ecke getrennt ist? Süfke: Ich sehe mich darin bestätigt, dass Geschlechter-Stereotype allen Veränderungen zum Trotz sehr stark fortbestehen. Beim Spielzeug habe ich sogar das Gefühl, dass wir uns zurückentwickeln. Erst kürzlich habe ich einen Baukasten für meine Tochter gesucht, da stand im Internet tatsächlich beim Eiffelturm dabei „geeignet für Jungen“.
SN: Ich sehe nirgendwo einen Aufstand gegen die Geschlechter-Stereotype beim Spielzeug. Genau für diesen Aufstand habe ich mein Buch „Männer. Erfindet. Euch. Neu.“geschrieben. Ich weiß nicht, warum es gerade im Bereich Spielzeug so wenig Widerstand gibt. Pädagogen beiderlei Geschlechts und Frauen der Frauenbewegung müssten dagegen Sturm laufen, wie sie gegen andere Stereotype Sturm gelaufen sind. Es ist ernüchternd, dass das nicht stattfindet.
Aber in der Erziehung gibt es diese Stereotype nicht nur beim Spielzeug. Die Praxis in den Familien ist sehr stereotyp. Die Mutter ist die Chefin bei der Erziehung und der Vater ist bestenfalls der Assistent.
SN: Heißt das vielleicht, dass beide sich dabei wohlfühlen? Ich glaube, es ist kein Wohlfühlen, sondern ein Problem der Aufklärung. Wenn der Vater dem weinenden Kind zu Hilfe eilen will und ihn die Mutter dabei überholt, weil doch vermeintlich sie zuständig ist und es besser kann, dann ist das keine böse Absicht. Weder würde die Mutter bewusst sagen: „Mein Mann kann das nicht“, noch würde der Vater bewusst sagen: „Es ist ohnehin besser, das macht meine Frau.“ Hier geht es vielmehr um klassische Stereotype, die in unsere Psyche eingraviert sind. Wir haben diese Rollenverteilung jahrhundertelang so aufgenommen. Das ist nur durch Aufklärung zu ändern. Mütter und Väter müssen sich diese Stereoty pisierungsvorgänge, die man ihnen nicht zum Vorwurf machen kann, am besten schon vor der Geburt eines Kindes bewusst machen.
SN: Aufklärung? Kann das Gehirn den Bauch besiegen, das Unbewusste bezwingen? Das ist vielleicht ein bisschen zu plakativ formuliert, aber doch, ja, Aufklärung kann funktionieren. Richtig ist, dass es auch ein Stück Gefühl braucht, ein Stück Empörung des Vaters, dass ihm nicht zugetraut wird, sein Kind zu trösten. Aber man kann mit Information viel bewirken. Wir können nichts erkennen, was wir nicht kennen. Wenn wir über ein Phänomen intellektuell nicht Bescheid wissen, erkennen wir es auch nicht im Alltag.
SN: Sie fordern die Männer auf, sich neu zu erfinden, und erwarten von den Frauen, dass diese es zulassen. Schieben Sie den Ball den Frauen zu? Es geht überhaupt nicht darum, den Frauen die Schuld zuzuweisen. Sie sind an den Stereotypen genauso wenig schuld wie die Männer. Ich will nur darauf hinweisen, dass beide für das Zusammenspiel verantwortlich sind. Wenn ein Mann sich in die Familie einbringen will, Vater sein will, braucht er eine Partnerin, die bereit ist, davon die Hälfte abzugeben. Ebenso braucht die emanzipierte Frau einen Partner dazu.
SN: Männer streichen die patriarchale Dividende ein. Sie profitieren von der Benachteiligung der Frauen. Was wäre der Lohn, wenn Männer darauf verzichteten? Das ist theoretisch ganz einfach. Männer müssen verstehen lernen, was sie dafür verpassen, welchen Preis sie dafür zahlen, dass sie diese patriarchale Dividende – auch als finanzielle Besserstellung – bekommen. Sie verpassen z. B. den Kontakt zu den eigenen Kindern. Sie verpassen es, ein aktiver Vater sein zu dürfen – nicht zu müssen.
Wir müssen davon wegkommen, dass das eine Forderung ist. Mir ist es egal, ob die Gesellschaft einfordert, dass ich ein aktiver Vater bin. Ich selbst möchte dieses Privileg haben, in der Familie aktiv sein und eine innerliche Beziehung zu meinen Kindern aufbauen zu dürfen. Genau das ist der Punkt: Wir Männer müssen verstehen, was der Lohn ist. Der ist eine bessere Beziehung zu uns selbst, eine bessere Beziehung in der Partnerschaft und zu unseren Kindern. Aus meiner Sicht ist dieser Lohn enorm und rechtfertigt durchaus, auf ein Stück bessere Bezahlung zu verzichten.
SN: Ist das Problem nicht, dass Männer ihre Belohnung eher in der Außenwelt sehen? Uns Männern wurde von Kind auf diese Außenorientierung beigebracht. Die Innenorientierung, der Bezug zu unserem Selbst, zu unseren Gefühlen, zu unseren Bedürfnissen und Sehnsüchten, wird uns von klein auf abtrainiert.
Ein Mann ist gewohnt, sich an äußeren Benefits zu orientieren. Daher sind die inneren Benefits für ihn sehr schwer wahrzunehmen. Wenn ein Mann aber nicht gelernt hat, die inneren Vorteile zu sehen, können sie auch kein Ausgleich sein für etwas geringere äußere Vorteile. SN: Warum sind die Bilder vom anderen, vom neuen Mann so wenig verlockend? Erstens sind die Begriffe „neuer Mann“und ähnliche sehr mit negativen Bildern behaftet. Zweitens meint Emanzipation ja gerade eine Loslösung von fixen Rollenvorstellungen und nicht die Entwicklung eines revolutionären, aber ebenso festgezurrten Gegenmodells. Der Charme der traditionellen Rollenverteilung ist, dass alle dieses Modell kennen, gewohnt sind und dass es funktioniert. Es ist sehr einfach.
Es wäre gewiss leichter, Männer davon wegzubekommen, wenn es ein ebenso einfaches, äußerlich sichtbares und allgemein verbindliches Alternativmodell gäbe. Das gibt es vielleicht in hundert Jahren, das weiß ich nicht, aber jetzt jedenfalls nicht. Vorerst müsste jeder Mann sein Modell für sich selbst erfinden: Wie viel äußeren Benefit möchte ich haben, wie viel inneren Benefit, in welcher Kombination? Was ist mir bedeutsamer, wenn ich auf einen Vorteil verzichten muss? All das müssen Männer für sich selbst herausfinden. Es gibt dafür auch kein Analog zur Frauenbewegung, die für Frauen viele Leitbilder entwickelt hat. Das ist in der Tat eine große Herausforderung für Männer, die nicht jeder stemmen kann. SN: Sind Typen wie Trump ein neuerlicher Rückschlag? Ich sehe das mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Putin, Erdoğan oder Trump sind Personifikationen des traditionellen Männerbilds. Das ist eine Reaktion darauf, dass es eine Verunsicherung im Männerbild gibt und daher auf „das altbewährte“zurückgegriffen wird. Das ist das weinende Auge.
Das lachende Auge ist die Tatsache, dass dieser Rückschritt ja nur passiert, weil offenbar etwas in Bewegung geraten ist. Insofern hege ich einen gewissen Optimismus und hoffe, dass die Rückschritte nur die Zuckungen eines traditionellen Männerbilds sind, das vielleicht noch hundert oder zweihundert Jahre Bestand hat. Aber auf lange Sicht lässt sich das Rad nicht zurückdrehen. Auch nicht durch Typen wie Donald Trump, die im Grunde lächerlich sind und von vielen als geradezu groteske Form von Männlichkeit erlebt werden.
Björn Süfke ruft u. a. in seinen Büchern „Männerseelen“und „Männer. Erfindet. Euch. Neu.“zu einer positiven Emanzipation der Männer auf, siehe: WWW.MAENNER-THERAPIE.DE. Die Katholische Männerbewegung Salzburg lädt zum „Männertag“mit dem Psychologen und Therapeuten ein: Freitag, 24. März, 19.30 Uhr: Vortrag; Samstag, 25. März, 9.00–17.00 Uhr: Seminar. In St. Virgil Salzburg. Info/Anmeldung: ☎ 0662 / 8047-7558. KIRCHEN.NET/KMB/VERANSTALTUNGEN