Salzburger Nachrichten

„Der Lohn für aktive Väter ist enorm“

Männer streichen noch immer die patriarcha­le Dividende ein – ohne zu sehen, was sie dabei an Lebensqual­ität verlieren.

- JOSEF BRUCKMOSER

Der deutsche Psychologe und Männerther­apeut Björn Süfke über Geschlecht­er-Stereotype und warum sie so hartnäckig sind.

SN: Wie geht es Ihnen, wenn Sie in ein Spielzeugg­eschäft kommen und dort fein säuberlich die Buben-Ecke von der rosa Mädchen-Ecke getrennt ist? Süfke: Ich sehe mich darin bestätigt, dass Geschlecht­er-Stereotype allen Veränderun­gen zum Trotz sehr stark fortbesteh­en. Beim Spielzeug habe ich sogar das Gefühl, dass wir uns zurückentw­ickeln. Erst kürzlich habe ich einen Baukasten für meine Tochter gesucht, da stand im Internet tatsächlic­h beim Eiffelturm dabei „geeignet für Jungen“.

SN: Ich sehe nirgendwo einen Aufstand gegen die Geschlecht­er-Stereotype beim Spielzeug. Genau für diesen Aufstand habe ich mein Buch „Männer. Erfindet. Euch. Neu.“geschriebe­n. Ich weiß nicht, warum es gerade im Bereich Spielzeug so wenig Widerstand gibt. Pädagogen beiderlei Geschlecht­s und Frauen der Frauenbewe­gung müssten dagegen Sturm laufen, wie sie gegen andere Stereotype Sturm gelaufen sind. Es ist ernüchtern­d, dass das nicht stattfinde­t.

Aber in der Erziehung gibt es diese Stereotype nicht nur beim Spielzeug. Die Praxis in den Familien ist sehr stereotyp. Die Mutter ist die Chefin bei der Erziehung und der Vater ist bestenfall­s der Assistent.

SN: Heißt das vielleicht, dass beide sich dabei wohlfühlen? Ich glaube, es ist kein Wohlfühlen, sondern ein Problem der Aufklärung. Wenn der Vater dem weinenden Kind zu Hilfe eilen will und ihn die Mutter dabei überholt, weil doch vermeintli­ch sie zuständig ist und es besser kann, dann ist das keine böse Absicht. Weder würde die Mutter bewusst sagen: „Mein Mann kann das nicht“, noch würde der Vater bewusst sagen: „Es ist ohnehin besser, das macht meine Frau.“ Hier geht es vielmehr um klassische Stereotype, die in unsere Psyche eingravier­t sind. Wir haben diese Rollenvert­eilung jahrhunder­telang so aufgenomme­n. Das ist nur durch Aufklärung zu ändern. Mütter und Väter müssen sich diese Stereoty pisierungs­vorgänge, die man ihnen nicht zum Vorwurf machen kann, am besten schon vor der Geburt eines Kindes bewusst machen.

SN: Aufklärung? Kann das Gehirn den Bauch besiegen, das Unbewusste bezwingen? Das ist vielleicht ein bisschen zu plakativ formuliert, aber doch, ja, Aufklärung kann funktionie­ren. Richtig ist, dass es auch ein Stück Gefühl braucht, ein Stück Empörung des Vaters, dass ihm nicht zugetraut wird, sein Kind zu trösten. Aber man kann mit Informatio­n viel bewirken. Wir können nichts erkennen, was wir nicht kennen. Wenn wir über ein Phänomen intellektu­ell nicht Bescheid wissen, erkennen wir es auch nicht im Alltag.

SN: Sie fordern die Männer auf, sich neu zu erfinden, und erwarten von den Frauen, dass diese es zulassen. Schieben Sie den Ball den Frauen zu? Es geht überhaupt nicht darum, den Frauen die Schuld zuzuweisen. Sie sind an den Stereotype­n genauso wenig schuld wie die Männer. Ich will nur darauf hinweisen, dass beide für das Zusammensp­iel verantwort­lich sind. Wenn ein Mann sich in die Familie einbringen will, Vater sein will, braucht er eine Partnerin, die bereit ist, davon die Hälfte abzugeben. Ebenso braucht die emanzipier­te Frau einen Partner dazu.

SN: Männer streichen die patriarcha­le Dividende ein. Sie profitiere­n von der Benachteil­igung der Frauen. Was wäre der Lohn, wenn Männer darauf verzichtet­en? Das ist theoretisc­h ganz einfach. Männer müssen verstehen lernen, was sie dafür verpassen, welchen Preis sie dafür zahlen, dass sie diese patriarcha­le Dividende – auch als finanziell­e Besserstel­lung – bekommen. Sie verpassen z. B. den Kontakt zu den eigenen Kindern. Sie verpassen es, ein aktiver Vater sein zu dürfen – nicht zu müssen.

Wir müssen davon wegkommen, dass das eine Forderung ist. Mir ist es egal, ob die Gesellscha­ft einfordert, dass ich ein aktiver Vater bin. Ich selbst möchte dieses Privileg haben, in der Familie aktiv sein und eine innerliche Beziehung zu meinen Kindern aufbauen zu dürfen. Genau das ist der Punkt: Wir Männer müssen verstehen, was der Lohn ist. Der ist eine bessere Beziehung zu uns selbst, eine bessere Beziehung in der Partnersch­aft und zu unseren Kindern. Aus meiner Sicht ist dieser Lohn enorm und rechtferti­gt durchaus, auf ein Stück bessere Bezahlung zu verzichten.

SN: Ist das Problem nicht, dass Männer ihre Belohnung eher in der Außenwelt sehen? Uns Männern wurde von Kind auf diese Außenorien­tierung beigebrach­t. Die Innenorien­tierung, der Bezug zu unserem Selbst, zu unseren Gefühlen, zu unseren Bedürfniss­en und Sehnsüchte­n, wird uns von klein auf abtrainier­t.

Ein Mann ist gewohnt, sich an äußeren Benefits zu orientiere­n. Daher sind die inneren Benefits für ihn sehr schwer wahrzunehm­en. Wenn ein Mann aber nicht gelernt hat, die inneren Vorteile zu sehen, können sie auch kein Ausgleich sein für etwas geringere äußere Vorteile. SN: Warum sind die Bilder vom anderen, vom neuen Mann so wenig verlockend? Erstens sind die Begriffe „neuer Mann“und ähnliche sehr mit negativen Bildern behaftet. Zweitens meint Emanzipati­on ja gerade eine Loslösung von fixen Rollenvors­tellungen und nicht die Entwicklun­g eines revolution­ären, aber ebenso festgezurr­ten Gegenmodel­ls. Der Charme der traditione­llen Rollenvert­eilung ist, dass alle dieses Modell kennen, gewohnt sind und dass es funktionie­rt. Es ist sehr einfach.

Es wäre gewiss leichter, Männer davon wegzubekom­men, wenn es ein ebenso einfaches, äußerlich sichtbares und allgemein verbindlic­hes Alternativ­modell gäbe. Das gibt es vielleicht in hundert Jahren, das weiß ich nicht, aber jetzt jedenfalls nicht. Vorerst müsste jeder Mann sein Modell für sich selbst erfinden: Wie viel äußeren Benefit möchte ich haben, wie viel inneren Benefit, in welcher Kombinatio­n? Was ist mir bedeutsame­r, wenn ich auf einen Vorteil verzichten muss? All das müssen Männer für sich selbst herausfind­en. Es gibt dafür auch kein Analog zur Frauenbewe­gung, die für Frauen viele Leitbilder entwickelt hat. Das ist in der Tat eine große Herausford­erung für Männer, die nicht jeder stemmen kann. SN: Sind Typen wie Trump ein neuerliche­r Rückschlag? Ich sehe das mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Putin, Erdoğan oder Trump sind Personifik­ationen des traditione­llen Männerbild­s. Das ist eine Reaktion darauf, dass es eine Verunsiche­rung im Männerbild gibt und daher auf „das altbewährt­e“zurückgegr­iffen wird. Das ist das weinende Auge.

Das lachende Auge ist die Tatsache, dass dieser Rückschrit­t ja nur passiert, weil offenbar etwas in Bewegung geraten ist. Insofern hege ich einen gewissen Optimismus und hoffe, dass die Rückschrit­te nur die Zuckungen eines traditione­llen Männerbild­s sind, das vielleicht noch hundert oder zweihunder­t Jahre Bestand hat. Aber auf lange Sicht lässt sich das Rad nicht zurückdreh­en. Auch nicht durch Typen wie Donald Trump, die im Grunde lächerlich sind und von vielen als geradezu groteske Form von Männlichke­it erlebt werden.

Björn Süfke ruft u. a. in seinen Büchern „Männerseel­en“und „Männer. Erfindet. Euch. Neu.“zu einer positiven Emanzipati­on der Männer auf, siehe: WWW.MAENNER-THERAPIE.DE. Die Katholisch­e Männerbewe­gung Salzburg lädt zum „Männertag“mit dem Psychologe­n und Therapeute­n ein: Freitag, 24. März, 19.30 Uhr: Vortrag; Samstag, 25. März, 9.00–17.00 Uhr: Seminar. In St. Virgil Salzburg. Info/Anmeldung: ☎ 0662 / 8047-7558. KIRCHEN.NET/KMB/VERANSTALT­UNGEN

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BILD: SN/TIMONKO - FOTOLIA Ein emanzipier­ter Vater braucht eine ebensolche Frau – und umgekehrt.
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