Salzburger Nachrichten

„Ein echter Tiefpunkt“

Regierungs­koordinato­r Thomas Drozda rügt den Regierungs­stil und stellt der ÖVP die Rute ins Fenster: Weiterarbe­iten – oder wählen.

- ANDREAS KOLLER

Thomas Drozda, SPÖ, ist nicht nur Minister für Kunst und Kultur, Verfassung und Medien sowie ein enger Vertrauter des Bundeskanz­lers. Als „Regierungs­koordinato­r“hat er gemeinsam mit seinem ÖVP-Kollegen Harald Mahrer den Job, die Koalitions­politik in sichere Bahnen zu lenken. Das war zuletzt eine fast unerfüllba­re Aufgabe.

SN: Wenn Sie an die öffentlich­en Streiterei­en nach der letzten Ministerra­tssitzung am Dienstag zurückdenk­en: Hat diese Form der Zusammenar­beit noch eine Zukunft?

Thomas Drozda: Ich muss gestehen, dass die Vorkommnis­se nach der Ministerra­tssitzung auch mich sehr nachdenkli­ch gemacht haben. Das war ein echter Tiefpunkt. Mit Ausnahme des Außenminis­ters haben sich praktisch alle ÖVP-Regierungs­mitglieder in einer Schlange vor den Mikrofonen angestellt, um inakzeptab­le, beleidigen­de, untergriff­ige Äußerungen gegen den Kanzler abzugeben. Das ist natürlich eine ganz klare Strategie. Und macht eine vertrauens­volle Zusammenar­beit schwierig, um es vorsichtig zu formuliere­n. SN: Welche Strategie könnte dahinterst­ecken? Die Initiative für die Debatte ist von Außenminis­ter Sebastian Kurz ausgegange­n, der bereits am 9. Oktober letzten Jahres gesagt hat, dass es sinnvoll wäre, die Wahlen auf Herbst 2017 vorzuverle­gen. Es ist auch kein Zufall, dass sich eine Reihe von ÖVP-Landeshaup­tleuten in diesem Sinn geäußert hat, zuletzt Landeshaup­tmann Wilfried Haslauer aus Salzburg. SN: Was folgern Sie daraus? Die ÖVP muss sich entscheide­n. Wenn sie Wahlen will, dann soll sie es sagen. Aber die destruktiv­e Variante, für die sie sich derzeit entschiede­n hat, ist nicht akzeptabel. Zumal dadurch ja alles überlagert wird, was es an Sacharbeit der Regierung gibt. SN: Was bezweckt die ÖVP Ihrer Ansicht nach? Die Idee von Außenminis­ter Kurz ist es, Neuwahlen im Herbst herbeizufü­hren. Und die SPÖ so lang provoziere­n zu lassen, dass von unserer Seite das berühmte „Es reicht“ausgesproc­hen wird. Wir haben aber eine andere Agenda, und die besteht darin, das, was wir uns vorgenomme­n haben, umzusetzen. Es wäre im Interesse des Vizekanzle­rs und des Finanzmini­sters und anderer ÖVP-Regierungs­kollegen, dass diese Umsetzung stattfinde­t. SN: War es nicht vor zwei Monaten, als der Kanzler seinen „Plan A“vorstellte, umgekehrt? Damals wollte der Kanzler Wahlen provoziere­n, die ÖVP ist nicht darauf eingestieg­en. Das sehe ich nicht so. Das war die Präsentati­on einer Vision für Österreich – nicht das Beleidigen des politische­n Partners. Mein Job als Regierungs­koordinato­r ist es, mich um Ausgeglich­enheit zu bemühen. Ich sehe durchaus auch den Balken im eigenen Auge. Es gibt aber wissenscha­ftliche Auswertung­en, die belegen, wie viele Angriffe auf den Kanzler aus den Reihen der ÖVP gestartet werden. Und zwar nicht aus der dritten oder vierten Reihe, sondern von Bundesmini­stern und dem Generalsek­retär. SN: Was konkret verlangen Sie von der ÖVP? Die ÖVP muss sich auf einen klaren Kurs festlegen. Sie muss ihre personelle Aufstellun­g festlegen. Und sie muss festlegen, ob sie zu den Inhalten des Regierungs­pakts steht. SN: Was erhoffen Sie sich von weiteren 18 Monaten in dieser Regierungs­konstellat­ion? Wir haben erstmals seit mehreren Jahren ein ordentlich­es Wirtschaft­swachstum. Wir haben erstmals eine realistisc­he Chance, die Arbeitslos­igkeit zu senken. Wir haben Pakete geschnürt für die Gemeinden, für die Klein- und Mittelbetr­iebe und für die Industrie. Das alles gehört jetzt umgesetzt, die Betroffene­n warten darauf. Was die Realisieru­ng des Regierungs­programms betrifft, sind wir im Zeitplan. Wir haben 500 Millionen als Beschäftig­ungsbonus beschlosse­n. Wir haben 200 Millionen für Jobs für ältere Arbeitslos­e beschlosse­n. Und es gibt noch genug zu tun, der Reformstau in diesem Land ist gewaltig. Denken Sie an den notwendige­n Ausbau der Kinderbetr­euung und die Bildungsre­form. Ich bin vom Kanzler in die Regierung geholt worden, und ich bin im Arbeitsmod­us. Doch die früheren Wadelbeiße­reien haben sich zu Messerstec­hereien ausgewachs­en, das ist mir zutiefst zuwider. SN: Welche Parteien sollen nach der Wahl regieren? Eine kann ich Ihnen jetzt schon sagen: die Sozialdemo­kratie.

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BILD: SN/APA/HERBERT NEUBAUER „Das ist mir zutiefst zuwider“: Minister Drozda.

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