. . . und schnell holt sich Herr Dylan den Preis
Bob Dylan bekommt die Nobelpreis-Medaille. Danach zeigt er, warum er den Preis verdient hat: Er erzählt singend von der ganzen Welt.
Am Wochenende kommt Bob Dylan nach Stockholm. Zwei Abende. Zwei Konzerte. Wie an so vielen Orten auf seiner Never Ending Tour. Düsseldorf, Nottingham, Winnipeg . . . 54 Konzerte bis Juli. Zum Auftakt aber Stockholm.
Da hat er seit 1996 laut Dylan-Datenbank schon vier Mal gespielt. Außergewöhnlich wird der Besuch in der schwedischen Hauptstadt dieses Mal, weil der 75-Jährige – nebenbei – seine Nobelpreis-Medaille abholen wird. Im engsten Kreis. Keine Fotos. Ob er mit Sonnenbrille so dreinschaut wie bei einer Ehrung durch Barack Obama vor fünf Jahren, wird nur erzählt werden können. Daraus wird – wie aus seinem Nicht-Kontakt zur Akademie nach der Zuerkennung des Literaturnobelpreises und seinem Fehlen bei der offiziellen Zeremonie und seiner bisher nicht gehaltenen Rede – eine Legende wachsen. Nach dem Nobelpreis wird er tun, was er auch davor getan hat: Der fahrende Sänger geht auf die Bühne.
Dort mischte er seit zwei Jahren die eigenen Songs mit jenen aus dem „Great American Songbook“. Das ist die Schatzkiste der US-amerikanischen Unterhaltungsmusik, gefüllt zwischen den 1930er- und 1960er-Jahren. Es geht um den Stoff, den Interpreten und Crooner wie Frank Sinatra zu Hits gemacht haben. Songs tauchen da auf aus einer Zeit, bevor die Trennung zwischen Songschreiber und Interpreten aufgehoben wurde – auch wegen des Sängerpoeten Dylan.
Roh und abgenutzt kommt vieles daher, was Dylan bei seinem historischen Streifzug bietet. Es kratzt. Die Stimme zögert, verschleppt, ja nickt fast ein. Dann wieder blüht sie auf, strahlt. Bob Dylan setzt mit dem Werk „Triplicate“, das heute, Freitag, erscheint, den Weg fort, den er mit seinen letzten beiden Alben „Shadows in the Night“und „Fallen Angels“eingeschlagen hat.
Ausufernd huldigt er diesem „Great American Songbook“. Es sind dabei nicht die zahllosen sattsam bekannten Interpreten dieser Lieder, vor denen er sich verbeugt. Dylan singt so typisch, so unverkennbar, dass ohnehin alle Vergleiche nutzlos sind.
Es sind die Songs, vor denen er sich verbeugt. Sollte es nicht bedingungslose Liebe sein, die Dylan zu diesem Unterfangen treibt, so muss es tiefe Zuneigung genannt werden. Das betrifft vor allem die Bedeutung dieser Song – für ganze Generationen, in erster Linie aber für Dylans Leben. Wie sie ihm nahegehen, wie er sich beim Singen wohl erinnert, wann sie in sein Leben gekommen sind, das alles lässt sich hier hören. Dylan (er)lebt diese Songs, füllt sie frisch mit neuem Leben. Wenn er etwa eine bekannte Zeile wie „you must remember this, a kiss is just a kiss“singt, füllt er jede Silbe, jedes Wort mit Gewicht.
Er arbeitet akribisch, wie die Interpreten klassischer Musikliteratur es tun. Im Studio gab es keine Zufälle. Alles war akkurat arrangiert und ausgetüftelt. Jede kleinste Spur in einer Melodie sucht er. In jedes Wort schlüpft er, um seine Bedeutung sichtbar zu machen. Mit der Form der Veröffentlichung will er an das LP-Format erinnern. 30 Songs gibt es. Dauer insgesamt gut 90 Minuten. Verteilt auf drei CDs, weil deren Spieldauer dann jener von Langspielplatten entspricht.
Die Grundstimmung der Songs führt in die Nacht. Dylan schafft einen Sound für jene Stunden, in denen man sich nicht endgültig entscheiden kann, ob man noch langsam tanzen möchte oder nur mehr an der Bar hocken bleibt.
Der voreiligen Annahme, er würde diese einst allgegenwärtigen Songs vor dem Vergessen retten, widerspricht Dylan. „Nicht mehr , als würde ich versuchen, Beethoven, Brahms oder Mozart zu retten. Diese Songs sind ja nicht hinter einer Mauer versteckt und liegen auch nicht auf dem Grund des Meeres“, sagt er in einem Interview mit Bill Flanagan, einen Autor und TV-Produzenten. Diese Lieder seien da, jeder könne sie finden, und er habe sie auch „für den Mann auf der Straße, für normale Leute“aufgenommen. Dylan wird von diesen Songs jedenfalls immer schon begleitet. Was er sucht, wenn er sie sich zu eigen macht, sind Emotionen, sind kleine Brüche, jene Stellen, an denen zwei, drei Worte die Tür in eine neue Welt öffnen. Nostalgie ist Dylan fremd. Nichts eifere hier der Vergangenheit nach, sagt er.
Wer in den vergangenen drei Jahrzehnten Dylan irgendwo auf der Never Ending Tour begegnet ist, kann die Parallelen im Umgang mit dem bekannten fremden und dem hitgewordenen eigenen Material erkennen. Dylan zerlegt und zerzaust auf der Bühne, was er einst selbst geschrieben hat. Aus Folksongs werden rumpelnde Countrystampfer, wo er Untergangsszenarien beschwört, kommt das picksüß daher, der Blues fährt drüber, wo einst Romantisches spross. Seine Neufassungen machen klar, dass es um eine ständige Bewegung im und um das Material geht. Vielleicht passiert das aus Langweile. Wahrscheinlicher ist, dass er seine Kunst bewegen will, sie in keiner starren Form sterben lassen möchte. Nur die Ruhelosigkeit lässt sie groß sein.
Es mögen die gleichen, bisweilen uralten Geschichten sein, die er da erzählt. Aber er erzählt sie dauernd anders. Das hatte im vergangenen Herbst auch die Nobel-Jury erkannt. Sie verlieh den Preis nicht an einen Poeten in der Schreibklausur, sondern an einen fahrenden Sänger. Es darf angenommen werden, dass der schnell hinhuscht zur Medaillen-Vergabe, um dann wieder singend erzählen zu können.
„Nostalgie? Das würde ich nicht sagen. Es ist kein Trip hinunter auf der Straße der Erinnerung.“Bob Dylan, Sängerpoet