Theater zum Leben bringen
Die Loidolts. Lang bevor die Festspiele Reichenau beginnen, bekommen die Schauspieler Kostüme und Auftritte.
Renate und Peter Loidolt leben fürs Theater. Sie leben auch beim Theater, nämlich in der Nähe des Theaters in Reichenau an der Rax, wo sie seit 1988 Theaterfestspiele veranstalten und damit die Tradition von Kunst und Kultur in der Sommerfrische am Semmering weiterführen. Zudem leben „die Loidolts“, wie Publikum und Branchenkenner sie längst nennen, auch mit dem Theater. Denn sie haben sich die Figuren und die Bühnen sogar mit nach Hause genommen.
Wo die Loidolts wohnen, lässt die Frühjahrswärme auf sich warten. Abseits des Sommers zieht sich das Leben in dieser Gegend in eine lange Ebbe zurück. Der Verkehr scheint in verlängerten Winterschlaf gefallen, so ruhig ist es auf der Straße zum Preiner Gscheid, dem gut 1000 Meter hohen Gebirgspass südlich der Rax. Doch wie es da bei den Loidolts schon zugeht! In einem Lustgarten steht ein Labyrinth aus Hecken bereit. An einem großen Kartenhaus wird getüftelt. Und alle Schauspieler sind auch schon da.
Hilde Wangel ist in geblümtem Sommerkleid gekommen, um den Baumeister Solness zu besuchen. Kathi Straßer trägt eine kesse weiße Feder auf dem blauen Hut, mit dem sie zur Lady Chatterly wird, um darin alle Spielarten der Liebe vorzuführen – von sexuellem Begehren bis erotischer Zuneigung und weiblicher Ehepflicht. Marcello de Nardo hat eine schwarze Soutane angezogen, um als Dorfkaplan „Im Spiel der Sommerlüfte“spazieren zu gehen. Therese Affolter gönnt sich ein hauchdünnes, rosa Charlestonkleid mit mächtiger Stoffblüte auf der Schulter und imposanter, in der Mitte ihrer Brust verknoteter Silberkette, um dem Direktor des Hotels „Zur schönen Aussicht“Respekt abzutrotzen. Alle 34 Schauspieler des kommenden Sommers und ein paar aus den Vorjahren haben hier bei den Loidolts gemütlich Platz. Denn sie sind fingergroß.
So winzig hat Peter Loidolt mit dem Stanleymesser dünnes Styropor ausgeschnitten und darauf verkleinerte Fotos der kostümierten Schauspieler geklebt, wie sie bereits den heurigen Festspielprospekt illustrieren. Damit diese Figürchen in den von ihm gebauten Bühnenmodellen zwischen den Hecken fürs „Spiel der Sommerlüfte“oder vor dem Kartenhaus für „Baumeister Solness“gut stehen, hat er sie auf je einen Cent geklebt – „meistens Dollar-Cent, die mir übrig bleiben“.
Denn jetzt, wenn an der Rax der Frühling noch schwächelt, gehen die Loidolts gern auf Reisen – und das mit gutem Gewissen. „Wir sind mit allem durch, die Lokomotive ist auf Schiene gestellt“, sagt Peter Loidolt. Alle Bühnenbilder sind konzipiert, alle Kostüme sind mit Erika Navas fertig besprochen, alles ist in Produktion. Vor allem für „Lady Chatterly“seien „Prachtkostüme“in Vorbereitung, verrät Renate Loidolt. Hüte würden angefertigt, man lasse Stoffe aus England kommen, und „teuerste Knöpferlschuhe“würden besorgt. Denn: „Wer ins Theater geht, möchte etwas Schönes fürs Auge geboten bekommen – exquisites Material, gut gearbeitet.“
Renate Loidolt hat auch ihre Stückfassungen für „Amok“und „Lady Chatterly“fertig. Und die Regisseure waren alle schon bei den Loidolts in Reichenau an der Rax zu Besuch, um ihre Inszenierungen zu besprechen und dabei mit den Figuren auf den Cent-Stücken in den Modellen allerlei Auftritte, Szenen und Konstellationen zu simulieren.
So kommt bei den Loidolts das sommerliche Theater schon im Winter zum Leben. Und diese Figuren, die im Atelier über Tische, durch Modelle und auf Kommoden wandern, repräsentieren nicht bloß Rollen, sondern auch Schauspieler. Denn wie bei ihrem großen Stammpublikum setzten die Intendanten auch in den Produktionsteams auf Treue. „Wir suchen Künstler, die mit uns an einem Strang ziehen“, sagt Peter Loidolt.
Joseph Lorenz ist so einer. Seit 1998 spielt er eine Hauptrolle nach der anderen – zuletzt Hofreiter, Professor Bernhardi, Melzer und nun Baumeister Solness. Heuer führt er sogar Regie. Längst ist er Markenzeichen dieser Festspiele: Trifft man ihn im Wiener Café Bräunerhof zum Interview, bleibt ein Herr stehen, sagt: „Oh, Reichenau!“, verneigt sich und entschwindet.
Neben solchen „stabilen Künstlern“, wie Renate Loidolt auch Peter Matić und Julia Stemberger nennt, legt sie Wert auf junge Schauspieler, denen sie wenn, dann sogar große Rollen zumutet. So eine Reichenauer Debütantin hatte im Vorjahr solchen Erfolg als Mizzi Schlager, dass sie von Berlin nach Wien übersiedelt ist: Maria Schuchter. Die sei Ärztin, habe aber zuletzt ihre Schauspielausbildung intensiviert und werde ihren Urlaub vom Spital im „Spiel der Sommerlüfte“verbringen, erzählt Renate Loidolt.
Ein weiterer Neuling ist Tobias Reinthaller. Den habe sie im Vorjahr eingeladen und gebeten, spontan eine Szene mit Maria Schuchter zu spielen. „Er war blendend, das war ein gezielter Fang.“Schon jetzt flanieren die beiden im Loidolt’schen Atelier der Fantasie.
„Wer ins Theater geht, möchte Schönes geboten bekommen.“Renate Loidolt, Intendantin