Am Laufen haftet etwas Peinliches
Einst war ein auf offener Straße Laufender dermaßen auffällig, dass es entweder ein Unflätiger, ein Dieb oder ein Irrer gewesen sein musste. Man schaute entsetzt nach oder genant weg. Heute rührt uns kaum noch, wenn jemand mitten durch die Stadt läuft – er hat’s halt eilig. Oder es ist ein Jogger, somit Vorbild für gesundheitsbewusstes Herz-Kreislauf-Training.
Aus der einstigen Peinlichkeit, vor anderen zu laufen, hat Stefan Zweig für seine Erzählung „Amok“geschürft. Sein Amokläufer braucht daher keine Waffe, um bei denen, die ihn sehen oder von ihm lesen, Entsetzen zu wecken. Als diese Novelle 1922 erschien, genügte es für den Ausdruck von wahnsinnsgleicher Verwirrung, vor den elegant gekleideten Gästen eines Empfangs des Gouverneurs durch den Festsaal zu laufen – und gar: einer Dame nachzulaufen.
Auch wem diese Signifikanz des Laufens verloren ist, wird man von dieser Novelle gepackt. Ja, sogar: „Fesselnd ist diese Literaturpranke Stefan Zweigs“, sagt Joseph Lorenz, der bei den Festspielen Reichenau zum amoklaufenden Arzt wird. Stefan Zweig sei zwar manchmal „als der parfümierte Dichter, dem’s ein bisschen zu gut geht“verspottet worden. Aber dieses Thema! „Amok“handelt von einem Tropenarzt, zu dem eine Frau kommt, um abzutreiben. „Da verliebt sich der Arzt in sie. Oder nein – er verliebt sich gar nicht, er begehrt sie.“Was dann ablaufe, schildere Stefan Zweig, „ohne Moral-Etiketten zu verteilen“. Er teile uns nur mit: „Das gibt es unter Menschen. Das gibt es zwischen Mann und Frau. Das ist höchst human.“
Wofür steht das Laufen? Laufen sei nicht nur peinlich, sondern auch peinsam, „weil es Pein verursacht“, erläutert Joseph Lorenz. „Dieser Arzt läuft, um einen großen Fehler gutzumachen – da schaut er nicht links und nicht rechts. Es ist ein fantastisches Bild, das einen Stefan Zweig in den Kopf implantiert: ein um sein Leben rennender Mensch.“
Renate Loidolt hat dafür eine szenische Lesung vorgesehen. Das sei ein spannendes Format, sagt Joseph Lorenz. „Das ist Text pur.“Und „da wird keine Interpretation über den Text gestülpt“. Da auch Bühnenbild und Kostüm nur angedeutet seien, „lässt das Raum für Fantasie“.