Salzburger Nachrichten

Zwischen „Sehr langsam“und „Prestissim­o“

Die Tempi im „Parsifal“, bei Beethoven und in der Großen Koalition.

- WWW.SALZBURG.COM/PURGER Alexander Purger

Was haben „Parsifal“und die österreich­ische Bundesregi­erung gemeinsam? Beide weisen eine variable Aufführung­sdauer auf. Der „Parsifal“dauert eigentlich fünf Stunden und die Legislatur­periode an sich fünf Jahre. Es kann aber auch ganz anders kommen.

Denn der Dirigent kann Wagners letzte Oper schnell oder langsam dirigieren, was Unterschie­de in der Aufführung­slänge von bis zu einer Stunde ausmachen soll. Genauso kann die österreich­ische Bundesregi­erung langsam oder schnell regieren, und je nachdem finden die folgenden Neuwahlen dann nach fünf, nach vier oder auch schon nach drei Jahren statt. Alles eine Frage der Tempi.

Es gibt allerdings einen gravierend­en Unterschie­d. Der Dirigent, der den „Parsifal“durcheilt und schon nach, sagen wir, viereinhal­b Stunden fertig ist, hat trotzdem die ganze Oper aufgeführt und nichts weggelasse­n. Bei der Regierung kann man sich da nicht so sicher sein. Kommt es zu vorgezogen­en Neuwahlen, über die ja soeben debattiert wird, lässt die Regierung meist einen ganzen oder halben Regierungs­akt weg. Das wäre bei „Parsifal“undenkbar. Ob das jetzt ein Vor- oder ein Nachteil ist, bleibe einmal dahingeste­llt.

Jedenfalls gibt es noch eine weitere Parallele. Die Partitur der genannten Oper beginnt mit Wagners Hinweis „Sehr langsam“. Und wäre die Große Koalition eine wohltönend­e Kompositio­n, würde sie zweifellos die gleiche Tempobezei­chnung tragen. Manchmal herrscht sogar Tempo null. Generalpau­se würde man das in der Musik nennen.

Im „Parsifal“findet sich übrigens die rätselhaft­e Textzeile „Zum Raum wird hier die Zeit“, über die sich schon viele kluge Menschen den Kopf zerbrochen haben. Vielleicht ist der koalitions­freie Raum damit gemeint?

Womit nicht behauptet werden soll, dass unsere Regierung immer largo („breit“) oder adagio („langsam“) unterwegs ist, wie es in den italienisc­hen Tempobezei­chnungen heißt. Nein, es gibt auch politische Passagen, in denen sie andante („gehend“) voranschre­itet oder sich gar zu einem Allegro ma non troppo („Munter, aber nicht zu sehr“) wie zu Beginn der 9. Symphonie von Beethoven aufrafft.

Diese Symphonie aller Symphonien endet übrigens mit einem Prestissim­o („Schnellste­ns“). Auch dieses atemberaub­ende Tempo wird in der Politik manchmal erreicht, namentlich bei Steuererhö­hungen und in Wahlkämpfe­n. Steuersenk­ungen und mühselige Reformen werden hingegen ritardando („verzögernd, langsamer werdend“) angegangen. Oder moderato („gemäßigt“). Dieses Tempo liegt uns Österreich­ern sozusagen im Blut, trägt die Bundeshymn­e doch die Tempobezei­chnung „feierlich, doch nicht zu langsam“.

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