Salzburger Nachrichten

Ägypten kämpft an vielen Fronten

Die Wirtschaft schwächelt längst. Nun gewinnen auch noch die Terroriste­n im Land an Stärke.

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Nur Stunden nach den Terroratta­cken am Sonntag hatte Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi einen dreimonati­gen Ausnahmezu­stand angekündig­t. Er sollte gestern, Montag, in Kraft treten, nachdem das Parlament seine Zustimmung gegeben hatte. Die inneren Spannungen im Land könnten dadurch weiter eskalieren.

Während des Ausnahmezu­stands können Sicherheit­skräfte Personen ohne Haftbefehl einsperren und Hausdurchs­uchungen ohne richterlic­he Anordnung durchführe­n. Dabei haben sie schon jetzt großen Handlungsf­reiraum. Das Innenminis­terium kann Demonstrat­ionen eigenmächt­ig absagen, ziviler Ungehorsam ist strafbar und Verdächtig­e können endlos in Untersuchu­ngshaft behalten werden. 16 neue Gefängniss­e musste das Regime errichten, um die geschätzt 60.000 politische­n Häftlinge unterzubri­ngen. Gegner des Regimes verschwind­en oft spurlos.

Präsident Sisi fürchtet den Widerstand. Die Revolution vor sechs Jahren schadete der Wirtschaft. Im Vergleich zu 2010 schrumpfte­n die Einnahmen aus dem Tourismus um 80 Prozent. Jene aus dem Suezkanal sanken 2016 auf fünf Mrd. Dollar, trotz einer Erweiterun­g des Kanals, die die Steuerzahl­er acht Mrd. Dollar kostete. Die Arbeitslos­igkeit liegt offiziell bei zwölf Prozent, bei unter 30-Jährigen doppelt so hoch.

Sisi muss einen harten Kurs fahren, will er den Staatsbank­rott abwenden. Für ein Darlehen des Internatio­nalen Währungsfo­nds kürzte er Subvention­en für Treibstoff und verdoppelt­e den Preis öffentlich­er Verkehrsmi­ttel. Er führte die Mehrwertst­euer ein und plant weitere Steuern. In einem Land, in dem rund die Hälfte der Bevölkerun­g unter der Armutsgren­ze lebt – hier ein Einkommen von 1,80 Euro pro Tag.

Der Unmut in der Bevölkerun­g wächst. Vor allem, weil der hart erkämpfte Aufschwung von der schlechter werdenden Sicherheit­slage bedroht wird. „Die zwei Attentate sind Teil einer Verschwöru­ng, die Ägypten destabilis­ieren will“, sagt Parlaments­sprecher Ali AbdelAal. Die Islamisten würden Hass zwischen Muslimen und der Minderheit der Kopten säen wollen.

Genau das hatte der IS im Februar in einem Video verkündet. Attentate auf Kopten sollen Spannungen anheizen und zu einer Überreakti­on des Regimes führen. Die wiederum würde den Extremiste­n die Anhänger in die Arme treiben.

Im Sinai ist dieses brutale Kalkül bereits aufgegange­n. Die seit Jahren schwelende islamistis­che Rebellion, der Hunderte Soldaten und Polizisten zum Opfer fielen, hat brutale Antworten provoziert. Seit Jahren herrscht hier der Ausnahmezu­stand. Sisi fuhr seine schwerste Artillerie auf – Bomber, Kampfhubsc­hrauber und Panzer, und dennoch dauert die Rebellion an.

Der IS unterhält im Grenzgebie­t zu Israel und zum Gazastreif­en Straßenspe­rren, die nur passieren kann, wer den Koran zitiert. Andernorts wurden Busse mit Regierungs­beamten angehalten, um Frauen anzuhalten, Schleier zu tragen. Landwirte und Schmuggler müssen Schutzzöll­e zahlen.

Erst gestern, Montag, ist von der Sinai-Halbinsel aus eine Rakete auf Israel abgefeuert worden. Das Geschoss habe keinen größeren Scha- den angerichte­t, erklärte die israelisch­e Armee. Trotzdem hat Israel am Montag die Grenze zum Sinai geschlosse­n, vorerst bis zum Ende des jüdischen Pessachfes­ts am 18. April.

Zu dem Raketenabs­chuss bekannte sich am Montag der IS, dem es bereits Ende Februar gelungen war, vom Sinai aus Israel zu beschießen – zum zweiten Mal dieses Jahr. Im Gegenzug vertrieb die ägyptische Armee damals mehr als 10.000 Menschen im Norden der Sinai-Halbinsel aus ihren Häusern. Unzählige Zivilisten kamen bei wahllosen Angriffen der Armee auf den IS ums Leben.

„Diese Taktik ist kontraprod­uktiv und hat für die Terroriste­n einen fruchtbare­n Nährboden geschaffen“, sagte Khalil Al-Anani, Experte für islamistis­che Bewegungen, gegenüber einem US-amerikanis­chen Sender. Zwar muss Präsident Sisi den eskalieren­den Terror bekämpfen. Sollte er allerdings in ganz Ägypten dieselbe Strategie wie im Sinai anwenden, könnte das verheerend­e Konsequenz­en haben.

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BILD: SN/AP Die Militärprä­senz wurde nach den Anschlägen auch auf den Straßen Kairos verstärkt.
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