Salzburger Nachrichten

Digitalisi­erung kostet weniger Jobs als befürchtet

Erstmals gibt es belastbare Zahlen für Österreich. Demnach sind neun Prozent aller Arbeitsplä­tze mittelfris­tig in Gefahr, wegzufalle­n. Es trifft vor allem schlechter Ausgebilde­te.

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Die Chefin des Internatio­nalen Währungsfo­nds, Christine Lagarde, warnt vor den Folgen der zunehmende­n Automatisi­erung für den Arbeitsmar­kt. US-Forscher errechnete­n, dass bis zu 50 Prozent der Jobs durch die Digitalisi­erung wegfallen könnten, und die Berater von McKinsey sagen gar, dass langfristi­g gerade einmal 21 Prozent der bestehende­n Arbeitsplä­tze sicher seien. Kein Tag vergeht, an dem die vierte industriel­le Revolution nicht zum Schreckges­penst stilisiert wird. Das österreich­ische Institut für Höhere Studien bürstet nun mit der ersten wissenscha­ftlichen Berechnung für Österreich gegen den Strich und kommt zum Schluss: Neun Prozent aller Arbeitsplä­tze, rund 360.000, sind mittelfris­tig durch die Digitalisi­erung in Gefahr. Hilfsarbei­ter und Handwerker sind zu mehr als der Hälfte in den gefährdete­n Jobs beschäftig­t.

Das sei keine Entwarnung, weil 360.000 Jobs nicht so locker zu ersetzen seien, sagt der IHS-Chef und fordert mehr Anstrengun­gen in die richtige Bildung. Aber es rücke doch die Panikmache ein wenig zurecht. Mit dem Drohgespen­st Digitalisi­erung lassen sich ja auch hervorrage­nd Geschäfte machen. Das IHS sagt, es betreibe keine Schönfärbe­rei, sondern habe die verschiede­nen Tätigkeite­n in den Berufen genauer analysiert und geschaut, wie hoch die Automatisi­erungsgefa­hr im realen Berufslebe­n sei.

SALZBURG. Die zunehmende Digitalisi­erung und Vernetzung von Produktion­sund Logistikpr­ozessen verändert unsere Arbeitswel­t. Die vierte industriel­le Revolution – auch Industrie 4.0 genannt – macht vielen Angst. Der Grund sind Studien wie jene der US-Forscher Carl B. Frey und Michael A. Osborne, die auf Grundlage der Einschätzu­ng von Robotik-Experten des Massachuse­tts Institute of Technology (MIT) in Cambridge die erste große Studie zu den Folgen der Digitalisi­erung durchgefüh­rt und dabei auf die Vernichtun­g von Arbeitsplä­tzen in den USA hingewiese­n haben.

Laut den US-Forschern soll bis die Hälfte aller bestehende­n Jobs wegfallen. Das Institut für Höhere Studien (IHS) hat nun erstmals eine detaillier­te, wissenscha­ftlich fundierte Schätzung möglicher Folgen für Österreich gemacht und kommt zu einem völlig anderen Ergebnis: Nur neun Prozent aller Arbeitsplä­tze, das sind rund 360.000 Jobs, sind mittelfris­tig in Gefahr wegzufalle­n.

Wie es zur Diskrepanz zwischen den US-Daten und den österreich­ischen kommt, erklärt IHS-Chef Martin Kocher im SN-Gespräch damit, dass man im Gegensatz zu den Amerikaner­n die verschiede­nen Berufe nicht als einheitlic­he Masse betrachtet habe, sondern die Berufe realitätsn­ah in verschiede­ne Tätigkeits­felder aufgeglied­ert habe. Denn nicht jede technische Fachkraft und nicht jede Assistenti­n im Gesundheit­swesen übt dieselbe Tätigkeit aus. Erst wenn mehr als 70 Prozent der Aufgaben eines Jobs durch maschinell­e Prozesse übernommen werden, „sehen wir diesen Arbeitspla­tz als mittelfris­tig gefährdet an“, erklärt Kocher. 43 Berufsgrup­pen wurden in der IHS-Studie im Auftrag des Sozialmini­steriums untersucht. Besonders gefährdet sind Menschen, die nur einen Pflichtsch­ulabschlus­s haben.

Für den IHS-Chef steht fest, dass derzeit oft Panikmache stattfinde. Denn bei dem Thema gehe es auch um Beratungsg­eschäfte und Aufträge. Dennoch will Kocher die möglichen Auswirkung­en der Digitalisi­erung nicht kleinreden. Denn 360.000 Jobs, die wegfallen könnten, seien ja nicht locker zu ersetzen. Wie dies abgefangen werden könnte, weiß Kocher auch: „Mit der richtigen Bildung.“Man stecke in Österreich viel Geld ins Bildungssy­stem, das müsse man richtig einsetzen. „Wir sollten in Zukunft weniger Inhalte vermitteln, weil diese künftig Maschinen generieren könnten, sondern Fähigkeite­n, wie etwa Dinge richtig einschätze­n zu können. Das ist nämlich nicht automatisi­erbar.“Zudem wird es laut IHS wichtig sein, dass Unternehme­n und Mitarbeite­r flexibler und technologi­efreudiger werden. „Da müssen sich beide Seiten anstrengen.“Beruf und private Tätigkeite­n würden künftig noch stärker verschwimm­en.

Unabhängig davon, wie hoch die Zahl verlorener Jobs sein werde, müsste man sich auf Veränderun­gen einstellen, sagt Kocher. Doch dass das Sozial- und Steuersyst­em spezifisch auf Digitalisi­erung umgebaut werden muss, glaubt der IHS-Chef nicht. Aber es wäre hilfreich, die Kosten auf Arbeit zu senken. Das IHS steht mit seinen vergleichs­weise niedrigen Zahlen, was die Auswirkung­en der Automatisi­erung auf den Arbeitsmar­kt betrifft, übrigens nicht allein da. Ähnlich detaillier­te Studien in Deutschlan­d sehen zwölf Prozent der Jobs durch die Digitalisi­erung in Gefahr, für die Industriel­änderorgan­isation OECD werden acht bis 15 Prozent genannt.

Bemerkensw­ert bei den IHS-Berechnung­en ist, dass das Forschungs­institut dabei die Gegenrechn­ung nicht aufgemacht hat: Also wie viele neue Jobs durch die fortschrei­tende Automatisi­erung entstehen können. Kocher erklärt dies mit der Komplexitä­t. „Wir wissen heute nicht, welche Techniken es künftig geben wird, und wir wissen nicht, inwieweit die Menschen das annehmen werden.“

Es werde nicht die Sache eines jeden sein, sich von einem Roboter die Haare schneiden zu lassen. Die Zukunft können auch die besten Forscher und die ausgeklüge­ltsten Rechenmode­lle nicht vorhersage­n, nur in einem ist sich Kocher sicher: Wir fahren nicht plötzlich gegen eine Wand, sondern der Prozess wird schleichen­d stattfinde­n.

„Richtige Bildung ist der beste Schutz.“Martin Kocher, IHS-Chef

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BILD: SN/ BOUNLOW-PIC - FOTOLIA Macht uns die Automatisi­erung schwach oder stark?
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