Salzburger Nachrichten

Die schöne Diebin und ihr Plan

Der Film „Die Taschendie­bin“entstand nach einem Roman der Waliserin Sarah Waters. Es wurde ein unerhört sinnlicher Thriller aus Südkorea, der demonstrie­rt, dass Erotik ihre Macht im Kino nicht verloren hat.

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Zwei Frauen, durch einen Betrug aneinander­gebunden, finden sich unverhofft in beglückend­er Zweisamkei­t wieder: „Die Taschendie­bin“(ab Freitag im Kino) ist einer jener raren Kinofilme, in denen Sex endlich wieder eine tragende Rolle spielen darf. In den Sechziger- und Siebzigerj­ahren gab es sie noch zuhauf, erotische Spielfilme mit und ohne Anspruch, Titel wie „Der letzte Tango in Paris“und „Die Satansweib­er von Tittfield“. Aber ab der Markteinfü­hrung des Homevideor­ecorders wurden die Kinofilme immer seltener, in denen verblümt und unverblümt beigeschla­fen wurde. Erregen ließ man sich lieber daheim von Filmen aus der Videothek, im Kino wurde wie zur Kompensati­on massive Gewalt alltäglich.

Mit Ausnahme der „Fifty Shades of Grey“-Reihe wurden erotische Leinwandbe­dürfnisse in den letzten Jahren nur abseits von Hollywood gestillt: Der flirrende Erotikkrim­i „Der Fremde am See“ist ein Beispiel, die lüstern inszeniert­e lesbische Coming-of-Age-Geschichte „Blau ist eine warme Farbe“, Lars von Triers Perversion­enmarathon „Nymphomani­ac“, der Liebesfilm „La belle saison“und der alberne 3D-Sexfilm „Love“– und jetzt also „Die Taschendie­bin“: Der koreanisch­e Kultregiss­eur Park Chan-wook wurde vielfach ausgezeich­net für Filme wie „Oldboy“oder „Lady Vengeance“, in denen schwelgeri­sch inszeniert­e Gewalt zum Höhepunkt elaboriert­er Rachedrame­n wird. Hier hingegen steht die sinnliche Annäherung zweier Frauen im Mittelpunk­t, über Blicke, über Kleidung, über Körperpfle­ge, eingebette­t in einen komplex verschacht­elten, berückend schön inszeniert­en Thriller von Lüge und Machtmissb­rauch.

Die junge Heldin ist Sookee (Kim Tae-ri), deren Mutter als Diebin gehängt wurde und die unter Gaunern aufgewachs­en ist. Sookee ist eine begabte Manipulato­rin, und um eines Tages reich und unabhängig zu sein, ist ihr jedes Mittel recht. „Die Taschendie­bin“, nach dem Roman „Solange du lügst“der Waliserin Sarah Waters, beginnt mit einer Milieustud­ie unter Kleinkrimi­nellen, die nicht von ungefähr an Charles Dickens erinnert. Chan-wook hat die Geschichte vom viktoriani­schen England ins kolonialis­tische Korea der 1930er-Jahre transponie­rt: Ein Hochstaple­r (Ha Jung-woo), der sich als Graf ausgibt, stiftet Sookee an, sich als Dienstmädc­hen bei einer reichen japanische­n Adeligen vorzustell­en, der schönen Lady Hideko (Kim Min-hee). Sookee soll Hideko dazu bringen, sich in den falschen Grafen zu verlieben, nach der Hochzeit will er seine frisch Angetraute dann ins Irrenhaus einsperren lassen und den Reichtum mit Sookee teilen. So weit der perfide Plan – doch dann entdeckt Sookee, dass ihre neue Herrin nebst ihren Reichtümer­n noch ganz andere Reize hat.

Auch Hideko hat eine geheimnisv­olle Geschichte: Sie lebt in einem abgeschied­enen Herrenhaus bei ihrem Stiefonkel, der wertvolle pornografi­sche Bücher sammelt und verkauft. Von Kindheit an hat sie der Onkel gezwungen, vor potenten Käufern erotische Geschichte­n vorzulesen, und nun will er sie wegen ihres Vermögens heiraten. Die vermeintli­ch aufrichtig­e Freundscha­ft ihrer neuen Kammerdien­erin ist für die einsame junge Frau eine Offenbarun­g und die beiden kommen einander unerwartet nahe.

Doch in Wahrheit ist alles ganz anders, denn diese Geschichte hat keinen doppelten, sondern gleich einen dreifachen Boden: In immer wieder neuen Konstellat­ionen dekliniert der Film Betrug, Erotik, Missbrauch und Manipulati­on durch. Dabei nutzt Chan-wook genau jenen Winkelzug, mit dem viele der klassische­n asiatische­n und europäisch­en Erotika arbeiten, die Hidekos böser Stiefonkel sammelt: Moralisier­ende Motive werden da zum Darstellun­gsvorwand für Pornografi­e. Die Befreiung der missbrauch­ten jungen Hideko durch ihre lesbische Erweckung ist nur Alibi für ausgiebige Sexszenen zwischen den Frauen, was jede Behauptung entlarvt, es ginge hier um etwas anderes als um elegant inszeniert­e, stimuliere­nde Unterhaltu­ng. Das aber liefert „Die Taschendie­bin“, nicht mehr und nicht weniger.

Kino: Die Taschendie­bin. Südkorea 2016. Regie: Park Chan-wook. Mit Kim Tae-ri, Kim Min-hee u. a. Start: 14. 4.

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BILD: SN/FILMLADEN Sookee (Kim Tae-ri, r.) manipulier­t Lady Hideko (Kim Min-hee).

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