Mit Karajan in die Zukunft schauen
Wie verändert die digitale Revolution die klassische Musik? Zu den Osterfestspielen Salzburg lässt sich das herausfinden.
SALZBURG. Von einer Revolution schrieben die Medien, von einem Wunder sprach Herbert von Karajan: Zu den Osterfestspielen 1981 präsentierte der Dirigent in Salzburg einen Tonträger für die Zukunft. Die CD mit ihren unerhörten Klangmöglichkeiten wurde hier erstmals der Welt präsentiert.
Wenn heute, fast vier Jahrzehnte später, von Revolutionen und Wundern zu lesen ist, geht es meist um eine andere Frage: Wie sehr verändert die Digitalisierung die Welt? Darüber diskutieren internationale Experten nun erstmals in Salzburg bei einer „Karajan Music Tech Conference“. Müssen Musiker noch gemeinsam in einem Raum sitzen, um zusammen zu musizieren? Kann man ein Instrument via App lernen? Und wird es noch vollendete Werke geben, wenn jede Partitur auf den Orchesterpulten in Echtzeit veränderbar ist? „Wir leben in einer spannenden Zeit“, sagt Matthias Röder, der Geschäftsführer des Salzburger Karajan-Instituts. SN: Im Vorfeld der ersten „Karajan Music Tech Conference“haben am Wochenende 80 Hacker aus aller Welt in Salzburg an digitalen Musik-Ideen getüftelt. Was entstand dabei? Matthias Röder: Eines der Beispiele, die mich beeindruckt haben, war eine Anwendung aus dem Gebiet der virtuellen Realität. Der Spieler schlüpft dabei in die Rolle des Dirigenten und kann bei einem Orchesterstück durch entsprechende Gesten die einzelnen Instrumentengruppen gestalten, lauter oder leiser werden lassen und so seine eigene Interpretation schaffen. SN: Hätte Herbert von Karajan das gern gesehen, dass jedermann mit einer Datenbrille Orchesterchef spielen kann? Es ist schwer zu beurteilen, welche der vielen aktuellen Zukunftsvisionen ihn besonders gereizt hätten. Aber das Prinzip der virtuellen Realität, das es dem Nutzer erlaubt, noch tiefer in die Musik einzutauchen, hätte ihm wohl sehr gefallen.
Bei seiner Begeisterung für neue technische Möglichkeiten war es ja stets ein Grundgedanke, die klassische Musik an so viele Menschen wie möglich zu bringen, in immer noch besserer Qualität. Als Liveübertragungen möglich wurden, war das so, und später auch bei der CD und der Bildplatte. Karajan war damals überzeugt, dass man in fünf bis zehn Jahren das Orchester in Lebensgröße zu Hause sehen können werde. Die Hoffnung knüpfte er an die Satellitentechnologie. Nun hat es etwas länger gedauert, aber mit neuen Technologien ist es noch stärker möglich, die Schönheit und Tiefe der Musik zu vermitteln. Wie man diese Erfahrung künftig weiter verbessern kann, um solche Fragen geht es auch in der Konferenz. SN: Schlagworte wie Big Data und künstliche Intelligenz erfassen heute fast jeden Lebensbereich. Welche Rolle spielen sie für die Klassik? Daten können helfen, das Geheimnis des Musikmachens viel tiefer zu ergründen, als das vor zwanzig Jahren möglich gewesen wäre. Mithilfe von Big Data wird es, um nur ein Beispiel zu nennen, etwa möglich, die Interpretationen eines Werkes durch verschiedene Dirigenten exakt miteinander zu vergleichen, gleichsam einen Fingerabdruck jeder Aufführung zu erstellen. SN: Bei der Konferenz gibt es auch eine Innovationsbühne. Was ist hier zu sehen? Wir wollen technische Neuerungen auch greifbar machen. Man kann während der Konferenz etwa probieren, wie das Eintauchen in die Virtual Reality funktioniert.
Zu sehen wird aber etwa auch sein, wie ein Streichquartett miteinander musiziert, ohne im gleichen Raum zu sein: Zwei Musiker sitzen im Mozarteum, zwei im KarajanInstitut. Ein Start-up-Unternehmen hat ein Programm entwickelt, das es Musikern erlaubt, ohne Zeitverzögerung miteinander zu spielen.
Die Erweiterung des Spielraums durch solche Ideen ist natürlich enorm. Insofern denke ich, dass wir in einer spannenden Zeit leben. Je kleiner der Reibungsverlust durch technische und organisatorische Dinge wird, desto mehr Freiraum entsteht für die Kreativität. SN: Immer wieder wird auch über den Werkbegriff im digitalen Zeitalter diskutiert. Gibt es noch eine „vollendete“Partitur, wenn es dem Komponisten jederzeit möglich ist, den Musikern Änderungen in Echtzeit aufs iPad zu schicken? Durch die Technologiesprünge ist die Idee des vollendeten Werkes freilich immer mehr ein theoretischer Idealzustand. Wir leben ja in einer sehr schnellen Welt und in einer, in der vieles rasant kopierbar und veränderbar geworden ist. Der Gedanke, geschlossene Werke zu schaffen, bekommt dadurch natürlich Anachronistisches. Konferenz: etwas SN: Wie radikal könnte also die „digitale Revolution“bisherige Gewohnheiten in der Klassik auf den Kopf stellen? Ich glaube, da geht es nicht um ein Entweder-oder. Niemand glaubt ernsthaft, dass wir künftig keine Konzerte mehr besuchen werden. Im Gegenteil: Alles, was wir technisch vollbringen können, zielt letztlich darauf ab, dass mehr Menschen sagen, das möchte ich auch live erleben. Mit der Konferenz wollen wir eine Diskussion anstoßen: Wo stehen wir, wo wollen und können wir hin? Wir haben in Salzburg eine enorm hohe Qualität in der Klassik. Wenn wir auch noch die Innovation dazuholen, uns über die Zukunft Gedanken machen, hat Salzburg eine einzigartige Position.
„Keiner glaubt, dass wir künftig keine Konzerte mehr brauchen.“