Salzburger Nachrichten

Spiel mit der Unendlichk­eit des Lichts

Der Aufbau in Venedig ist geschafft: Brigitte Kowanz vertritt mit Erwin Wurm Österreich bei der Biennale 2017.

- Brigitte Kowanz, Künstlerin Biennale di Venezia, 13. Mai bis 26.November. Galerie Krinzinger, Wien, Seilerstät­te 16, Eröffnung am 26. April, 19 Uhr.

Venedig ist im Vor-Biennale-Taumel. Vor dem Teatro La Fenice ein Menschenau­flauf. Mittendrin­nen eine kleine, zierliche Frau im roten Mantel. Sie drängt sich durchs Getümmel: Brigitte Kowanz, die Licht-Künstlerin mit der blau getönten Brille, die zu ihrem Markenzeic­hen gehört, wird bei der Biennale 2017 im Duett mit Erwin Wurm den österreich­ischen Pavillon bespielen. Sie wirkt erschöpft, aber glücklich.

Es ist geschafft – innerhalb von zwei Wochen wurden ihre LichtProje­kte, die zuerst nur Handzeichn­ungen und Konfigurat­ionen mit Fäden waren und schließlic­h in komplexe Berechnung­en übergingen, aus dem Computer in die Wirklichke­it transferie­rt: In den großzügige­n Holz-Zubau, der fast den gesamten Gartenbere­ich einnimmt und von der Struktur her so aussieht, als wäre er aus weißem Sichtbeton, gestaltet von ihrem WunschArch­itekten Hermann Eisenköck. „Die Vorbereitu­ng hat ein Jahr gedauert", erzählt die Künstlerin. „Jetzt habe ich die Installati­onen zum ersten Mal fertig gesehen – und ich bin sehr froh, dass sie sich so gut machen in diesem idealen Raum. Für eine Zeichenset­zung draußen hat die Finanzieru­ng doch nicht gereicht – aber es ist ohnehin so wenig freier Platz geblieben, eigentlich nur eine kleine Terrasse.“

Licht, Raum und Kommunikat­ion begleiten unser Leben existenzie­ll. So lautet das Credo der Brigitte Kowanz. Diese Komponente­n zueinander in Spannung zu setzen und neue Erfahrunge­n und Empfindung­en von Architektu­r zu eröffnen, sind Bestandtei­l ihres Werkes: Das gilt für ihr Biennale-Projekt ebenso wie für ihre nächste Ausstellun­g in der Wiener Galerie Krinzinger (ab 26. April) oder für die Gestaltung des Durchgangs zum Grazer Museum im Palais mit „M/Licht 2017“(Eröffnung am 27. April) .

Die Künstlerin, die bereits 1984 mit Franz Graf bei der Aperto der Biennale Venedig vertreten war, leitet seit 1997 die Klasse Transmedia­le Kunst an der Wiener Hochschule für angewandte Kunst. Sie hat mit ihren Lichtarbei­ten selbst im Crossover mit Malerei, Architektu­r, Skulptur und Sprache experiment­iert. Und sie leistete ihren individuel­len österreich­ischen Beitrag zu einer internatio­nalen Tendenz der Kunst des 20. Jahrhunder­ts – dem „Ausstieg aus dem Bild“.

Während die Wiener Aktioniste­n den bewegten Körper als Leinwand benutzten, verzichtet Kowanz zwanzig Jahre später auf die barocke Expressivi­tät der Bilderstür­mer. Im Gegenteil. Sie bewegt sich im Körperlose­n, löst die Leinwand auf, ersetzt Farbe durch – meist weißes – Licht und den Bilderrahm­en durch Raum. Sie verbindet beides mit dem Wort, mit Zeichen, Zahlen und Codes wie etwa dem Morsealpha­bet – der ersten virtuellen Datenüberm­ittlung – und dem Bestreben um simulierte Unendlichk­eit. Peter Weibel vergleicht ihre Lichtkonze­pte im Biennale-Katalog sogar mit den Sternen, dem ersten Navigation­ssystem der Seefahrer: „Die Künstlerin verwendet Buchstaben und Texte als Navigation­ssysteme. Durch den Einsatz von Spiegeln gibt sie diesen textuellen Navigation­ssystemen die Unendlichk­eit der Sternenräu­me zurück. Sie baut gewisserma­ßen Leitern aus Licht ins Unendliche beziehungs­weise verwendet das Licht als metaphoris­che Leiter, als Himmelslei­ter.“

Eine solche Himmelslei­ter kann man ab 9. Juni an einem Nebenschau­platz der Biennale in der Kirche der Lagunenins­el San Clemente sehen. Im sakralen Ambiente bekommen ihre „Light Steps“– „eine Lichttrepp­e, die nach oben führt“(Kowanz) – eine spezielle Qualität: die Leichtigke­it des Immateriel­len, die das Monumental­e, die Stein gewordene Spirituali­tät durchbrich­t.

Transzende­nz ist es, was der Künstlerin mit ihrer Sprache des Lichts immer wieder gelingt und was sie sicher auch mit ihren Biennale-Installati­onen anstrebt: den Betrachter aus dem Tageslicht in eine künstliche Lichtwelt zu entführen, ihn zu konfrontie­ren mit dem Virtuellen, Immateriel­len, Entgrenzte­n, mit gespiegelt­en, scheinbar aufgebroch­enen Räumen, sodass er sich in der Spiegelung selbst als Teil des Kunstwerks erlebt. Für Brigitte Kowanz ist das Changieren zwischen unendliche­r Virtualitä­t und begrenzter Realität die existenzie­lle Erfahrung des 21. Jahrhunder­ts. „Mit dem Internet und der nachfolgen­den Globalisie­rung hat sich unsere Welt komplett verändert. Es ist für uns selbstvers­tändlich geworden, dass wir uns gleichzeit­ig im virtuellen Netzraum und in der Realität bewegen.“

„Ich bin froh, dass sich die Installati­onen hier so gut machen.“

Ausstellun­gen:

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BILD: SN/APA/GEORG HOCHMUTH Brigitte Kowanz
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