Wer das Dorf retten will, darf nicht in die Vergangenheit schauen
Die Zukunft liegt auch auf dem Land in neuen, ungewöhnlichen Ideen. Und in der Beteiligung der Bürger.
Erwin Wurm kniet, hat die Hände wie zur Anbetung gefaltet und gleichzeitig eine Zitrone im Mund: Mit diesem Foto wirbt aktuell das Leopold Museum in Wien für eine Ausstellung über den Biedermeier-Maler Carl Spitzweg und den Gegenwartskünstler Wurm: Beten, gehorchen und nicht aufmucken, auch wenn man allen Grund dazu hat, sauer zu sein.
Diese Grundhaltung, die das Kunstwerk in ironischer Weise symbolisiert, war lange Zeit die, die einen braven Bürger auszeichnete. Heute führt sie uns schnurstracks in die Erstarrung und damit in den Untergang: Wer die kleinen Strukturen und ihre Lebendigkeit erhalten will, muss die Zitrone, die ihm den Mund verstopft, ausspucken, aufstehen und die Ärmel hochkrempeln.
Viele Gemeinden stehen vor dem Problem, dass die Jungen weggehen, die Restbevölkerung immer älter wird und die Ortszentren veröden: Allein in Salzburg haben 33 Gemeinden keine ausreichende Nahversorgung mehr. Ein Problem, das mittlerweile internationale Dimensionen hat: In ganz Österreich, in der Schweiz, Deutschland und Südtirol sterben abgelegene Dörfer einen langsamen Tod. Wie kann man das ändern?
In der Gemeinde Minihof-Liebau im Südburgenland hat der Gemeindearzt den Lebensmittelladen übernommen und auch gleich im Haus ein kleines Gesundheitszentrum mit Ergotherapie und Massage eingerichtet. In der Osttiroler Gemeinde Matrei führen 100 Bauern aus der Region den „Talmarkt“, einen Dorfladen mit regionalen Produkten, und zugleich auch ein Café, das zum sozialen Treffpunkt im Zentrum geworden ist. Ein anderes Beispiel gibt es in Bärnkopf im niederösterreichischen Zwettl. Dort hat eine Dorfinitiative selbst ein Lebensmittelgeschäft auf die Beine gestellt, um zu verhindern, dass der abgelegene Ort ohne Einkaufsmöglichkeit ist. Jeder Haushalt hat 100 Euro für den Einkauf des ersten Sortiments vorfinanziert. Oder die kleine Salzburger Gemeinde Krimml, wo sich ein Geschäft trotz der Attraktion des Wasserfalls nicht mehr rechnet: Die Gemeinde, die lokale Bank, der Tourismusverband und die Bergbahnen haben sich zusammengetan, um den Nahversorger zu erhalten. Diese Beispiele zeigen, dass Lösungen dort gelingen können, wo man aufhört, sich nur an der Vergangenheit und alten Regeln auszurichten: Es geht erstens nicht nur um das Geschäft. Es geht um die Bedürfnisse der Bewohner und Angebotslücken in der Gemeinschaft, soziale Treffpunkte und Gesundheitsdienste. Wer umfassend denkt und neue, intelligente Kombinationen schafft, kommt eher ans Ziel. Man nennt das heute Dienstleistungsinnovation. Zweitens geht es um neue Rollen: Warum sollte ein Arzt kein Lebensmittelgeschäft haben, wenn er das will?
Drittens wird eine tragfähige Lösung nie ohne das Engagement der Bürgerinnen und Bürger möglich sein. Sie müssen die Belebung selbst mittragen, am besten ihre Initiatoren sein. Denn sie sind es, auf die es letztlich ankommt: Ohne Kundschaft geht das beste Geschäft gleich wieder ein.