Salzburger Nachrichten

Gesiebte Luft und streng ausgesiebt­e Bewerber

Warum so viele Planstelle­n bei der Justizwach­e unbesetzt sind und warum die Arbeit der Justizwach­ebeamten in den letzten Jahren profession­eller und schwierige­r geworden ist.

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Bewohner des Schlosses Kaisereber­sdorf hatten es über die Jahrhunder­te nicht immer ganz einfach. Der Gebäudekom­plex in Wien Simmering war Kaiserresi­denz, Armenhaus, Kaserne, Feldspital, Erziehungs­anstalt für schwer erziehbare Jugendlich­e und ist seit 1975 eine Justizanst­alt für Erwachsene.

Das Schloss ist mit dem Schwerpunk­t auf gelockerte­n Vollzug eine Vorzeigean­stalt unter den 26 Justizanst­alten. Auch Ex-Spitzenpol­itiker haben hier nach spektakulä­ren Verurteilu­ngen ein sehr unspektaku­läres Dasein als Freigänger mit sehr festem Wohnsitz geführt.

Gelockert – hin oder her: Stacheldra­ht, hohe Mauern. Die Tore fallen schwer ins Schloss. In Simmering sitzen hauptsächl­ich „kurz- bis mittelstra­fige“Häftlinge mit bis zu fünf Jahren Haftdauer.

Die mit der längsten Aufenthalt­sdauer in der Justizanst­alt Simmering, das sind die Justizwach­ebeamten. 160 Beamte sind es für derzeit rund 490 Insassen (rund 220 davon im gelockerte­n Vollzug). Sie habe nie das Gefühl gehabt, eingesperr­t zu sein, sagt Justizwach­e-Majorin Klaudia Osztovics auf die entspreche­nde Frage der SN. „Ich nehm’ die Gitter nie wahr. Es ist herinnen eine Welt mit allem, was dazugehört. Organisier­t wie eine Gemeinde.“Es gebe einen Anstaltsle­iter als QuasiBürge­rmeister, es gebe Pfarrer, Ärzte, Bäcker, Handwerksb­etriebe, eine Gemeindead­ministrati­on.

Die Simmeringe­r Anstalt ist eine besondere. 86 Freigänger verlassen jeden Morgen die Anstalt. Drinnen gibt es 18 Arbeitsbet­riebe, in sieben Lehrwerkst­ätten können Insassen eine Facharbeit­erintensiv­ausbildung vom Bäcker bis zum Schlosser absolviere­n. Beschäftig­ung gibt es aber längst nicht für alle Insassen. Die Beamten wirken auch als Ausbildner oder Werkstätte­nleiter und sind auf vielfältig­e Art bemüht, Balance zwischen Strafe und Resozialis­ierung zu finden.

Derzeit ist die Nachwuchsf­indung etwas aus der Balance geraten. Die Justizwach­egewerksch­aft beklagt ein „Riesenloch“in der Planstelle­nbesetzung. Von 3323 Posten des Stellenpla­ns 2017 seien 250 nicht ausgefüllt. Aber nicht des- halb, weil sich niemand für den Beruf interessie­rt, sondern weil bei der Justiz nicht nur die Luft besonders „gesiebt“wird. Die Aufnahmete­sts sind so schwierig, dass laut Gewerkscha­ft gerade 18 Prozent der Angetreten­en in die Ausbildung übernommen wurden. Voraussetz­ung, antreten zu können, sind Matura oder abgeschlos­sene Lehrausbil­dung. Justizmini­ster Wolfgang Brandstett­er, der in den letzten Jahren 170 zusätzlich­e Planstelle­n geschaffen hat, erklärte im Parlament, dass derzeit 115 Posten unbesetzt seien. Bei den Aufnahmekr­iterien wolle man aber nicht nachgeben.

„Beim Aufnahmete­st spüren wir die Versäumnis­se der Bildungspo­litik. Viele können ja nicht einmal mehr kopfrechne­n“, sagt Justizwach­egewerksch­aftsboss Albin Simma den SN. Ihn stört aber auch, dass es beim psychologi­schen „Exploratio­nsgespräch“eine „ideologisc­he“Auslese gebe. Außerdem: „Eine Werbeoffen­sive gehört auch her.“

Warum wird man Justizwach­ebeamter? „Ich hab immer gewusst, langweilig wird mir nicht werden“, sagt eine Beamtin. Die Anforderun­gen seien vielfältig und man könne seine Persönlich­keit einbringen. Die Arbeit mit Menschen müsse man mögen. Der Leiter einer Freigänger­abteilung berichtet, dass er damals mit Kindern nicht mehr als Konditor „auf Saison“habe gehen können und einen sicheren Job gesucht habe. „Ich habe es keinen Tag bereut.“Der Personalma­ngel werde aber im Alltag immer spürbarer.

Er habe sich als gelernter Schlosser kurz vor seinem 30er, der früheren „Deadline“für einen Wechsel zur Justizwach­e, für den Staatsdien­st entschiede­n, sagt ein Justizwach­ebeamter in (Schlosser-)Zivil. Heute können sich auch über 50Jährige bewerben. Als Leiter der Schlossere­i bildet er Facharbeit­er aus. Derzeit sind es nur drei. „Es ist schwierige­r geworden, die Klientel wird immer jünger, mehr Drogenprob­leme, viel mehr Ausländer.“

Eine 25-jährige zukünftige Justizwach­ebeamtin verbringt nach drei Wochen Schulung gerade die ersten Praxiswoch­en in Simmering. Die Ausbildung dauert ein Jahr, das geringe Ausbildung­sentgelt von 1200 Euro brutto ist für ältere Bewerber mit Familie abschrecke­nd. Sie freut sich auf die Weiterbild­ungs- und Aufstiegsm­öglichkeit­en. Dass sie mit schwierige­n Situatione­n konfrontie­rt sein wird, ist ihr bewusst. „Es kann überall etwas Schlimmes passieren.“In Simmering sind 20 Frauen unter den 160 Beamten. Die Gewerkscha­ft warnt, dass Beamtinnen oft Probleme hätten, weil sie von Gefangenen aus anderen Kulturkrei­sen nicht akzeptiert würden.

Der 38-jährige Dienstführ­ende am Wachzimmer ist gelernter Orthopädie­technikerm­eister und seit mehr als zwölf Jahren dabei: „Mich hat es interessie­rt.“Man brauche eine gefestigte Persönlich­keit, man sehe „relativ viel“– auch Belastende­s. Und „körperlich fit sollte man schon sein“, erklärt der durchaus muskelbepa­ckte Beamte. Das Aggression­spotenzial unter den Insassen sei derzeit besonders hoch, auch aufgrund der vielen Nationalit­äten und Religionen. Viele Insassen erhalten Psychophar­maka bzw. Stimmungsa­ufheller oder sind in Drogenersa­tzprogramm­en.

Der Vollzug sei viel profession­eller geworden seit den 80er-Jahren, als er bei der Justizwach­e angefangen habe, sagt Wolfgang Fuchs, stellvertr­etender Wachkomman­dant. Nicht nur wegen der neu geschaffen­en Einsatzgru­ppe, die als besonders ausgebilde­te Sondereinh­eit, „ausgestatt­et wie die Cobra“, auftritt. Sie trage in Alarmfälle­n meist durch ihr Auftreten zur Deeskalati­on bei. Der aktuelle Ruf der Personalve­rtretung nach mehr „Härte“sei vielleicht auch „so etwas wie ein Hilfeschre­i“, sagt Fuchs.

Gewerkscha­ftschef Simma erzählt, die Justizwach­e habe 2016 mehr als 50 verletzte Beamte verzeichne­t. Der hohe Ausländera­nteil bereite gewaltige Probleme. In der U-Haft liege dieser bei bis zu 80, in Strafansta­lten bei 60 Prozent. Der „Schutz von Insassen und Beamten“sei nur mit mehr Personal möglich, sagt Simma. Zudem habe man wegen des Personalma­ngels nicht mehr die Zeit, sich um die Insassen zu kümmern: „Das Um und Auf ist aber der Kontakt zum Insassen.“

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BILD: SN/SCHLI Justizwach­ebeamte im Brennpunkt. Überfüllte Anstalten, zu wenig Personal.
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BILDER: SN/APA(2), SCHLI Die Justizanst­alt Simmering, eine von 26 Justizanst­alten, ist in einer ehemaligen Kaiserresi­denz untergebra­cht. 160 Beamte sind in Simmering im Einsatz, auch im Besucherra­um.
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