Reformen, die Angstzustände auslösen
Das ständige Rufen nach Reformen suggeriert, dass Österreich ein Land am Abgrund ist. Stimmt dieser Befund?
Eine Simulation von Reformen
Wegen des fehlenden politischen Willens nicht reformierbar. Mit diesem Befund kündigte die Präsidentin des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger, Ulrike Rabmer-Koller, diese Woche ihren Rücktritt an. Man kann das verstehen.
Seit Jahrzehnten wird bereits darüber diskutiert, wie viele Krankenkassen das Land benötigt und ob das Geld, das dort ausgegeben wird, wirklich gut verwendet wird. Ähnliches gilt für die Spitäler, das Schulwesen, die Verwaltung und vieles mehr.
Pläne, wie alles geändert und besser gemacht werden sollte, gibt es viele. Einige wurden umgesetzt, andere verschimmeln nach wie vor in der Schublade. Und alle paar Monate kommen ein paar neue Konzepte dazu, in denen weitere Reformen angedacht werden.
Man könnte fast den Eindruck bekommen, dass in diesem Land alles und jedes reformbedürftig ist. So, als stünde Österreich knapp vor dem Kollaps und könnte nur noch mit einer Radikalkur gerettet werden. Was schlicht und einfach falsch ist.
Trotz aller Probleme im Gesundheitssystem: In diesem Land wird jede und jeder medizinisch auf höchstem Niveau versorgt.
Trotz aller Probleme am Arbeitsmarkt: Wer seinen Job verliert, der wird durch ein gut ausgebautes Sozialsystem vor dem totalen Absturz geschützt.
Trotz aller Probleme in den Schulen: Bildung ist immer noch für jede und jeden erschwinglich.
Trotz aller Probleme mit der Kriminalität: Wer in Österreich auf die Straße geht, muss sich nicht wirklich davor fürchten, überfallen und ausgeraubt zu werden.
Mit einem Wort: Österreich ist, trotz aller Schwierigkeiten, ein Land, in dem es sich leben lässt – und das ziemlich gut.
Es steht außer Frage, dass vieles ständig reformiert werden muss. Die Gesellschaft ändert sich, die wirtschaftlichen Grundlagen verändern sich, die Demografie verändert sich. Darauf muss die Politik reagieren. Die Frage ist nur, wie.
Der Philosoph Konrad Paul Liessmann hat davon gesprochen, dass das, was heute unter Reform verstanden wird, nur eine Veränderung um der Veränderung und Beschäftigung willen ist. Was nicht mehr sei als eine Simulation von Reformen. Dabei bedeute Reform eigentlich, etwas in seine ursprüngliche Funktion zu bringen, sich auf das Wesentliche zu besinnen, ein nicht mehr funktionierendes System zu verbessern.
Ein wesentliches Missverständnis in der gesamten Reformdebatte ist, dass man davon ausgeht, es gebe so etwas wie ein höheres Ziel, das außer Streit steht. Was freilich nicht stimmt.
Hinter jedem Reformvorschlag steckt eine Meinung, eine Haltung, eine Ideologie. Am Beispiel der Neustrukturierung der Krankenkassen lässt sich das zeigen: Die Wirtschaftskammer tritt für eine Reform ein, die dazu führen soll, dass die Zahl der Versicherungen reduziert wird. Und wie könnte es anders sein: Die eigene Kasse, jene der gewerblichen Wirtschaft, soll bestehen bleiben; die Gebietskrankenkassen, die von den Arbeitnehmern dominiert werden, sollen hingegen fusioniert werden.
Ähnliches gilt für den Vorschlag der Bundesländer zu diesem Thema: Diese wollen alle Krankenkassen in einem Bundesland zu einer Kasse zusammenfassen, also praktisch alle anderen Versicherungsträger in die jeweilige Gebietskrankenkasse integrieren.
Man sieht: Bei vielen Reformplänen geht es lediglich darum, die eigene Machtposition auf Kosten eines anderen abzusichern. Dieser Widerspruch lässt sich nur schwer auflösen, und so werden die diskutierten Pläne immer größer und umfassender. Weil ohnehin jeder weiß, dass diese Vorstellungen eigentlich nicht umgesetzt werden können, aber man Jahre darüber diskutieren und sein ideologisches Profil schärfen kann. Dabei reicht es manchmal schon aus, an ein paar Rädchen zu drehen, um ein System fit für die Zukunft zu machen. Diese Art von Pragmatismus scheint aber vielen politischen Akteuren in diesem Land leider abhandengekommen zu sein.
Das Ergebnis: Viele Bürgerinnen und Bürger haben das Gefühl bekommen, dass in Österreich seit Jahren nichts mehr weitergeht. Und wenn sie das Wort Reform auch nur hören, bekommen sie schon Angstzustände.