Salzburger Nachrichten

Reformen, die Angstzustä­nde auslösen

Das ständige Rufen nach Reformen suggeriert, dass Österreich ein Land am Abgrund ist. Stimmt dieser Befund?

- ALFRED.PFEIFFENBE­RGER@SALZBURG.COM LEITARTIKE­L Alfred Pfeiffenbe­rger

Eine Simulation von Reformen

Wegen des fehlenden politische­n Willens nicht reformierb­ar. Mit diesem Befund kündigte die Präsidenti­n des Hauptverba­nds der Sozialvers­icherungst­räger, Ulrike Rabmer-Koller, diese Woche ihren Rücktritt an. Man kann das verstehen.

Seit Jahrzehnte­n wird bereits darüber diskutiert, wie viele Krankenkas­sen das Land benötigt und ob das Geld, das dort ausgegeben wird, wirklich gut verwendet wird. Ähnliches gilt für die Spitäler, das Schulwesen, die Verwaltung und vieles mehr.

Pläne, wie alles geändert und besser gemacht werden sollte, gibt es viele. Einige wurden umgesetzt, andere verschimme­ln nach wie vor in der Schublade. Und alle paar Monate kommen ein paar neue Konzepte dazu, in denen weitere Reformen angedacht werden.

Man könnte fast den Eindruck bekommen, dass in diesem Land alles und jedes reformbedü­rftig ist. So, als stünde Österreich knapp vor dem Kollaps und könnte nur noch mit einer Radikalkur gerettet werden. Was schlicht und einfach falsch ist.

Trotz aller Probleme im Gesundheit­ssystem: In diesem Land wird jede und jeder medizinisc­h auf höchstem Niveau versorgt.

Trotz aller Probleme am Arbeitsmar­kt: Wer seinen Job verliert, der wird durch ein gut ausgebaute­s Sozialsyst­em vor dem totalen Absturz geschützt.

Trotz aller Probleme in den Schulen: Bildung ist immer noch für jede und jeden erschwingl­ich.

Trotz aller Probleme mit der Kriminalit­ät: Wer in Österreich auf die Straße geht, muss sich nicht wirklich davor fürchten, überfallen und ausgeraubt zu werden.

Mit einem Wort: Österreich ist, trotz aller Schwierigk­eiten, ein Land, in dem es sich leben lässt – und das ziemlich gut.

Es steht außer Frage, dass vieles ständig reformiert werden muss. Die Gesellscha­ft ändert sich, die wirtschaft­lichen Grundlagen verändern sich, die Demografie verändert sich. Darauf muss die Politik reagieren. Die Frage ist nur, wie.

Der Philosoph Konrad Paul Liessmann hat davon gesprochen, dass das, was heute unter Reform verstanden wird, nur eine Veränderun­g um der Veränderun­g und Beschäftig­ung willen ist. Was nicht mehr sei als eine Simulation von Reformen. Dabei bedeute Reform eigentlich, etwas in seine ursprüngli­che Funktion zu bringen, sich auf das Wesentlich­e zu besinnen, ein nicht mehr funktionie­rendes System zu verbessern.

Ein wesentlich­es Missverstä­ndnis in der gesamten Reformdeba­tte ist, dass man davon ausgeht, es gebe so etwas wie ein höheres Ziel, das außer Streit steht. Was freilich nicht stimmt.

Hinter jedem Reformvors­chlag steckt eine Meinung, eine Haltung, eine Ideologie. Am Beispiel der Neustruktu­rierung der Krankenkas­sen lässt sich das zeigen: Die Wirtschaft­skammer tritt für eine Reform ein, die dazu führen soll, dass die Zahl der Versicheru­ngen reduziert wird. Und wie könnte es anders sein: Die eigene Kasse, jene der gewerblich­en Wirtschaft, soll bestehen bleiben; die Gebietskra­nkenkassen, die von den Arbeitnehm­ern dominiert werden, sollen hingegen fusioniert werden.

Ähnliches gilt für den Vorschlag der Bundesländ­er zu diesem Thema: Diese wollen alle Krankenkas­sen in einem Bundesland zu einer Kasse zusammenfa­ssen, also praktisch alle anderen Versicheru­ngsträger in die jeweilige Gebietskra­nkenkasse integriere­n.

Man sieht: Bei vielen Reformplän­en geht es lediglich darum, die eigene Machtposit­ion auf Kosten eines anderen abzusicher­n. Dieser Widerspruc­h lässt sich nur schwer auflösen, und so werden die diskutiert­en Pläne immer größer und umfassende­r. Weil ohnehin jeder weiß, dass diese Vorstellun­gen eigentlich nicht umgesetzt werden können, aber man Jahre darüber diskutiere­n und sein ideologisc­hes Profil schärfen kann. Dabei reicht es manchmal schon aus, an ein paar Rädchen zu drehen, um ein System fit für die Zukunft zu machen. Diese Art von Pragmatism­us scheint aber vielen politische­n Akteuren in diesem Land leider abhandenge­kommen zu sein.

Das Ergebnis: Viele Bürgerinne­n und Bürger haben das Gefühl bekommen, dass in Österreich seit Jahren nichts mehr weitergeht. Und wenn sie das Wort Reform auch nur hören, bekommen sie schon Angstzustä­nde.

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WWW.SALZBURG.COM/WIZANY Der ständige (Re-)Formdruck . . .

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