Volksmusikant verlobt sich mit Klassik
Geigenmusi, Tanzlmusi, Stubenmusi und ein Dirndl-Dreigesang nehmen es mit klassischer Kammermusik auf.
SALZBURG. Für den Rückruf nutzt Daniel Vereno die Probenpause des Salzburger Bachchors, mit dem er morgen, Sonntag, Franz Schuberts „Gesang der Geister über den Wassern“aufführen wird. Denn er muss unbedingt etwas erzählen: von dem kleinen Konzert, ebenfalls am Sonntag, das aber für ihn das größere Ereignis wird als die Matinee mit dem Mozarteumorchester und Ivor Bolton im Großen Festspielhaus. Man kann es als eine Verlobung ansehen: von Volksmusik und Klassik.
Dieses kleine Konzert im Gwandhaus wird der Auftakt für den Verein „Salzburger Heimatklänge“. Der ist mit zwei Mitgliedern auch noch winzig. Allerdings haben Daniel und sein Bruder Dominik Vereno einen großen Ehrenvorsitzenden: ihren Opa. Das ist niemand Geringerer als Harald Dengg, viele Jahre Leiter des Salzburger Referats für Volkskultur und des Volksliedchors. Der habe ihm „den großen Ansporn“gegeben, „in der Volkskultur mehr zu tun, als nur selbst zu spielen“, erzählt Daniel Vereno.
„Mehr tun“heißt: Konzerte veranstalten. Wie revolutionär das ist, kann verstehen, wer etwa Fotos von Volksmusik sucht. Tausendfach findet man Geigen-, Zither- und Ziehharmonikaspieler in urigen Stuben, auf sattgrünen Wiesen oder in dampfenden Bierzelten. Aber Da- niel Vereno sagt: „Wir wollen wegkommen vom Wirtshaus. Wir wollen nicht Musik zum Mitsingen und zum Dazuschunkeln machen.“Sondern? „Hochwertige Volksmusik hat genauso ein Recht auf ein Konzertpodium wie die Klassik.“Das heißt: „Die Leute setzen sich eineinhalb Stunden hin und hören eineinhalb Stunden konkret zu – ohne Bier, ohne Bretzen, ohne Würstel. Es soll nur Musik sein.“
Meint er vielleicht eine Konzertreihe im Großen Saal der Stiftung Mozarteum? „Ja, könnte auch sein“, sagt der 21-Jährige. Salzburger Festspiele wären zu hoch? „Nein, denk ich nicht.“Also ein Termin bei Intendant Markus Hinterhäuser? „Wäre nicht schlecht. Ich glaube, dass man aus der alpenländischen Volksmusik viel schöpfen kann. Ich habe keinen Zweifel, dass man auch große Konzerte bestreiten kann.“
Mit „groß“schlägt er aber nicht die Richtung zum Pop ein. „Nicht verstärkt! Das ist wichtig.“Das Neue, was er wolle, sei nicht Neue Volksmusik – also mit Einflüssen aus Jazz, Rock, Blues, Folk oder Hiphop. Sein Naheverhältnis sei zu „Barock bis Bach bis Tobi Reiser“. Auch seien neue Kompositionen möglich. Nur gelte: „Der musikalische Wert wird gleich beurteilt wie bei (klassischer) Kammermusik.“
Redet Daniel Vereno von Volksmusik, sagt er „anspruchsvoll“, „fein“und „brillant“. Man brauche „hohen Grad an Musikalität“und spielte „mit völliger Hingabe, auch mit Ehrgeiz und Können“. Dominik Vereno, Leonhard Hartinger, Alexandra Seywald und er – sie sind als Hellbrunner Geigenmusi eines von vier Ensembles im morgigen Konzert – stammen alle aus „von der klassischen Musik geprägten“Familien. Und: Sie alle haben an der Universität Mozarteum studiert.
Dass dort seit einigen Jahren Hackbrett, Zither oder Harmonika gelehrt würden, habe „einen Riesenaufschwung“ für Volksmusik gebracht. „Das Niveau ist extrem angestiegen.“Und mit und für diese neue, gut ausgebildete Generation will er Konzerte veranstalten.
Volksmusik in klassischen Konzertsälen ist etwas Junges. Während höfische Musik im 19. Jahrhundert in bürgerlichen, städtischen Konzerthäusern weitergeführt wurde, blieb die bäuerliche Musik separat. Beide Seiten waren sogar auf Abschottung erpicht: Die einen monierten, Volksmusik sei laienhaft und unprofessionell; die anderen motzten: Kunstmusik sei überheblich, unecht und gekünstelt.
Die Volksmusik bewahrte ihre uralten Formate lang. Ein Konzert mit Eintrittskarten? „Das hat es nicht gegeben“, schildert Wolfgang Dreier-Andres, Archivleiter des Salzburger Volksliedwerks. Zwar seien Spielleute seit je entlohnt worden, doch nur für Tanzmusik. Bis in die 1960er-Jahre sei es üblich gewesen, dass bei einer Hochzeit die Tanzlustigen so lang im Kreis gegangen seien, bis jemand das Geld für einen Tanz auf die Spielbank gelegt habe.
Für Stubenmusik ist vermutlich nie gezahlt worden. Diese Praxis pflegt übrigens auch die Salzburger Straßenmusik, die heuer zum zehnten Mal stattfindet. Die Musikanten, die an Samstagen ab 29. April in die Salzburger Altstadt spielen, sei’s Gasteiner oder Lamprechtshausner Tanzlmusi, bekommen nur Fahrtgeld und Jausengutscheine, aber keine Gage. „Sie stellen nur ein Körberl auf“, sagt Dreier-Andres.
Einen „Aufführungskontext“habe es nur beim Anglöckeln oder mit Passionsspielen gegeben. Doch Anglöckler, also ein als Josef und Maria verkleidetes Paar, das von Haus zu Haus gezogen sei, um die Herbergsuche vorzuspielen, hätten nur Spenden erhalten, erläutert DreierAnders. Auch die im 19. Jahrhundert aufkommende Blasmusik habe immer ohne Entgelt gespielt.
Erst im 20. Jahrhundert beginnen große Veranstaltungen und professionelle Auftritte samt Kartenverkauf. Die Innovatoren waren Tobi und Tobias Reiser. Nachdem Tobi Reiser 1932 mit Otto Eberhard in St. Johann das erste öffentliche Volksliedsingen veranstaltet hatte, erfand er 1946 mit Karl Heinrich Waggerl das Adventsingen: Erst und nur da wurde Volksmusik vor Publikum und gegen Bezahlung aufgeführt.
Tobias Reiser junior führte das Adventsingen weiter. Zudem begann er mit dem, was Daniel Vereno anpeilt: Volksmusik und Klassik zu vermählen. In den 50er-Jahren habe Tobias Reiser bei den damals beginnenden Salzburger Schlosskonzerten im Marmorsaal gespielt, etwa ein Konzert „Mozart und die Volksmusik“, berichtet Musikwissenschafter Walter Deutsch. Von solchen Schlosskonzerten verwahrt Wolfgang Dreier-Andres zwei Langspielplatten aus 1978 und 1983. Auf einem Cover ist vermerkt: Vielleicht erkennen unvoreingenommener Hörer nicht sofort, welche Melodie von Wolfgang oder Leopold Mozart oder „aus einem der Salzburger Täler und Orte stammt“.
„Die Leute setzen sich hin und hören konkret zu – ohne Bier, ohne Würstel.“Daniel Vereno, Konzertveranstalter
Konzert: „Salzburger Heimatklänge – Volksmusik vom Feinsten“, Hellbrunner Geigenmusi, Salzach-Dirndlgesang, Wengerboch Musi, Salzachtaler Tanzlmusi, Gwandhaus Salzburg, Sonntag, 23. April, 18 Uhr. Salzburger Straßenmusik: 29. April bis 16. September, samstags 10.30 bis 13.30 Uhr, Salzburger Altstadt.