Wenn Realität und Virtuelles verwischen
Seit Jahren arbeitet Microsoft an der Digitalbrille HoloLens. Nun werden immer mehr Anwendungsbeispiele präsentiert. Die HoloLens soll etwa die Jobausbildung und den Technikerberuf revolutionieren. Sie könnte aber auch Jobs kosten.
DÜSSELDORF. Eigentlich ist der Anblick nicht mehr besonders irritierend. Vor einem steht eine Frau mit einer klobigen Brille auf dem Kopf. Weltfremd fuchtelt sie vor sich durch die Luft. Ja klar, wieder eine dieser Virtual-Reality-Brillen, die Nutzer in digitale Welten entführen. Doch plötzlich dreht sich die Dame um – und starrt einen durch die Brille an. Sie nimmt nicht nur die virtuelle Welt war, sondern auch das, was um sie herum passiert.
HoloLens nennt sich die Brille, die die Frau auf ihrem Kopf trägt, Mixed oder auch Augmented Reality ist die Technologie, die dahinter steckt. Dabei werden dem Nutzer interaktive 3D-Projektionen in sein reales Sichtfeld eingeblendet. Die Projektionen sind jedoch keine Hologramme, wie der Brillenname vermuten lässt, sondern Lichtpunkte.
Microsoft arbeitet seit Jahren an der HoloLens, diese Woche wurden in Düsseldorf neuerlich Anwendungsbeispiele präsentiert. Und zwar solche, die bereits in der Praxis angekommen sind. ThyssenKrupp Elevator, einer der weltgrößten Produzenten für Aufzugsanlagen, verwende die Brille bei rund 100 Kunden, im September solle die Markteinführung in Europa folgen, erläutert Vorstandsvorsitzender Andreas Schierenbeck. Konkret geht es um Treppenlifte. Laut Schierenbeck mussten seine Techniker früher Treppen abmessen, fotografieren, im Büro ein Modell erstellen – und dann zum Kunden zurückfahren, um es zu präsentieren. Nun setzt der Techniker die HoloLens auf, über ein gekoppeltes Messgerät erfasst er die Treppe und erstellt in wenigen Minuten eine Liftvariante. Danach setzt er seinem Kunden die Brille auf – und zeigt ihm, wie ein virtueller Lift über die reale Stiege fährt. Gesteuert wird die Brille übrigens durch Gesten. Das Zusammenklappen von Zeigefinger und Daumen ersetzt etwa einen Mausklick. „Die HoloLens ist im Grunde ein Windows-10-PC auf Ihrem Kopf“, ergänzt Greg Sullivan, Kommunikationsmanager bei Microsoft.
Microsoft ist mit seiner HoloLens nicht allein auf dem Markt. Die jungen Tech-Firmen Magic Leap – mit Google-Beteiligung – und Metavision haben vergleichbare Brillen entwickelt. Die größten Konkurrenten sind aber wohl Softwareentwickler, die Mixed-Reality-Anwendungen für Smartphone oder Tablet anbieten – wie die Salzburger Firma Wikitude. Das prominenteste Beispiel kommt aus den USA: Das Entwicklerstudio Niantic brachte im Sommer 2016 das Spiel Pokémon Go auf den Markt. Dabei wurden Monster in das Sichtfeld von Handy-Nutzern eingeblendet, die diese per Wischbewegung fangen mussten.
Auch Microsoft hat bereits Spiele für die HoloLens veröffentlicht, etwa eines zum neuen Kinoabenteuer der Schlümpfe. Doch die Strategie des IT-Riesen ist eigentlich eine andere. Microsoft will primär Geschäftskunden ansprechen. „Aktuell setzen wir keinen Fokus auf Privatkunden“, sagt Kommunikationsmanager Sullivan. Dennoch wird eine massenwirksamere und zugleich günstigere Version der HoloLens für 2019 erwartet. Aktuell kostet die Brille, die nur online bestellt werden kann, zwischen 3300 und 5500 Euro. Nach Firmenangaben sollen bislang „einige Tausend Geräte“verkauft worden sein. Doch Klasse könnte Masse stechen. Partnern wie ThyssenKrupp verkauft Microsoft Kooperationspakete. Und diese sind laut Schierenbeck teuer. Genaue Zahlen will der ThyssenKrupp-Manager zwar nicht nennen, aber er vergleicht es mit den ersten Laptops: „Die waren damals auch nicht günstig. Aber es kostet halt, gleich von Beginn an dabei zu sein.“
Zu anderen Erstanwendern der HoloLens gehören US-Medizinunis, die ihre Studenten an virtuellen Körpern Operationen üben lassen. Und die Fluggesellschaft Japan Airlines nutzt die Brille, um Mechaniker auszubilden. Damit spare man es sich, Motoren eigens für das Training auszubauen. Kostenreduktion ist sowieso eines der zentralen Argumente für Anwender der HoloLens. Vor allem in Sachen Ausbildung oder bei Technikern könnten so Ressourcen gespart werden. Und „Ressourcen“ist gerne gleichbedeutend mit Arbeitsplätzen. Doch Microsoft und seine Partner beruhigen. Man verweist auf Studien, die belegen, dass durch Digitalisierung weniger Stellen wegfallen, als bisher befürchtet (SN vom 13.4.). „Solche Technologien werden die Jobs nicht reduzieren, aber sie werden sie ändern“, sagt etwa Arjan Boogaards, Vizepräsident beim Hygieneproduktehersteller Ecolab, einem weiteren Microsoft-Partner. Und euphorisch ergänzt der Mittfünfziger: „Ich wäre gerne 30 Jahre jünger – weil die Möglichkeiten riesig sind. Wer heute die richtigen Dinge tut, wird eine große Zukunft haben.“
ThyssenKrupp, Airlines und Schulen als Kunden