Österreich steht auf der Einkaufsliste
Für alle nicht lokal oder regional verwurzelten Medien erweitert die Digitalisierung den Markt auf den Sprachraum.
Namen sind Nachrichten: Kai Diekmann, der ehemalige Chef von „Bild“, wird politischer Berater des Taxikonkurrenten Uber. Fünf Tage später kommt heraus: Der Axel Springer Verlag, etwa Eigentümer der „Bild“, beteiligt sich an diesem amerikanischen Fahrdienstvermittler.
Die Schweizer halten es umgekehrt wie die Deutschen: erst Ereignis, dann Personalie. Am Mittwoch verkündet die „Neue Zürcher Zeitung“das Ende ihres Online-Projektes NZZ.at. Am Donnerstag wird bekannt, dass künftig Stefan Lassnig, Ex-Vorstand der Regionalmedien Austria, von Wien aus die Internationalisierung der NZZ-Gruppe mitsteuert.
Dazwischen liegt die kaum beachtete Meldung, dass „Blick“, das größte Boulevardblatt der Schweiz, schon mehr User im Web als Leser seiner Papierausgabe hat. Es erscheint im Medienhaus Ringier. Indessen steigert die Wiener Gratiszeitung „Heute“die tägliche Nutzerzahl ihres Internetauftritts in einem Jahr um fast 75 Prozent auf nahezu 200.000. Dort ist die Schweizer Tamedia eingestiegen.
Zusammengefasst: 1. Der weitestgehend digitalisierte deutsche Medienkonzern setzt weiter auf vermeintlich artfremde Dienstleistungen. Springer hatte sich zuvor schon unter anderem am Übernachtungsportal Airbnb beteiligt und am österreichischen Start-up Runtastic erst die Mehrheit übernommen und diese dann mit riesigem Gewinn an Adidas verkauft.
2. Die drei größten Schweizer Verlagshäuser setzen intensiv auf Digitalisierung und Internationalisierung. Tamedia und NZZ nutzen Österreich als Test für allfällige Markterweiterungen auf den gesamten deutschen Sprachraum.
3. „Trial and Error“, denglisch für „Versuch und Irrtum“, wird endgültig zum unternehmerischen Prinzip einer früher viel konservativeren Branche. Es erprobt sich am besten abseits des sensiblen heimatlichen Kernmarktes. NZZ.at war solch ein Versuch – und Irrtum.
Fazit: 1. Ungeachtet aller Erfolgsstrategien zu Lokalisierung und Regionalisierung bewirken Digitalisierung und Globalisierung eine Marktausweitung auf den Sprachraum.
2. Darin liegen für Schweizer und Österreicher große Expansionschancen, für Deutsche bloß kleine Optimierungsmöglichkeiten.
3. Auch hierzulande betreiben Unternehmen dynamisch die Digitalisierung, vernachlässigen aber ihre Internationalisierung. Von „Heute“bis ATV stehen österreichische Medien eher auf schweizerischen und deutschen Einkaufslisten als umgekehrt. Dieser Fehler schwächt langfristig Österreichs Wettbewerbsfähigkeit im digitalen deutschsprachigen Markt.