Die wirtschaftliche Malaise der Grande Nation
Die aussichtsreichsten Kandidaten bei der Präsidentschaftswahl am Sonntag haben sehr unterschiedliche Vorstellungen über die wirtschaftliche Zukunft des Landes. Die Märkte spielen Szenarien durch und fürchten den Frexit.
WIEN. Frankreich ist nicht nur im eigenen Selbstverständnis eine große Nation, es ist auch wirtschaftlich ein Schwergewicht. Mit 2,3 Bill. Euro Wirtschaftsleistung ist Frankreich die sechstgrößte Volkswirtschaft der Welt und Nummer zwei in Europa. Vom Ausgang der Präsidentenwahl hängt nicht nur ab, ob das Land politisch völlig neue Wege geht, sondern auch, ob es wirtschaftlich wieder Tritt fasst.
Zuletzt gab es zwar Zeichen einer leichten wirtschaftlichen Erholung, für heuer erwartet die EU-Kommission ein Wachstum von 1,4 Prozent, dennoch warten auf den Nachfolger von François Hollande große Herausforderungen. Die Arbeitslosigkeit ging 2016 zwar erstmals wieder leicht zurück, dennoch sind knapp zehn Prozent der Personen im erwerbsfähigen Alter ohne Job, bei den Jungen ist es fast jeder Vierte.
Reformen auf dem Arbeitsmarkt, das Einbremsen der Staatsverschuldung und die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft sind die vorrangigen Aufgaben. Die Programme der zwei vermeintlich aussichtsreichsten Kandidaten, Emmanuel Macron und Marine Le Pen, unterscheiden sich hinsichtlich der Wirtschaft deutlich voneinander.
Macron hat sich auf die Fahnen geschrieben, Frankreich zu Wachstum zurückzuführen. Gelingen soll das über dauerhafte Steuersenkungen für Unternehmen und über einen Fonds zur Finanzierung der „Industrie der Zukunft“, den er mit 10 Mrd. Euro füllen will. Laut Analyse der Konrad-Adenauer-Stiftung will Macron in Qualifizierung investieren, 30 Mrd. Euro sollen Land und Leute fit für die Digitalisierung und die Energiewende machen.
Die Rezepte Le Pens sind denen von Donald Trump nicht unähn- lich. Die Chefin der Front National will mit einem „intelligenten Protektionismus“die Wirtschaft des Landes vor ausländischer Konkurrenz schützen und sie bei der Vergabe öffentlicher Aufträge bevorzugen. Und sie will Frankreich aus der EU führen und den Euro durch den Franc ersetzen. Nur so könne Frankreich seine Größe zurückerlangen, sagt Le Pen. Macron ist hingegen ein deklarierter Europa-Anhänger.
An der 35-Stunden-Woche will sie nicht rütteln, aber das Rentenalter auf 60 Jahre senken, Macron will es bei 62 Jahren belassen. Auf dem Arbeitsmarkt, der als größte Achillesferse gilt – vor allem der restriktive Kündigungsschutz –, tritt Macron für sanfte Lockerungen ein.
Die Staatsverschuldung von fast 98 Prozent will Macron in seiner Regierungsperiode über 60 Mrd. Euro Einsparungen im öffentlichen Sektor auf 93 Prozent senken. Das Budgetdefizit soll heuer unter die 3-Prozent-Marke fallen und in 5 Jahren nur mehr ein Prozent ausmachen.
Volkswirte und Analysten sind sich einig darin, dass ein Wahlerfolg eines der beiden EU-kritischen Kandidaten, Marine Le Pen oder des weit links stehenden Jean-Luc Mélenchon, die Märkte schwer erschüttern dürfte. Beide haben sich deutlich – von entgegengesetzten Rändern des politischen Spektrums kommend – für ein Abgehen von den europäischen Vereinbarungen und Regeln ausgesprochen.
So fordert Mélenchon milliardenschwere Zusatzausgaben und dringt auf Neuverhandlungen der Verträge, um die Sparvorgaben aus Brüssel zu lockern – andernfalls droht er mit einem Austritt aus der EU. Egal, wer von beiden letztlich auf dem Präsidentensessel Platz nimmt – am Ende des Prozesses dürfte es auf einen Austritt Frankreichs hinauslaufen, den Frexit.
Eine Stichwahl zwischen diesen beiden Kandidaten wäre aus Sicht der Märkte der schlimmstmögliche Ausgang der Präsidentschaftswahl. Raiffeisen-Chefanalyst Peter Brezinschek bezeichnet dieses Szenario als „Schreckensduo“und „Pech und Schwefel“, Le Pen oder Mélenchon als Präsident würde den „Abschied von einem Bündnispartner“bedeuten. Das wäre ein möglicherweise fataler Schlag für die EU. Der Kreditversicherer Coface erwartet, dass bei einem Wahlsieg Le Pens die Insolvenzen in Frankreich um ein Drittel steigen könnten.
Einiges von dieser Angst sei bereits in den Bewertungen von Aktien und Anleihen eingepreist, meint Bank-Austria-Chefökonom Stefan Bruckbauer. Er hält das Risiko für Austrittsszenarien aus heutiger Sicht für überschätzt. Zudem spielt auch der Ausgang der Parlamentswahl am 11. Juni eine wichtige Rolle. Sie entscheidet, wie mächtig der neue Präsident wirklich ist.
Analysten halten die StichwahlKombination Le Pen/Mélenchon für ähnlich unwahrscheinlich wie Macron/Fillon, die für Stabilität, Reformen oder strengere Sparprogramme (Fillon) stünden.
Am Freitag herrschte an den Märkten Ruhe vor dem Sturm. Eine „Mischung aus Zurückhaltung und Vorsicht“, wie es Händler formulierten, ließ den Pariser Börsenindex CAC-40 bis zum Nachmittag etwas schwächer tendieren, obwohl aktuelle Wirtschaftsdaten Signale für einen Aufschwung lieferten.
„Die Märkte wollen Macron oder Fillon.“Peter Brezinschek, Raiffeisen-Chefanalyst