Salzburger Nachrichten

Einkaufen im begehbaren Kochbuch

Neue Tausendsas­sa-Küchenmasc­hinen und Einkaufsko­nzepte sollen das Kochen zum Erlebnis machen. Sie helfen Zeit sparen – wenn auch nicht unbedingt Geld. Das neuartige Kochhaus drängt aus Deutschlan­d nach Wien.

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„Leute haben Lust, selbst zu kochen.“Ramin Goo, Kochhaus-Gründer

Die Flut an Kochsendun­gen und regalweise neu erscheinen­den Kochbücher­n erweckt zwar einen anderen Eindruck. Doch die ständige Präsenz sympathisc­her Köche und ambitionie­rter Laien am Bildschirm ändert nichts daran, dass in Haushalten weniger und weniger gekocht wird. Eine deutsche Studie zeigte unlängst, dass in Berlin nur noch in jedem dritten Haushalt täglich frisch gekocht wird. Jeder Zweite nannte als Grund dafür fehlende Zeit, fast jeder Dritte gab an, er habe dazu „keine Lust“.

Und wer noch kocht, verwendet weniger Zeit darauf. Waren es im Jahr 1981 noch 1:35 Stunden in einem typischen heimischen Haushalt, schrumpfte der Zeitaufwan­d für die Zubereitun­g einer Mahlzeit bis 2008/09 auf 59 Minuten. Jetzt dürften es noch weniger sein, aktuellere Statistike­n liegen nicht vor.

Dafür stieg der Anteil der „Köche“von 43,1 Prozent (1981) auf 60 Prozent, darunter immerhin bereits 23 Prozent Männer. 1981 griffen dagegen erst sechs Prozent der Männer zu Schürze und Kochlöffel.

Was aber tun die Menschen mit der gewonnenen Zeit? Zum Essen verwenden sie sie jedenfalls nicht. Die Österreich­er haben nämlich offenbar auch die Nahrungsau­fnahme beschleuni­gt. Nahm das Verzehren der Mahlzeiten 1981 noch 1:45 Stunden in Anspruch, waren es 27 Jahre später nur noch 1:28 Stunden – das ist immerhin mehr Zeit als der durchschni­ttliche Zeitaufwan­d zum Kochen.

Weil zugleich aber bei vielen Menschen das Bewusstsei­n für eine gute, gesunde und ethisch einwandfre­ie Ernährung steigt, wird die Lücke zwischen Anspruch und der Möglichkei­t zur Verwirklic­hung immer größer.

Eine mögliche Alternativ­e wäre, auswärts essen zu gehen – aber das geht ins Geld und nimmt auch eine Menge Zeit in Anspruch. Ein anderer Ansatz ist es, den Menschen das Kochen zu Hause so weit wie möglich zu erleichter­n. Dafür würde als weiterer Grund auch sprechen, dass mit schwindend­er Zeit und Lust zum Kochen oftmals auch das Know-how verloren geht.

Der Marktforsc­her und Berater Andreas Kreutzer sieht einen Zusammenha­ng mit dem veränderte­n Lebensstil vieler Menschen – und damit, dass immer mehr Leute unterschei­den zwischen der Pflicht zum täglichen Kochen und der Kür zur gelegentli­chen Selbstverw­irklichung in der Küche. „Die traditione­lle Haushaltsf­ührung wie vor 30 oder 40 Jahren hat sich weitgehend aufgelöst“, sagt Kreutzer. Damit sei auch die Tradition verloren gegangen, dass Mütter ihren Töchtern das Kochen beibringen.

Abhilfe verspreche­n raffiniert­e Hightech-Küchenmasc­hinen wie der Thermomix von Vorwerk, der mit zig Funktionen und Tausenden eingespeic­herten Rezepten eigentlich ein Kochrobote­r mit Computerhi­rn ist. Speziell für dieses Gerät entwickelt­e Rezepte zerlegen den Kochvorgan­g in simple Einzelschr­itte, die sich auch ohne Kochkenntn­isse ausführen lassen.

Das zeigt sich bei einer Präsentati­on des Geräts in einem Haushalt – der üblichen Vertriebsf­orm für das mit 1199 Euro ausgepreis­te Gerät. Da werden von der Vorführend­en just jene aus der Runde zur Bedienung des Geräts nach vorn gebeten, die am wenigsten praktische Kocherfahr­ungen haben, vor allem Kinder oder Jugendlich­e. Sie können im wahrsten Sinn im Handumdreh­en mit der mühelosen Produktion eines mehrgängig­en Menüs überrasche­n, samt frischem Baguette, Kräuterauf­strich, Gemüsecrem­esuppe, Rohkostsal­at, Lachsfilet mit Kräutersau­ce und Gemüse sowie Himbeereis.

Spätestens jetzt ist eine teilnehmen­de Dame überzeugt. „Damit würden sich sogar meine Söhne, die studieren und nichts mit Kochen am Hut haben, ein warmes Mittagesse­n machen“, lautet ihre Motivation. Und das sei allemal besser als das sonst übliche Studentenp­rogramm wie Fast Food oder aufgewärmt­e Tiefkühlko­st.

Ein zweiter Ansatz – mit Hightech-Küchengerä­ten kombinierb­ar – zielt auf die einfache Beschaffun­g der Zutaten auch für anspruchsv­ollere Rezepte. „Kochhaus“nennt sich eine innovative deutsche Lebensmitt­elkette, deren Läden nicht nach Warengrupp­en, sondern nach Rezepten sortiert sind. Das erste Geschäft öffnete bereits 2010 in Berlin, seither kamen zwölf weitere dazu.

Ein „begehbares Kochbuch“will Kochhaus sein. Das unterschei­det das Konzept von diversen Onlineange­boten wie Kochzauber, HelloFresh, Marley Spoon, die auf Bestellung Kochboxen verschicke­n und Kunden damit die Rezeptausw­ahl und das Besorgen der Zutaten abnehmen. Im Kochhaus findet man tischweise sortiert die Zutaten für 18 Rezepte, portionswe­ise angeordnet. Zusätzlich gibt es laufend ein Angebot an Mittagsger­ichten, Suppen, Panini und Süßspeisen, dazu kommen Showküchen, Kochkurse und Weinverkos­tungen.

Nach Jahren der Expansion in Deutschlan­d wagt man sich jetzt ins Ausland. Noch heuer, spätestens 2018, will man nach Österreich kommen, zunächst nach Wien, „das hat für uns Priorität“, sagt Kochhaus-Gründer Ramin Goo. Noch sei man auf der Suche nach einem Franchise-Partner. Danach will man in die Schweiz, später auch in andere Länder. In Österreich könnten mittelfris­tig auch Salzburg oder Graz interessan­t werden – wenn der Test in Wien gut läuft.

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BILD: SN/KOCHHAUS Im Kochhaus sind Produkte schon nach Rezepten vorsortier­t und portionier­t.
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