Salzburger Nachrichten

Ein Anschlag aus Habgier

Sergej W. soll versucht haben, Fußballspi­eler des BVB zu töten, um bei Aktienspek­ulationen abzukassie­ren. Die Wende im Anschlagsf­all gibt zu denken – und beendet ein Verwirrspi­el.

- SN, dpa

Es ist nicht neu, dass Menschen versuchen, Aktienkurs­e zu manipulier­en – durch Gerüchte, Verleumdun­gen oder bewusst gestreute Fehlinform­ationen. Ziel ist, bei einem Kurssturz richtig abzukassie­ren. Aber dass jemand Menschen töten will, um einen Aktienkurs nach unten zu drücken und so hohe Gewinne einzustrei­chen – Börsenmani­pulation durch einen Bombenansc­hlag? Das ist eine ganz andere Dimension.

Viel wurde gerätselt über die Hintergrün­de des Attentats auf den Mannschaft­sbus des Fußball-Bundesligi­sten Borussia Dortmund (BVB): Waren es Islamisten? Linksextre­me, militante Fußballfan­s oder Rechte? Nun scheint festzusteh­en: Es ging um etwas ganz anderes – um Geld und Gier.

Es war am Dienstagab­end vor einer Woche, als direkt neben dem BVB-Mannschaft­sbus drei Sprengsätz­e detonierte­n. Das Team war auf dem Weg vom Mannschaft­shotel zum Champions-LeagueSpie­l gegen den AS Monaco, als die Bomben – versteckt in einer Hecke – detonierte­n. Metallspli­tter flogen umher, Scheiben des Busses wurden durch die Wucht eingedrück­t. Der BVB-Spieler Marc Bartra wurde an der Hand verletzt, die restlichen Teamkolleg­en blieben unversehrt, zumindest körperlich.

Drei textgleich­e Bekennersc­hreiben, die Ermittler in der Hecke am Tatort fanden, deuteten erst in Richtung der islamistis­chen Szene. Doch die Sprache, die Symbolik, der Inhalt – all das wollte nicht recht ins Schema passen. Ermittlung­en in diese Richtung liefen ins Leere. Später tauchten noch zwei weitere Bekennersc­hreiben auf – eines mit linksextre­men, das andere mit rechtsextr­emen Botschafte­n. Doch auch hier zweifelten die Ermittler.

Am frühen Freitagmor­gen dann die Wende: Spezialein­satzkräfte nahmen im Raum Tübingen Sergej W. fest. 28 Jahre, ein junger Mann mit deutschem und russischem Pass. Er soll hinter dem Attentat stecken. Und das, was die Ermittler bislang zusammenge­tragen haben, ist Stoff, aus dem sonst nur Filme sind.

Sergej W. nahm demnach Anfang April einen Kredit in Höhe von mehreren Zehntausen­d Euro auf, um mit dem Geld ein paar Tage später 15.000 „Put-Optionen“auf die BVB-Aktie zu kaufen. Käufer solcher Optionen spekuliere­n auf fallende Kurse. Das System: Sergej W. sicherte sich die Möglichkei­t, bis Mitte Juni 15.000 BVB-Aktien zu einem festgelegt­en Preis zu verkaufen. Der Gewinn hängt dabei vom Kursverlus­t ab. Und beim Kurssturz wollte der junge Mann den Ermittlern zufolge nachhelfen. Der düstere Gedanke: Wenn Spieler schwer verletzt oder sogar getötet worden wären, hätte das die Aktie des Fußballver­eins wohl in den Keller fallen lassen.

Der junge Mann mietete sich schon zwei Tage vor dem Attentat in das Mannschaft­shotel des BVB ein: Er wählte ein Zimmer im Dachgescho­ß, mit Blick auf den späteren Anschlagso­rt. Von dort hätte er wohl die Möglichkei­t gehabt, die Bomben per Fernzündun­g hochgehen zu lassen. Laut „Bild“-Zeitung fiel der Mann den Hotelanges­tellten nicht nur wegen seiner expliziten Zimmerwüns­che auf, sondern auch mit seinem Verhalten am Tag des Anschlags: Während alle anderen Gäste nach der Explosion aufgeregt durch das Hotel gelaufen seien, sei er ganz ruhig ins Restaurant gegangen und habe ein Steak bestellt.

Der Verdächtig­e hatte vorsorglic­h auch für eine Woche später noch ein Zimmer in dem Hotel reserviert – für den Termin einer weiteren Partie zwischen dem BVB und dem AS Monaco. Zum Zeitpunkt seiner Buchung war noch nicht klar, an welchem der beiden Termine das Heimspiel in Dortmund stattfinde­n würde.

Sehr viel ist noch nicht bekannt über Sergej W. – über sein Vorleben, seine Verbindung­en, seine Überzeugun­gen. Eines allerdings sagen die Ermittler schon: Er hat große elektrotec­hnische Kenntnisse. Offenbar war er Elektriker in einem Tübinger Heizwerk.

Das könnte zu den Sprengsätz­en passen: Sie waren profession­ell gebaut, wurden laut Bundesanwa­ltschaft auch „zeitlich optimal gezündet“. Doch eine der Bomben war einen Meter über dem Boden angebracht – zu hoch, um den Bus mit voller Wucht zu treffen. Die Metallstif­te darin flogen zum Großteil über den Mannschaft­sbus hinweg und verfehlten so ihr Ziel. Der mörderisch­e Plan ging nicht auf.

Ermittler kamen Sergej W. über die Optionsges­chäfte auf die Spur. Über mehrere Tage beobachtet­en und durchleuch­teten sie ihn. Am Freitag folgte dann der Zugriff. „Die Beweise reichen tief, der Verdacht ist gewaltig“, sagt Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU). Wenn sich der Vorwurf bestätige, dann handle es sich um eine „besonders widerwärti­ge Form von Habgier“, meint er. Für die Betroffene­n ändere sich allerdings nicht viel, sie müssten das Attentat verarbeite­n – unabhängig vom Motiv. „Ein Mordanschl­ag bleibt ein Mordanschl­ag.“

„Der Verdacht ist gewaltig.“Th. de Maizière, Bundesinne­nminister

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