Karajan und der Pizzabote
Im verwickelten Kulturbetrieb zeichnet sich eine neue Entwicklung ab: die Wiederentdeckung und -aufführung uralter Inszenierungen. Exemplarisch vorgeführt wurde der Trend in Salzburg, wo eine 50 Jahre alte Karajan-Inszenierung der „Walküre“zu Ostern eine fulminante Auferstehung erlebte.
Da die Politik nach der Expertise unseres Herrn Kanzlers zu 95 Prozent aus Inszenierung besteht, wird es vermutlich nicht lange dauern, bis auch sie den Weg der „Re-Kreation“(wie es in Salzburg hieß) einschlägt und altbewährte Regieleistungen hervorholt.
So könnte man sich gut vorstellen, dass die Re-Kreationisten in der ÖVP um 50 Jahre zurückblättern und sich ihrer Inszenierung aus dem Jahr 1967 entsin- nen. Immerhin hielt die ÖVP damals, als in Salzburg „Hojotoho“gesungen wurde, die absolute Mehrheit, führte eine Alleinregierung und hatte an ihrer Spitze einen sendungsbewussten Mann. (Sendungsbewusstsein bedeutet übrigens nicht, dass einer nur den nächsten Fernsehauftritt im Kopf hat.)
Der SPÖ wird es reichen, in ihrem Regiebuch um 45 Jahre zurückzublättern. Damals, 1972, war sie es, die mit absoluter Mehrheit regierte. An ihrer Spitze hatte sie damals einen wahren Karajan der Politik. Dieses Stück würde sie sicher gerne wieder aufführen.
Die FPÖ wird vermutlich auf das Festspiel-Jahr 1983 zurückgreifen, als sie zum ersten Mal, und zwar von der SPÖ, in die Regierung geholt wurde. Ganz ohne internationale Proteste.
Und die Grünen sehnen sich gewiss nach der Inszenierung des Jahres 1986 zurück, als sie erstmals den Einzug ins Parlament schafften. Damals hatten die Grünen übrigens noch keine Probleme mit der Parteijugend. Damals waren sie selbst noch jung.
Worauf sich die Retro-Welle im Wesentlichen stützt, sind die Requisiten. In der Salzburger „Walküre“ist es die vor 50 Jahren ersonnene Papp-Weltesche Yggdrasil, um die sich im ersten Akt alles dreht. Auch die Politik sitzt auf einem riesigen Fundus an Requisiten: Ob Mallorcapaket oder Raab-Kamitz-Kurs, ob „Ein Stück des Weges gemeinsam gehen“oder „Macht braucht Kontrolle“, ob Rentenklau oder rote Katze – es gibt sie noch, die guten Dinge.
In 50 Jahren, wenn unsere Enkelgeneration ins Politik-erduldende Alter kommt, wird man vielleicht ein Requisit des Jahres 2017 aus dem Fundus hervorkramen: eine rote Pizzabotenjacke. Zunächst wird niemand etwas mit dem betont körpernah geschnittenen Teil anfangen können, doch dann werden uralte Weise ihr bemoostes Haupt heben und erklären: Das war die Jacke, in der vor 50 Jahren ein längst vergessener Kanzler wahlgekämpft hat.
Leider bringen die Weisen da etwas massiv durcheinander, denn selbstverständlich hat Christian Kern in der roten Pizzabotenjacke nicht wahlgekämpft. Er hat darin einfach 95 Prozent seiner politischen Arbeit erledigt.
Ein weiteres Requisit, das unsere Zeit der Zukunft hinterlassen kann, ist die lange Bank, auf die heute die Dinge geschoben werden. Diese Bank ist wahrlich nicht von Pappe und man wird dereinst im Jahre 2067 staunen, wie unendlich lange Möbel man vor 50 Jahren zu bauen imstande war. Da reicht eine Weltesche Yggdrasil gar nicht aus, um das viele Holz dafür zu liefern.
Der heuer re-kreierte Karajan schob nichts nirgendwo hin. Laut einer bekannten Anekdote stürzte er eines Tages aus der Oper, ließ sich auf den Rücksitz eines Taxis fallen und schnarrte den Lenker an, er solle doch endlich losfahren. „Ja, aber wohin denn, Maestro?“, fragte der Taxler schüchtern. „Ist doch ganz egal“, erwiderte Karajan ungeduldig. „Ich werde überall gebraucht!“
Ein wenig von dieser Eile könnten wir heute ganz gut gebrauchen, oder?