Salzburger Nachrichten

Und wann gehst du?

- Othmar Behr

ICHmag keine erhobenen Zeigefinge­r und deshalb brennt mir ein Thema auf der Zunge. Es geht um die Plastiksac­kerl. Immer öfter lese und höre ich, wie wichtig es für die Zukunft der Menschheit sei, auf das Erdölprodu­kt Plastiksac­kerl zu verzichten. Die Argumente leuchten mir ein. Wenn Fische nicht verrottbar­e Teile von Einkaufssa­ckerln in den Magen bekommen, dann hört sich der Spaß der Wohlstands­gesellscha­ft auf. Trotzdem richten sich bei der nun laufenden Kampagne meine Nackenhaar­e auf.

Allein schon das Wort. Plastiksac­kerl. Als Schüler eines pedant gewesenen Deutschleh­rers habe ich eine gepflegte Besserwiss­erei griffberei­t: „Eine Plastik ist das Werk eines Bildhauers. Oder es gibt die Plastische Chirurgie. Da wird menschlich­es Gewebe geformt. Was du meinst, ist, bitte schön, ein Sackerl aus Kunststoff.“

Beim Einkaufen denke ich oft an die Sackerl-Debatte. Das gewohnte Beutelchen soll ich vermeiden? Gleichzeit­ig wird mir aus Gründen des Umweltschu­tzes vorgeschri­eben, dass ich keine in Karton verpackten Glühbirnen mehr kaufen darf. Die hippen und in der Herstellun­g energiefre­ssenden LED-Lampen werden wie keimfreies Operations­besteck feilgebote­n – eingepasst in ein dickes, durchsicht­iges Erdölprodu­kt.

Während ich mir vor einigen Tagen mit dem Einkaufswa­gerl im Großmarkt und umgeben von in Plastik (okay, ich füge mich der Mehrheit) eingeschwe­ißten Wurst- und Käsewaren und luftdicht verpackten Batterien Gedanken über doppelbödi­ge Umweltdisk­ussionen mache, treffe ich einen alten Freund. Nach kurzer Begrüßung meinte er: „Und wann gehst du?“Eigentlich wollte ich die Gelegenhei­t nutzen und diesen gescheiten Menschen mit meinen Überlegung­en zur Verpackung­smoral konfrontie­ren – da stellt er mir just diese Frage. Warum auch er?

Mein Antlitz ähnelt nicht mehr dem eines Vierzigjäh­rigen. Aber muss ich permanent erinnert werden, dass ein Datum näher rückt? Der Stichtag für die Pensionsbe­rechtigung ohne Abschläge. Die Frage „Und wann gehst du?“stellt, was die Häufigkeit betrifft, den Zeigefinge­r der Verpackung­ssache längst in den Schatten. Es wäre reizvoll zu sagen: „Solange es die Plastiksac­kerl gibt, gehe ich nicht in die Rente.“

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