Mit 54 in die erste eigene Wohnung
Menschen mit Beeinträchtigung wollen selbstständig leben und arbeiten. In der Praxis hakt es noch. Die SN zeigen zwei Positivbeispiele.
SALZBURG. Josef Gsenger wird im August 53 Jahre alt. Er lebt immer noch zu Hause bei seiner Mutter Anna. Denn der lebenslustige Abtenauer ist nach einer schweren Erkrankung im Kindesalter intellektuell beeinträchtigt. Seine Mutter, die kurz vor Ostern 80 wurde und in der Vergangenheit schon gesundheitliche Probleme hatte, hat einen großen Wunsch: „Wir suchen schon seit mehr als zehn Jahren einen Wohnplatz für Josef. Denn wenn ich nicht mehr bin, was ist dann mit ihm?“
Schon 2008 hat Österreich die UNO-Konvention für Menschen mit Behinderung ratifiziert. Sie sieht vor, dass auch sie selbstbestimmt arbeiten, leben und ihre Freizeit verbringen können sollen. Im Fachjargon wird das mit dem Begriff Inklusion – also Teilhabe an allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens – umschrieben. In der Praxis gibt es aber noch viele Hürden, gerade beim Wohnen. Darauf weist die Lebenshilfe Salzburg hin, die heuer ihr 50-Jahr-Jubiläum feiert. Sabine Biber, Bereichsleiterin für Wohnen, sagt: „Menschen mit Beeinträchtigung, die in einer Einrichtung wohnen, haben kein Mitspracherecht bezüglich ihrer Mitbewohner.“Aktuell gebe es großen Bedarf an Garçonnièren oder Wohnungen für Paare, die derzeit in größeren Wohngruppen lebten. Außerdem gebe es immer öfter ältere Menschen mit Beeinträchtigung, die von zu Hause ausziehen wollen oder müssen: „Aktuell haben wir da 19 dringliche Fälle. Die älteste Mutter, deren 70-jähriger Sohn auf der Warteliste ist, ist 97“, erzählt Biber.
Im Fall von Josef Gsenger wurde eine Lösung gefunden: Er wird ab Herbst 2018, wenige Wochen nach seinem 54. Geburtstag, erstmals in einer Garçonnière wohnen: „Ich freue mich schon sehr aufs Ausziehen.“Und wie wird das mit dem Kochen, Waschen und Putzen? Gsenger grinst: „Das machen die Betreuer.“Hintergrund ist, dass in Abtenau das alte Gemeindeamt abgerissen wird und dort ein Wohnhaus – im Sinne der Inklusion – für Menschen mit und ohne Beeinträchtigung gebaut wird. Josef Gsenger und zwölf weitere Klienten der Lebenshilfe werden dort einziehen – und je nach Bedarf mehr oder weniger intensiv betreut.
Der zweite wichtige Meilenstein auf dem Weg zur selbstbestimmten Teilhabe ist das Thema Arbeit: Hier haben Menschen mit Beeinträchtigung das Problem, dass sie meist nur in Werkstätten einer Trägereinrichtung Beschäftigung finden. Als Entgelt bekommen sie dabei meist nur ein geringes Taschengeld. Die Forderung der „Selbstvertreter“, also Menschen mit Beeinträchtigung, die als gewählte Vertreter für ihre Kollegen in Einrichtungen sprechen, liegt daher auf der Hand: „Wir wollen echten Lohn.“
Es gibt aber auch Ausnahmen: Der Personaldienstleister Teampool in Seekirchen und Eugendorf etwa. Firmenchef Ewald Ottradovetz beschäftigt österreichweit 1200 Mitarbeiter. Bei der Verpackung seiner Werbegeschenke, bei Botengängen und dem firmeninternen Versand von Briefen und Büromaterial setzt er bewusst auf Klienten der Lebenshilfe – von denen er mittlerweile 21 in Form von geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen (maximal 425 Euro/Monat) angestellt hat: „Denn wenn man sieht, was die Menschen für eine Freude haben, weil sie für ein Unternehmen arbeiten und dafür auch Geld bekommen, dann ist das zehn Mal mehr wert, als wenn man dafür die Ausgleichstaxe zahlt.“
Was taugt Anna Haslauer an ihrem Job hier? „Ich verdiene Geld. Damit gehe ich einkaufen in
„Die älteste Mutter, deren Sohn auf der Warteliste steht, ist 97.“Sabine Biber, Lebenshilfe Salzburg
Eugendorf – und kaufe mir TShirts, Schuhe und Schmuck für mich selbst“, sagt die 18-Jährige und strahlt. Helmut Semsch (47) arbeitet schon seit 2013 über die Lebenshilfe bei Teampool: „Ich habe mir um das Geld sogar schon einen Fernseher gekauft.“