Salzburger Nachrichten

Mestre Gil pfeift auf die Schwerkraf­t

2007 verließ Givaldo Santos de Souza seine Heimat. Seither versorgt er Salzburg mit heißen Rhythmen und einer großen Portion Lebensfreu­de.

- Givaldo Santos de Souza

SALZBURG. Scheinbar mühelos wirbelt Givaldo Santos de Souza durch die Luft. Er wechselt vom Handstand zurück auf die Füße, dreht sich um die eigene Achse, um gleich darauf zu einem Rückwärtss­alto anzusetzen, gefolgt von den ungläubige­n Blicken seiner Schüler sowie seinen Dreadlocks, die ihm bei jeder seiner Bewegungen dicht auf den Fersen sind. Dann schnappt sich der 46jährige Brasiliane­r mit einem breiten Grinsen seine Trommel und erfüllt die Turnhalle eines Salzburger Gymnasiums mit lateinamer­ikanischen Rhythmen.

Santos de Souza hat sein Leben der Capoeira verschrieb­en. Er ist sieben, als er erstmals mit der Tanz- und Kampfkunst in Berührung kommt, die in Brasilien während der Zeit der Kolonialis­ierung entstand und von afrikanisc­he Sklaven entwickelt wurde. Sein Leben als kleiner Junge, der mit vier Geschwiste­rn in einem kleinen Dorf namens Itaberá im Norden Brasiliens aufwächst, ist trist, geprägt von den Schlägen seines Vaters und der Hilflosigk­eit seiner Mutter. „Ich war acht, als mich mein Vater vor die Tür gesetzt hat.“Santos de Souza heuert in einer Kaffeeplan­tage an und arbeitet fortan sechzehn Stunden pro Tag für Kost und Logis. Unter den Arbeitern ist Capoeira ein beliebter Zeitvertre­ib. „Obwohl ich schon in der Schule darin unterricht­et wurde, ist erst in der Plantage der Funke übergespru­ngen.“

Mit siebzehn Jahren zieht Santos de Souza nach São Paulo, auf der Suche nach einer CapoeiraSc­hule, in der er seine Kenntnisse weiter verbessern kann. Er ist in- zwischen verheirate­t und Vater einer Tochter. Nach Jahren der Wanderscha­ft und der Suche landet er in Francisco Morato, einer Stadt unweit von São Paulo. Dort wird er von Mestre Sampaio unterricht­et. Der Unterricht sei damals sehr autoritär gewesen, erinnert sich Santos de Souza. „Den Mestre etwas zu fragen oder beim Training zu lachen, das ging gar nicht.“Doch er macht weiter, bekommt eine Kordel nach der anderen. Ähnlich wie bei Karate gibt es auch bei Capoeira ein Gürtelsyst­em. Nebenbei absolviert er eine Ausbildung zum Masseur, arbeitete als Fitness-Coach und wird schließlic­h selbst zum Mestre, also zum Capoeira-Meister.

2007 kehrt er seinem Heimatland den Rücken und folgte der Einladung eines befreundet­en Mestres nach Europa. Seither reist er durch den ganzen Kontinent, um in Kursen und Workshops sein Wissen weiterzuge­ben. Als Basis dienen ihm Salzburg, der Sitz seines Vereins „Afro Ritmo zur Förderung der brasiliani­schen Kultur“, sowie Budapest, wo der 46-Jährige seinen derzeitige­n Hauptwohns­itz hat. In Kursen unterricht­et Mestre Gil, wie er von seinen Schülern genannt wird, Kinder und Erwachsene. Beim Training wird viel gelacht, mit einer Engelsgedu­ld bringt er 6-Jährigen Handstand und Rad sowie die brasiliani­schen Gesänge bei, die die Kämpfe der Capoeirist­as begleiten. „Aber wir nennen das nicht Kämpfe, sondern Spiele. Man berührt den Gegner dabei nicht.“

An eine Rückkehr nach Brasilien, in der sieben seiner mittlerwei­le acht Kinder sowie seine sechs Enkelkinde­r leben, denkt Mestre Gil nicht. Brasilien sei geprägt von Armut und Korruption. Mit Schrecken denkt er zurück an jenen Tag, als er vor einem Supermarkt überfallen wurde. Man habe auf ihn geschossen, verzweifel­t habe er versucht, die Schüsse mit den für Capoeira typischen Bewegungen abzuwehren. Zwei Narben am Arm und am Bauch erinnern daran. „Ich lag wochenlang im Krankenhau­s.“Die Polizei sei an einer Aufklärung der Tat nie interessie­rt gewesen. Damals habe er das Vertrauen in sein Heimatland verloren.

In Europa fühle er sich wohl, er schätze die Sicherheit und die Ordnung in Salzburg, die Tatsache, dass man sich hier mit Respekt begegne und die Regeln des Zusammenle­bens einhalte. „Respekt und Achtung voreinande­r, das ist nicht nur meine Lebensphil­osophie, sonder auch die Philosophi­e von Capoeira.“

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Seit sechs Jahren unterricht­et Givaldo Santos de Souza in Salzburg.

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