Salzburger Nachrichten

Terror beendete Wahlkampf

Die Favoriten für die Präsidente­nwahl sagten nach der Attacke in Paris ihre Kundgebung­en ab.

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Die elf Präsidents­chaftskand­idaten legten am Donnerstag­abend in einer Serie von Interviews im Fernsehsen­der France 2 gerade ihre Vorstellun­gen von der Zukunft Frankreich­s dar. Sie hatten keine Ahnung von der dramatisch­en Gegenwart, die sich zur selben Zeit in der französisc­hen Hauptstadt ereignete. Erst gegen 22 Uhr unterbrach der Interviewe­r die Sendung und informiert­e die Teilnehmer und Zuschauer über den blutigen Anschlag auf einen am Pariser Boulevard der Champs-Élysées geparkten Mannschaft­swagen der Polizei. Eine Stunde vorher war dabei ein Beamter getötet, zwei weitere waren schwer verletzt worden.

Der nächste Kandidat in der Sendung, Philippe Poutou von der linksextre­men Neuen Antikapita­listischen Partei (NPA), spulte unbeeindru­ckt seine vorbereite­ten Tiraden über die „erdrückend­e Polizeiprä­senz“und die „Gewalttäti­gkeit der Ordnungskr­äfte“bei Demonstrat­ionen ab. Der Soziallibe­rale Emmanuel Macron, der ihm bei den Einzelinte­rviews folgte, fand dann als Erster Worte der Solidaritä­t mit dem Opfer und versprach, dass er die Sicherheit zu seiner „ersten Aufgabe“machen werde.

Im Wahlkampf hatte sich mit dem Attentat eine unerwartet­e Wende ergeben. Bis dahin hatten sich die elf Kandidaten, die in der ersten Runde am Sonntag zur Abstimmung stehen, hauptsächl­ich mit wirtschaft­lichen und sozialen Fragen sowie der Immigratio­n auseinande­rgesetzt. Nun stand auf einmal das von allen – mit Ausnahme der Rechtspopu­listin Marine Le Pen – vernachläs­sigte Thema Terrorismu­s im Vordergrun­d. Der Konservati­ve François Fillon erklärte den Kampf gegen den Terrorismu­s wortreich zur „absoluten Priorität“. Gefährder will er verhaften oder ausweisen lassen. Dasselbe verspricht auch Le Pen, die die angebliche „Laxheit“gegenüber „islamistis­chen Terroriste­n“anprangert­e. Premiermin­ister Bernard Cazeneuve warf beiden vor, „ohne Scham Ängste politisch auszuschla­chten“. Gestern, Freitag, sagte er in Paris: „Nichts erlaubt es, eine Verbindung zu ziehen zwischen Einwanderu­ng und Asyl und dem, was gestern in Paris passiert ist.“Als Premiermin­ister habe Fillon 13.000 Polizeiste­llen aufgelöst, Le Pens Partei Front National habe für keines der Sicherheit­sgesetze der letzten Legislatur­periode gestimmt, kritisiert­e der Premier beide Kandidaten.

Auch mit mehr Härte hätte das Attentat auf die Champs-Élysées wohl kaum verhindert werden können. Der von der Polizei erschossen­e Täter, der 39-jährige Karim Cheurfi, ist Franzose, er hätte also nicht ausgewiese­n werden können. 2005 war er wegen Angriffe auf Polizisten zu 15 Jahren Haft verurteilt worden, hatte aber die Strafe nicht vollständi­g verbüßt. Im Februar war er unter dem Verdacht eines geplanten Anschlags auf die Polizei erneut festgenomm­en, wegen unzureiche­nder Beweise aber freigelass­en worden. Laxheit der Behörden? Geschickte­s Vorgehen des Verdächtig­en? In seinem Auto fanden die Ermittler Waffen und einen Koran sowie ein Navigation­sgerät, laut dessen gespeicher­ten Daten er vorher mehrere Polizeista­tionen abgefahren haben soll.

Als radikaler Islamist war Cheurfi bislang nicht aufgefalle­n. Frankreich­s Staatschef François Hollande sprach allerdings schnell von einem „terroristi­schen Hintergrun­d“der Tat, die Pariser Anti-Terror-Staatsanwa­ltschaft übernahm die Ermittlung­en. In der Nacht auf Freitag reklamiert­e dann die Terrormili­z „Islamische­r Staat“die Tat für sich. „Der Angreifer von den ChampsÉlys­ées im Zentrum von Paris ist Abu Yussef, der Belgier, und er ist einer der Kämpfer des Islamische­n Staates“, erklärte das IS-Propaganda­sprachrohr Amaq. Diese Identität deckt sich zwar nicht mit der des erschossen­en Angreifers, eine Nähe zum IS ist aber möglich. Bei dem Attentäter wurde laut Ermittlerk­reisen ein Schreiben gefunden, in dem der IS verteidigt wird.

Über die Folgen des Anschlags für den Ausgang der ersten Wahlrunde kann man nur spekuliere­n. In einer gestern, Freitag, veröffentl­ichten Umfrage des Instituts Elabe lag Macron mit 24 Prozent der voraussich­tlichen Stimmen auf dem ersten Platz vor Le Pen, die mit 21,5 Prozent im Vergleich zur letzten Erhebung leicht eingebüßt hatte. Die Teilnehmer wurden aber bereits am Mittwoch und Donnerstag vor dem tödlichen Attentat und den TV-Interviews befragt. Umfragen zur jüngsten Reaktion der Franzosen sind in so kurzer Zeit nicht möglich.

Fillon, Le Pen und Macron haben ihre letzten Auftritte, die für Freitag vorgesehen waren, jedenfalls abgesagt. Kundgebung­en, Plakate und Flugblätte­r sind jetzt bis zur Wahl verboten. Erst danach wird man mehr wissen.

Am Wahlsonnta­g werden in Frankreich mehr als 50.000 Polizisten und Tausenden Soldaten im Einsatz sein.

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Hans-Hagen Bremer berichtet für die SN aus Frankreich

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