Auch Stress macht Essen unverträglich
Keine Milch, keine Nüsse, lieber auch kein Brot und schon gar keine Früchte. Fisch? Nein danke. Die Zahl der Menschen, die Essen schlecht vertragen, steigt. Aber sind das alles gleich Allergien und Unverträglichkeiten?
Keine Milch, keine Nüsse, kein Brot und schon gar keine Früchte. Die Zahl der Menschen, die Essen schlecht vertragen, steigt. Aber sind das alles Allergien und Unverträglichkeiten?
WIEN. Etwa jeder vierte Österreicher leidet an einer allergischen Erkrankung. Er reagiert auf Allergene, die er einatmet. Also auf Pollen, Staub etc. Tendenz steigend. Es steigen auch scheinbar Unverträglichkeiten im Lebensmittelbereich. Doch nicht alles, was einem „im Magen“liegt, ist auch auf solche Unverträglichkeiten zurückzuführen. Sehr oft sind Stress und Überforderung und in der Folge ein sensibler Magen-Darm-Trakt Ursache solcher Beschwerden.
Stefan Wöhrl von der Österreichischen Gesellschaft für Dermatologie & Venerologie, stellt klar: Die Unverträglichkeit von Fruchtzucker wird durch die zunehmende vermehrte Verwendung von Fruchtzucker und Zuckeraustauschstoffen vor allem in Fertignahrung tatsächlich häufiger. Ebenso mehr werden pollenassoziierte Reaktionen auf Nahrungsmittel. Beispiel: Birkenpollen-Allergiker spüren manchmal in der Pollenhochsaison einen Juckreiz am Gaumen, wenn sie einen Apfel gegessen haben. Man nennt das eine Kreuzallergie. Solche Beschwerden werden mehr, weil Pollenallergien zunehmen. Doch die gefährlichen Nahrungsmittelallergien auf Nüsse, Fische oder Meeresfrüchte, woran Menschen sogar sterben können, bleiben mit bis zu drei Prozent der Bevölkerung konstant.
Eine Nahrungsmittelunverträglichkeit hat viele Gründe. Diese reichen von einer allergischen Reaktion bis hin zu Entzündungen oder Reizungen des Magen-DarmTrakts. „Welche Form der Unverträglichkeit vorliegt, muss anhand verschiedener Testverfahren abgeklärt werden. Betroffene sollten daher auf den Spezialisten vertrauen: den allergologisch versierten Facharzt für Dermatologie oder Kinderheilkunde“, sagt Gunter Sturm, Leiter des Allergieambulatoriums Reumannplatz in Wien.
Manchmal sei aber auch nur ein gestiegenes Bewusstsein für gesunde Ernährung und damit verbunden eine erhöhte Aufmerksamkeit für vermeintlich schlechter verträgliches Essen die Ursache solcher angeblichen Unverträglichkeiten. „Der Körper bekommt in unserer Ich-Gesellschaft eine immer größere Wichtigkeit und Nahrungsaufnahme steht in Verbindung mit Kontrolle dieses Körpers. Daher wird nach Substanzen in Nahrungsmitteln gesucht, die schuld sein könnten an körperlichen und psychischen Beschwerden“, sagt die auf solche Ernährungsfragen spezialisierte Psychologin Ulrike Schiesser. Damit werde Müdigkeit und Energielosigkeit als Folge einer Unverträglichkeit irgendeines Essens etikettiert anstatt als Folge eines überfordernden Lebensstils.
Der Weg, bis man weiß, was die Probleme genau verursacht, ist oft lang und mitunter mühsam. Einfache Lösungen und Heilungsversprechen sind verlockend. Schiesser: „Zwar sind wir meistens durchaus in der Lage, komplexe Dinge durchzudenken. Doch das kostet Energie und Motivation. Wir bevorzugen daher simple Lösungen.“
Sorgen bereiten den Experten die vielen unterschiedlichen und ihrer Meinung nach oft fragwürdigen Tests, die ohne medizinischen oder diätologischen Hintergrund über das Internet angeboten werden. Vor allem die so genannten IgG-Tests ersetzen immer häufiger die fachärztliche Diagnose. „Die Betroffenen werden mit den Testergebnissen aus dem Internet alleingelassen und es passiert oft, dass diese Menschen durch falsche Maßnahmen ihr Leiden erst recht verlängern. Sie laufen Gefahr, in eine Mangelernährung oder künstlich verursachte Essstörung abzugleiten“, warnt Dermatologe Sturm. Es gibt in der Allergologie die Begriffe IgE & IgG: Der eine Buchstabe macht den großen Unterschied. Barbara Bohle, Leiterin des Instituts für Pathophysiologie und Allergieforschung der MedUni Wien, erklärt ihn: In der Allergiediagnostik spielt die Bestimmung von Antikörpern im Blut – die sogenannten Immunglobuline – eine wichtige Rolle. Aussagekräftig ist aber nur eine bestimmte Art: jene vom Typ E. Immunglobuline E gelten als der Motor für allergische Reaktionen.
„Nur ein erhöhter, gegen Nahrungsmittel gerichteter IgE-Spiegel ist ein Hinweis auf eine Allergie“, sagt Bohle. „Immunglobulin G wird auch bei ganz gesunden Menschen als normale Reaktion auf wiederholt verzehrte Nahrungsmittel im Blut gebildet. Ein erhöhter IgG-Wert liefert also nur den Hinweis darauf, was jemand gern und oft isst.“Ein Beispiel: Trinkt man viel Milch, so zeigt sich das auch in einem erhöhten IgG-Spiegel gegen Milcheiweiß – das ist aber kein Nachweis für eine Unverträglichkeit.
Es ist wichtig zu wissen, woher die Beschwerden kommen. Bei einer Intoleranz, die durch einen Enzymmangel verursacht wird, macht die Dosis das Gift. Betroffene leiden unter Bauchschmerzen, Durchfall und Müdigkeit. „Leidet man hingegen an einer echten Nahrungsmittelallergie, so können bereits kleinste Mengen des Allergie-Auslösers heftige, mitunter lebensbedrohliche Beschwerden verursachen“, sagt Allergie-Experte Wöhrl. Davon abzugrenzen ist wiederum die Kreuzallergie, die meist wesentlich milder verläuft und als Folge einer Pollenallergie auftritt.
„Ein hoher IgG-Wert bedeutet noch keine Unverträglichkeit.“Barbara Bohle, Allergologin