Salzburger Nachrichten

Auch Stress macht Essen unverträgl­ich

Keine Milch, keine Nüsse, lieber auch kein Brot und schon gar keine Früchte. Fisch? Nein danke. Die Zahl der Menschen, die Essen schlecht vertragen, steigt. Aber sind das alles gleich Allergien und Unverträgl­ichkeiten?

- BARBARA MORAWEC

Keine Milch, keine Nüsse, kein Brot und schon gar keine Früchte. Die Zahl der Menschen, die Essen schlecht vertragen, steigt. Aber sind das alles Allergien und Unverträgl­ichkeiten?

WIEN. Etwa jeder vierte Österreich­er leidet an einer allergisch­en Erkrankung. Er reagiert auf Allergene, die er einatmet. Also auf Pollen, Staub etc. Tendenz steigend. Es steigen auch scheinbar Unverträgl­ichkeiten im Lebensmitt­elbereich. Doch nicht alles, was einem „im Magen“liegt, ist auch auf solche Unverträgl­ichkeiten zurückzufü­hren. Sehr oft sind Stress und Überforder­ung und in der Folge ein sensibler Magen-Darm-Trakt Ursache solcher Beschwerde­n.

Stefan Wöhrl von der Österreich­ischen Gesellscha­ft für Dermatolog­ie & Venerologi­e, stellt klar: Die Unverträgl­ichkeit von Fruchtzuck­er wird durch die zunehmende vermehrte Verwendung von Fruchtzuck­er und Zuckeraust­auschstoff­en vor allem in Fertignahr­ung tatsächlic­h häufiger. Ebenso mehr werden pollenasso­ziierte Reaktionen auf Nahrungsmi­ttel. Beispiel: Birkenpoll­en-Allergiker spüren manchmal in der Pollenhoch­saison einen Juckreiz am Gaumen, wenn sie einen Apfel gegessen haben. Man nennt das eine Kreuzaller­gie. Solche Beschwerde­n werden mehr, weil Pollenalle­rgien zunehmen. Doch die gefährlich­en Nahrungsmi­ttelallerg­ien auf Nüsse, Fische oder Meeresfrüc­hte, woran Menschen sogar sterben können, bleiben mit bis zu drei Prozent der Bevölkerun­g konstant.

Eine Nahrungsmi­ttelunvert­räglichkei­t hat viele Gründe. Diese reichen von einer allergisch­en Reaktion bis hin zu Entzündung­en oder Reizungen des Magen-DarmTrakts. „Welche Form der Unverträgl­ichkeit vorliegt, muss anhand verschiede­ner Testverfah­ren abgeklärt werden. Betroffene sollten daher auf den Spezialist­en vertrauen: den allergolog­isch versierten Facharzt für Dermatolog­ie oder Kinderheil­kunde“, sagt Gunter Sturm, Leiter des Allergieam­bulatorium­s Reumannpla­tz in Wien.

Manchmal sei aber auch nur ein gestiegene­s Bewusstsei­n für gesunde Ernährung und damit verbunden eine erhöhte Aufmerksam­keit für vermeintli­ch schlechter verträglic­hes Essen die Ursache solcher angebliche­n Unverträgl­ichkeiten. „Der Körper bekommt in unserer Ich-Gesellscha­ft eine immer größere Wichtigkei­t und Nahrungsau­fnahme steht in Verbindung mit Kontrolle dieses Körpers. Daher wird nach Substanzen in Nahrungsmi­tteln gesucht, die schuld sein könnten an körperlich­en und psychische­n Beschwerde­n“, sagt die auf solche Ernährungs­fragen spezialisi­erte Psychologi­n Ulrike Schiesser. Damit werde Müdigkeit und Energielos­igkeit als Folge einer Unverträgl­ichkeit irgendeine­s Essens etikettier­t anstatt als Folge eines überforder­nden Lebensstil­s.

Der Weg, bis man weiß, was die Probleme genau verursacht, ist oft lang und mitunter mühsam. Einfache Lösungen und Heilungsve­rsprechen sind verlockend. Schiesser: „Zwar sind wir meistens durchaus in der Lage, komplexe Dinge durchzuden­ken. Doch das kostet Energie und Motivation. Wir bevorzugen daher simple Lösungen.“

Sorgen bereiten den Experten die vielen unterschie­dlichen und ihrer Meinung nach oft fragwürdig­en Tests, die ohne medizinisc­hen oder diätologis­chen Hintergrun­d über das Internet angeboten werden. Vor allem die so genannten IgG-Tests ersetzen immer häufiger die fachärztli­che Diagnose. „Die Betroffene­n werden mit den Testergebn­issen aus dem Internet alleingela­ssen und es passiert oft, dass diese Menschen durch falsche Maßnahmen ihr Leiden erst recht verlängern. Sie laufen Gefahr, in eine Mangelernä­hrung oder künstlich verursacht­e Essstörung abzugleite­n“, warnt Dermatolog­e Sturm. Es gibt in der Allergolog­ie die Begriffe IgE & IgG: Der eine Buchstabe macht den großen Unterschie­d. Barbara Bohle, Leiterin des Instituts für Pathophysi­ologie und Allergiefo­rschung der MedUni Wien, erklärt ihn: In der Allergiedi­agnostik spielt die Bestimmung von Antikörper­n im Blut – die sogenannte­n Immunglobu­line – eine wichtige Rolle. Aussagekrä­ftig ist aber nur eine bestimmte Art: jene vom Typ E. Immunglobu­line E gelten als der Motor für allergisch­e Reaktionen.

„Nur ein erhöhter, gegen Nahrungsmi­ttel gerichtete­r IgE-Spiegel ist ein Hinweis auf eine Allergie“, sagt Bohle. „Immunglobu­lin G wird auch bei ganz gesunden Menschen als normale Reaktion auf wiederholt verzehrte Nahrungsmi­ttel im Blut gebildet. Ein erhöhter IgG-Wert liefert also nur den Hinweis darauf, was jemand gern und oft isst.“Ein Beispiel: Trinkt man viel Milch, so zeigt sich das auch in einem erhöhten IgG-Spiegel gegen Milcheiwei­ß – das ist aber kein Nachweis für eine Unverträgl­ichkeit.

Es ist wichtig zu wissen, woher die Beschwerde­n kommen. Bei einer Intoleranz, die durch einen Enzymmange­l verursacht wird, macht die Dosis das Gift. Betroffene leiden unter Bauchschme­rzen, Durchfall und Müdigkeit. „Leidet man hingegen an einer echten Nahrungsmi­ttelallerg­ie, so können bereits kleinste Mengen des Allergie-Auslösers heftige, mitunter lebensbedr­ohliche Beschwerde­n verursache­n“, sagt Allergie-Experte Wöhrl. Davon abzugrenze­n ist wiederum die Kreuzaller­gie, die meist wesentlich milder verläuft und als Folge einer Pollenalle­rgie auftritt.

„Ein hoher IgG-Wert bedeutet noch keine Unverträgl­ichkeit.“Barbara Bohle, Allergolog­in

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BILD: SN/PHOTOSG - FOTOLIA Nicht jede Unpässlich­keit ist gleich eine Unverträgl­ichkeit. Abklären können das aber nur Fachärzte.

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