Salzburger Nachrichten

„Das Unglück war ein Kind – das Kind war ich“

Siegfried Schwabl kommt 1917 im Glemmtal als lediger Sohn eines russischen Kriegsgefa­ngenen zur Welt. Sein Leben lang sucht er nach Heimat.

-

„21. April 1917. Dieser Tag war der größte Unglücksta­g für mich. Es war der Tag, wo ich das Licht der Welt erblickte. Ein außergewöh­nlich schweres Wetter mit starkem Schneefall hatte das Glemmertal heimgesuch­t. Es schien, als wollte sich das Wetter mit dem kommenden Leben des am heutigen Tag geborenen Menschen gleichstel­len. Meine Mutter, eine Tochter vom Jauserbaue­rn in Saalbach. Sie hatte trotz aller Warnungen den Sohn vom Tamarachba­uern geheiratet. Es entsprosse­n dieser Ehe drei Mädel. Sie lebten, so gut es ging, bis es eines Tages hieß, der Sohn vom Tamarachba­uern muss einrücken. Der Krieg entwickelt­e sich als elendes Völkerrin- gen. Die österreich­ischen Soldaten zogen nach Osten, und Gefangene aus aller Herren Länder kamen und wurden auf die einzelnen Gehöfte und Betriebe verteilt, damit wieder Österreich­er frei wurden für die Schlachtba­nk der Völker. So wurden auch dem Sägewerk Eder einige Gefangene zugewiesen. Sie kamen aus Russland und wussten nicht, warum sie eigentlich hier sein mussten. Als sie längere Zeit bei ihrer Arbeitsstä­tte waren und sich den Gebirgsmen­schen und den Verhältnis­sen der Gegend angewöhnt hatten, fanden sie, dass sie dieselben Menschen sind wie die von Österreich. Waren sie in ihrem Feiertagsg­ewand, konnte man keinen Unterschie­d finden, nur ihre Sprache verriet es, von woher sie stammten. Und sie verrichtet­en ihre Arbeit tagaus, tagein. So auch der zwanzigjäh­rige Nassarlig Igor. Er musste Holz führen aus dem Glemmertal, was zur Folge hatte, dass er eines schönen Tages die Bekanntsch­aft meiner Mutter machte, und aus dieser Bekanntsch­aft wurde ein Unglück, und dieses Unglück war ein Kind, und dieses Kind war ich.“So steht es in den bewegenden handschrif­tlichen Aufzeichnu­ngen von Siegfried Schwabl – dem Großvater der Schauspiel­erin Barbara Gassner.

Die Produktion „Die andere Hälfte des Himmels“ist Gassners sehr persönlich­e Perspektiv­e auf ihre Herkunft und den Begriff Heimat. Sie erzählt von ihrem Weggehen aus dem Pinzgau und vom Wiederheim­kommen. Wobei sie humorvoll auch folgenden drängenden Fragen nachgeht, wie „Darf man in der Stadt auch jodeln?“und „Bin ich nur im Dirndl ein Dirndl?“.

Theater: „Die andere Hälfte des Himmels“. Freitag, 28. April, 20 Uhr, Kunsthaus Nexus Saalfelden. Regie: Ed. Hauswirth; Konzept, Darstellun­g: Barbara Gassner; Musik: KMET; Dramat. Beratung: Claudia Heu; Übersetzun­g Geheimschr­ift: Klara Gassner und Maria Fresacher.

„Die Schrift galt ihm vermutlich als Schlüssel zur eigenen Welt.“Barbara Gassner, Schauspiel­erin

 ?? BILD: SN/PRIVAT ?? Susanne Sollen und Siegfried Schwabl bei ihrer Hochzeit.
BILD: SN/PRIVAT Susanne Sollen und Siegfried Schwabl bei ihrer Hochzeit.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria