Der Kampf um Lohn und Zeit
Industrie-Präsident Georg Kapsch will, dass die Regierung flexiblere Arbeitszeiten bestimmt. Der Mindestlohn spaltet weniger. Die Angst davor war unbegründet – zumindest in Deutschland.
WIEN. Zwei Monate haben die Sozialpartner noch Zeit, um beim Mindestlohn und bei der Flexibilisierung der Arbeitszeit eine Einigung zu erzielen, die man der Regierung Ende Juni präsentieren soll. Für den Fall, dass Gewerkschaft und Wirtschaftskammer bei der Arbeitszeit keine gemeinsame Linie finden, hat die Regierung die Rute einer gesetzlichen Regelung ins Fenster gestellt.
Die wäre dem Präsidenten der Industriellenvereinigung (IV), Georg Kapsch, ohnehin lieber. Vieles, was in Österreich über Kollektivverträge oder Betriebsvereinbarungen geregelt sei, funktioniere gut, „aber die Arbeitszeit hätten wir gern gesetzlich geregelt“, sagte Kapsch. Es geht um die Forderung, die Höchstarbeitszeit in Verbindung mit einer Gleitzeitvereinbarung von 10 auf 12 Stunden pro Tag auszuweiten, aber die wöchentliche Obergrenze von 50 Stunden nicht zu erhöhen.
Die Gewerkschaft wehrt sich gegen die gesetzliche Verankerung der 12 Stunden im Gesetz und will längere Arbeitszeiten weiter in Kollektivverträgen regeln. Kapsch gesteht zwar zu, dass vieles möglich sei, „aber nur sehr bürokratisch und nicht schnell genug“. Unternehmen müssten heute kurzfristig auf Aufträge reagieren können, das gehe nur via Gesetz. Kapsch wies einmal mehr zurück, dass es Wirtschaft und Industrie darum gehe, Überstundenzuschläge zu sparen, alles, was über die Normalarbeitszeit hinausgehe, an der man nicht rütteln will, werde als Überstunde bezahlt.
Der IV-Präsident wies darauf hin, dass just Länder mit hohen sozialen Standards wie Schweden, Norwegen oder Dänemark in dieser Hinsicht viel weiter sind als Österreich. In Schweden orientiere man sich an der Arbeitszeitrichtlinie der EU, die eine Ruhezeit von 11 Stunden vorsieht, somit 13 Stunden Arbeitszeit zulässt. Für Kapsch wird es „die Nagelprobe der Regierung“, ob sie ihrer Ankündigung auch die Tat eines Gesetzesvorschlags folgen lässt, falls die Sozialpartner scheitern. Was er nicht wolle, sei ein fauler Kompromiss, etwa in Form des Tausches von flexibleren Arbeitszeiten gegen eine sechste Urlaubswoche, die 390 Mill. Euro kosten würde. „Da gibt es nichts abzutauschen“, sagt der Industriellenchef. Während bei der Arbeitszeit ein Kompromiss in weiter Ferne liegt, scheint ein solcher beim Anheben des Mindestlohns auf 1500 Euro brutto für Vollzeitarbeit realistisch. Der wird in Österreich zu mehr als 95 Prozent über die Kollektivverträge geregelt, anders als in Deutschland, wo man ihn gesetzlich vorgeschrieben hat. Denn dort sind nur etwas mehr als die Hälfte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tarifvertraglich abgesichert.
Als im Jänner 2015 in Deutschland der Mindestlohn eingeführt worden ist, gab es seitens der Wirtschaft einen großen Aufschrei. Mehr als zwei Jahre später zeigt sich, dass es die befürchteten negativen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt oder gar eine Konjunkturdelle nicht gegeben hat.
Mario Bossler leitet beim unabhängigen Institut für Arbeitsmarktund Berufsforschung in Nürnberg die Arbeitsgruppe „Mindestlohn“. Bei einem Gespräch in Wien legte er Forschungsergebnisse dar. Bei der Einführung der anfänglichen 8,50 Euro Mindestlohn sackte die Zahl der Minijobs in Deutschland um 125.000 von insgesamt acht Millionen ab. Es zeigte sich aber auch, dass gleichzeitig viel mehr Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen umgewandelt wurden als vorher. Konkret wurden 110.000 Minijobs umgewandelt, mehr als doppelt so viele wie im Jahr zuvor.
Für die betroffenen Beschäftigten, also jene, die vor 2015 noch unter dem Mindestlohn lagen, wirkte sich das neue Gesetz erheblich aus: Ihr Bruttomonatslohn stieg um 12 Prozent. Sie zeigen zudem eine deutlich höhere Zufriedenheit mit der Entlohnung, aber nicht mehr Arbeitsengagement. Insgesamt sei der negative Beschäftigungseffekt durch den Mindestlohn mit 40.000 bis 60.000 Beschäftigungsverhältnissen, vor allem in Ostdeutschland, zu beziffern, erklärt Bossler. Bei 33 Millionen Beschäftigungsverhältnissen zeigt sich die Relevanz. Der Rückgang ergibt sich hauptsächlich durch Zurückhaltung bei Einstellungen, nicht durch Entlassungen. Beobachtet wurde auch, dass Betriebe Arbeitszeiten verkürzten oder Arbeit verdichteten.
Seit Jänner liegt der Mindestlohn in Deutschland bei 8,84 Euro (brutto 1440, netto 1140). Die in Österreich diskutierten 1500 Euro wären hierzulande netto 1200 Euro. „In der Forschung wissen wir, dass ein Mindestlohn ab einer gewissen Höhe negative Auswirkungen auf Wirtschaft und Beschäftigung hat. Leider wissen wir aber nicht, wo diese Schwelle liegt“, erklärt der deutsche Arbeitsmarktexperte.
„Die Regierung sollte das in die Hand nehmen.“Georg Kapsch, IV-Präsident