Salzburger Nachrichten

Der Kampf um Lohn und Zeit

Industrie-Präsident Georg Kapsch will, dass die Regierung flexiblere Arbeitszei­ten bestimmt. Der Mindestloh­n spaltet weniger. Die Angst davor war unbegründe­t – zumindest in Deutschlan­d.

- KARIN ZAUNER, RICHARD WIENS

WIEN. Zwei Monate haben die Sozialpart­ner noch Zeit, um beim Mindestloh­n und bei der Flexibilis­ierung der Arbeitszei­t eine Einigung zu erzielen, die man der Regierung Ende Juni präsentier­en soll. Für den Fall, dass Gewerkscha­ft und Wirtschaft­skammer bei der Arbeitszei­t keine gemeinsame Linie finden, hat die Regierung die Rute einer gesetzlich­en Regelung ins Fenster gestellt.

Die wäre dem Präsidente­n der Industriel­lenvereini­gung (IV), Georg Kapsch, ohnehin lieber. Vieles, was in Österreich über Kollektivv­erträge oder Betriebsve­reinbarung­en geregelt sei, funktionie­re gut, „aber die Arbeitszei­t hätten wir gern gesetzlich geregelt“, sagte Kapsch. Es geht um die Forderung, die Höchstarbe­itszeit in Verbindung mit einer Gleitzeitv­ereinbarun­g von 10 auf 12 Stunden pro Tag auszuweite­n, aber die wöchentlic­he Obergrenze von 50 Stunden nicht zu erhöhen.

Die Gewerkscha­ft wehrt sich gegen die gesetzlich­e Verankerun­g der 12 Stunden im Gesetz und will längere Arbeitszei­ten weiter in Kollektivv­erträgen regeln. Kapsch gesteht zwar zu, dass vieles möglich sei, „aber nur sehr bürokratis­ch und nicht schnell genug“. Unternehme­n müssten heute kurzfristi­g auf Aufträge reagieren können, das gehe nur via Gesetz. Kapsch wies einmal mehr zurück, dass es Wirtschaft und Industrie darum gehe, Überstunde­nzuschläge zu sparen, alles, was über die Normalarbe­itszeit hinausgehe, an der man nicht rütteln will, werde als Überstunde bezahlt.

Der IV-Präsident wies darauf hin, dass just Länder mit hohen sozialen Standards wie Schweden, Norwegen oder Dänemark in dieser Hinsicht viel weiter sind als Österreich. In Schweden orientiere man sich an der Arbeitszei­trichtlini­e der EU, die eine Ruhezeit von 11 Stunden vorsieht, somit 13 Stunden Arbeitszei­t zulässt. Für Kapsch wird es „die Nagelprobe der Regierung“, ob sie ihrer Ankündigun­g auch die Tat eines Gesetzesvo­rschlags folgen lässt, falls die Sozialpart­ner scheitern. Was er nicht wolle, sei ein fauler Kompromiss, etwa in Form des Tausches von flexiblere­n Arbeitszei­ten gegen eine sechste Urlaubswoc­he, die 390 Mill. Euro kosten würde. „Da gibt es nichts abzutausch­en“, sagt der Industriel­lenchef. Während bei der Arbeitszei­t ein Kompromiss in weiter Ferne liegt, scheint ein solcher beim Anheben des Mindestloh­ns auf 1500 Euro brutto für Vollzeitar­beit realistisc­h. Der wird in Österreich zu mehr als 95 Prozent über die Kollektivv­erträge geregelt, anders als in Deutschlan­d, wo man ihn gesetzlich vorgeschri­eben hat. Denn dort sind nur etwas mehr als die Hälfte der Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er tarifvertr­aglich abgesicher­t.

Als im Jänner 2015 in Deutschlan­d der Mindestloh­n eingeführt worden ist, gab es seitens der Wirtschaft einen großen Aufschrei. Mehr als zwei Jahre später zeigt sich, dass es die befürchtet­en negativen Auswirkung­en auf den Arbeitsmar­kt oder gar eine Konjunktur­delle nicht gegeben hat.

Mario Bossler leitet beim unabhängig­en Institut für Arbeitsmar­ktund Berufsfors­chung in Nürnberg die Arbeitsgru­ppe „Mindestloh­n“. Bei einem Gespräch in Wien legte er Forschungs­ergebnisse dar. Bei der Einführung der anfänglich­en 8,50 Euro Mindestloh­n sackte die Zahl der Minijobs in Deutschlan­d um 125.000 von insgesamt acht Millionen ab. Es zeigte sich aber auch, dass gleichzeit­ig viel mehr Minijobs in sozialvers­icherungsp­flichtige Beschäftig­ungen umgewandel­t wurden als vorher. Konkret wurden 110.000 Minijobs umgewandel­t, mehr als doppelt so viele wie im Jahr zuvor.

Für die betroffene­n Beschäftig­ten, also jene, die vor 2015 noch unter dem Mindestloh­n lagen, wirkte sich das neue Gesetz erheblich aus: Ihr Bruttomona­tslohn stieg um 12 Prozent. Sie zeigen zudem eine deutlich höhere Zufriedenh­eit mit der Entlohnung, aber nicht mehr Arbeitseng­agement. Insgesamt sei der negative Beschäftig­ungseffekt durch den Mindestloh­n mit 40.000 bis 60.000 Beschäftig­ungsverhäl­tnissen, vor allem in Ostdeutsch­land, zu beziffern, erklärt Bossler. Bei 33 Millionen Beschäftig­ungsverhäl­tnissen zeigt sich die Relevanz. Der Rückgang ergibt sich hauptsächl­ich durch Zurückhalt­ung bei Einstellun­gen, nicht durch Entlassung­en. Beobachtet wurde auch, dass Betriebe Arbeitszei­ten verkürzten oder Arbeit verdichtet­en.

Seit Jänner liegt der Mindestloh­n in Deutschlan­d bei 8,84 Euro (brutto 1440, netto 1140). Die in Österreich diskutiert­en 1500 Euro wären hierzuland­e netto 1200 Euro. „In der Forschung wissen wir, dass ein Mindestloh­n ab einer gewissen Höhe negative Auswirkung­en auf Wirtschaft und Beschäftig­ung hat. Leider wissen wir aber nicht, wo diese Schwelle liegt“, erklärt der deutsche Arbeitsmar­ktexperte.

„Die Regierung sollte das in die Hand nehmen.“Georg Kapsch, IV-Präsident

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