Der Wahlkampf geht ins Finale
Die Kandidaten für die Präsidentenwahl nutzten den 1. Mai für Kundgebungen. Frankreichs Gewerkschaften waren am Tag der Arbeit nicht einig, was die Wahlempfehlung angeht.
PARIS. „Choisir la France“– „Frankreich wählen“, verkünden die Plakate der einen; „Ensemble la France“– „Zusammen Frankreich“, die des anderen. Wenige Tage vor der zweiten Runde der Präsidentenwahl, in der am kommenden Sonntag Marine Le Pen und Emmanuel Macron gegeneinander antreten, steht Frankreich von Lille bis Marseille, von Nantes bis Paris ganz im Zeichen dieses für das Land und Europa entscheidenden Urnengangs.
In mehreren großen Städten gingen am gestrigen Maifeiertag Tausende auf die Straße, um gegen die Nationale Front (FN) zu protestieren, während Le Pen und Macron mit Kundgebungen in vollbesetzten Pariser Ausstellungshallen in den Schlussspurt ihres Wahlkampfs gingen. Dessen Höhepunkt wird das für Mittwoch angesetzte traditionelle Fernsehduell sein.
Die Demonstrationen waren in der Hauptstadt von Gewalt überschattet. Am Rande eines Marsches der Gewerkschaften warfen Vermummte Molotow-Cocktails, die Polizei setzte Tränengas ein. Laut Innenministerium wurden vier Beamte verletzt. Medien berichteten, es habe fünf Festnahmen gegeben.
Jean-Marie Le Pen, der 88-jährige Vater der Kandidatin, die ihn aus der Partei geworfen hat, legte unterdessen wie jedes Jahr am Reiterdenkmal für Jeanne d’Arc im Stadtzentrum von Paris einen Kranz nieder. Zur gleichen Zeit gedachte nicht weit davon Macron am SeineUfer mit politischen Gefolgsleuten des Todes des jungen Einwanderers Brahim Bouarram, der dort am 1. Mai 1995 von FN-Schlägern nach der Jeanne-d’Arc-Zeremonie in den Fluss gestoßen worden war.
Anders als 2002, als die Gewerkschaften geeint gegen Jean-Marie Le Pen auftraten, der gegen den damaligen Amtsinhaber Jacques Chirac in die Stichwahl gekommen war, marschierten die großen Arbeitnehmerorganisationen diesmal getrennt. Nur die sozialdemokratisch orientierte CFDT forderte ihre Mitglieder zur Stimmabgabe für Macron auf, während die kommunistische CGT und die radikale FO sich mit einem Aufruf gegen Le Pen begnügten, ohne klar für Macron einzutreten oder eine Stimmenthaltung als Mittel gegen Le Pen auszuschließen. An diesem Zwiespalt scheiterte zum Schluss auch das Ringen um eine „republikanische Front“der politischen Parteien, die sich vor 15 Jahren noch spontan gegen die Nationale Front verbündet hatten. Zwar stellten sich prominente Vertreter der konservativen Republikaner auf die Seite Macrons. Ihre Partei Die Republikaner fand aber eine einfache Erklärung gegen Le Pen ohne ausdrückliche Aufforderung an ihre Wähler, für Macron zu stimmen, völlig ausreichend.
Ähnlich wehrte sich der Linke Jean-Luc Mélenchon, der in der ersten Wahlrunde mit 19 Prozent der Stimmen auf dem vierten Platz gelandet war, gegen eine eindeutige Stellungnahme. Erst am Wochenende warnte er seine Anhänger von „Das aufsässige Frankreich“vor dem „schrecklichen Irrtum“, Le Pen zu wählen. Für ihn selbst, so fügte er später hinzu, käme eine Stimmabgabe für Macron nur infrage, wenn dieser die vor einem Jahr beschlossene Liberalisierung des Arbeitsrechts aufzuheben verspreche.
Unterdessen gelang Marine Le Pen mit dem Abschluss einer „patriotisch-republikanischen Allianz“mit einem der Verlierer der ersten Wahlrunde, dem Souveränisten Nicolas Dupont-Aignan von der AntiEU-Bewegung Debout la France (Frankreich, stehe auf), ein unerwarteter Erfolg. Er war als Außenseiter mit 4,7 Prozent der Stimmen auf dem sechsten Platz gelandet und schloss sich jetzt mit einer Empfehlung an seine Wähler Le Pen an. Dafür hat sie ihm zur Parlamentswahl im Juni versprochen, in 40 Wahlkreisen keine FN-Kandidaten aufzustellen, um so seinen Parteigängern den Einzug ins Palais Bourbon zu erleichtern. Außerdem gab sie ihm die Zusage, ihn im Fall ihres Sieges zum Premierminister zu berufen. Was dieser Handel Le Pen einbringt, ist ungewiss. In letzten Umfragen hat sich der Vorsprung Macrons verringert.
Le Pen gegenüber keine „republikanische Front“