Warum Brüssel heute Wien näher ist als vor zehn Jahren
Wer im EU-Ausland lebt, spürt im Alltag, wie Europa trotz Brexit und Eurokrise immer stärker zusammenwächst.
Das Ausland ist auch nicht mehr, was es einmal war. Schon gar nicht in Brüssel: Vor zehn Jahren, als Ihre Korrespondentin das erste Mal hier ankam, konnte man ganze Abendessen lang in der EU-Metropole mit anderen Expats über die Probleme mit byzantinisch organisierten Kontoeröffnungsverfahren, hyperbürokratische Anmeldung bei der jeweiligen Gemeinde, den schrecklichen öffentlichen Verkehr oder Heizungen, die nicht heizen, jammern. Ein paar Relikte aus dieser Zeit gibt es noch. Etwa die belgische Telefongesellschaft, die immer noch für Ärger gut ist, weil Abmeldungen nur funktionieren, wenn sich ein Mitarbeiter erbarmt und den Kunden für tot erklärt. Doch insgesamt läuft in Brüssel heute das meiste nicht viel anders als sonst wo in Europa, abgesehen von der zunehmenden Anarchie im Straßenverkehr vielleicht. Die Normalisierung hat mehrere Gründe. Die Stadt hat etwa in elektronische Anzeigen für Bus und Tram investiert, was zwar den öffentlichen Verkehr nicht beschleunigt, aber berechenbarer macht. Die Handy-App der Brüsseler Verkehrsbetriebe STIB sorgt mit Echtzeitangaben dafür, dass man nicht eine Viertelstunde bei Nieselregen in der Station friert. Sogar die belgische Bahn hat heute eine brauchbare Homepage samt elektronischem Ticketverkauf.
Auch Hausbesitzer bemühen sich heute offenbar mehr. Vor zehn Jahren war es normal, dass eine kaputte Türklingel nach frühestens ein, zwei Jahren repariert wurde. Heute dauert es nur noch ein, zwei Monate. In den Kommunen haben Computer die Schreibmaschinen abgelöst, für hiesige Verhältnisse ein Sprung ins 21. Jahrhundert.
Dass sich Brüssel heute nicht mehr so weit von Wien oder Salzburg entfernt anfühlt, hat in erster Linie mit Digitalisierung und Internet zu tun. Aber auch die EU hat dazu beigetragen, dass im Alltag tatsächlich viele Grenzen abgebaut wurden. Bankomaten, Kassenterminals oder Verkaufsautomaten funktionieren heute auch mit ausländischen Bankkarten. Vor zehn Jahren konnte man damit oft nicht mal bei den Geldautomaten der belgischen Bank abheben. Ein belgisches Konto braucht man fast nur für die Hinterlegung einer Wohnungskaution.
Den Rest erledigen Onlinehandel und Livestreaming. Vor acht Jahren war der ORF in Brüssel nur mit einer speziellen Box zu empfangen, die nur über Umwege zu bekommen war. Heute laufen die ZiB 2 oder „Willkommen Österreich“auf dem Tablet.
Vor allem aber hat sich die Kommunikation völlig verändert. Telefonieren über Skype war früher die einzige Möglichkeit, kostengünstig Kontakt mit der Heimat zu halten. Seither sind die Roaminggebühren auf Druck der EU stark gesunken, Mitte Juni fallen sie ganz weg. Und es gibt die sozialen Netzwerke, um sich permanent up to date zu halten.
Nur Manner-Schnitten, die zu den Dingen aus der Heimat zählen, die Menschen auf einmal vermissen, wenn sie permanent im Ausland leben, gibt es in Brüssel nach wie vor nicht. Aber auch die kann man heute ja online bestellen.