Ein Krieg der Worte um Afghanistan
Russland soll die Taliban mit Waffen beliefern, sagen die USA. Die USA veranstalteten Machtdemonstrationen, sagt Moskau.
KABUL, MOSKAU. Die Invasion der Sowjetunion in Afghanistan war mit ein Grund für den Zerfall des Riesenreichs, der neunjährige Krieg ließ die Sowjetunion bluten. 28 Jahre nach dem schmählichen Abzug aus dem Hindukusch haben hohe US-Militärkreise jetzt Vorwürfe erhoben, dass Russland wieder in Afghanistan mitmischt.
Laut General John Nicholson, dem Oberkommandierenden der US-Truppen in Afghanistan, gibt es Hinweise, dass Russland in das Kampfgeschehen eingreife. Und zwar nicht in einer Weise, die der „beste Weg nach vorn für eine friedliche Versöhnung“sei. Im Gegenteil: Moskau soll die Taliban mit Waffen versorgen. Laut den US-Berichten sind in den südlichen Provinzen Helmand, Kandahar und Urusgan Maschinengewehre und mittelschwere Waffen russischer Herkunft im Einsatz.
US-Verteidigungsminister Jim Mattis wollte Nicholsons Berichte bei einem Besuch in Kabul „nicht widerlegen“, Russland hingegen dementierte die Vorwürfe. Außenminister Sergej Lawrow beschuldigte amerikanische Militärs, sie verbreiteten „verlogene, unprofessionelle Erklärungen“.
Diplomatisch versucht Russland jedenfalls in die Offensive zu gehen. Mitte April veranstaltete Moskau eine internationale Verhandlungsrunde zu Afghanistan. Pakistan, China, Iran und Vertreter der fünf früheren zentralasiatischen Republiken sowie der afghanischen Regierung nahmen daran teil. Die Russen schlugen vor, Friedensgespräche zwischen der Zentralregierung und den Taliban zu moderieren. Aber abgesehen davon, dass das offizielle Kabul nur rangniedrige Beamte geschickt hatte und die Taliban selbst den Gesprächen ferngeblieben waren, nahmen auch die USA die Einladung nicht an. Dafür warfen sie am Vorabend der Moskauer Konferenz die „Mutter aller Bomben“über Nangahar ab. Sergej Naryschkin, Leiter des russischen Auslandsnachrichtendienstes, beschwerte sich daraufhin, die USA würden in Afghanistan „mit niemandem abgestimmte Machtdemonstrationen“veranstalten.
Moskau selbst kommuniziert seit Längerem mit den Taliban. „Russland ist der Überzeugung, dass nur Verhandlungen mit allen Kriegsparteien, also vor allem mit den Taliban, zu einem Ende des Bürgerkriegs führen“, sagt der Moskauer Mittelasien-Experte Aschdar Kurtow. Auch Großbritannien habe ja früher schon versucht, die Kabuler Zentralregierung und die Taliban an einen Tisch zu bringen.
Die fundamentalistischen Rebellen aber demonstrierten vergangene Woche trotz der Moskauer Friedenskonferenz und trotz der überschweren US-Bombe ihre Kampfkraft aufs Grausamste. Bei einem Überfall auf eine Militärgarnison in der Provinz Balch metzelten sie 140 afghanische Soldaten nieder.
Außerdem, befürchten Beobachter in Moskau, sickere die bedrängte Terrormiliz „Islamischer Staat“(IS) zusehends in Afghanistan ein. Sie übernehme dort einen Teil des Drogenhandels und bilde Terrorkommandos für Zentralasien aus. Russland sei daher genauso an Stabilität in Afghanistan interessiert wie alle anderen Länder in der Region, sagt der Mittelasien-Experte Kurtow im Gespräch mit den SN.
Die USA haben dennoch Bedenken, was die Rolle Russlands in Afghanistan betrifft. Verteidigungsminister Mattis sagte bei seinem Besuch in Kabul: „Wir werden mit Russland diplomatisch umgehen, wie dies möglich ist. Doch wir werden Russland auch damit konfrontieren müssen, dass das, was sie machen, entgegen internationalem Gesetz oder Respekt für die Souveränität von anderen Ländern ist.“Jede aus einem fremden Land hierhin geschmuggelte Waffe würde eine Verletzung von internationalem Recht bedeuten, machte der Verteidigungsminister klar.
Inwiefern das Verhältnis zwischen Moskau und den USA überhaupt über eine Friedenslösung in Afghanistan mitentscheidet, ist ohnehin unklar. Die Sowjetunion konnte während ihrer Intervention von 1979 bis 1989 auch mit massivem Militäreinsatz und Aufbauhilfen die rebellischen Afghanen nicht befrieden. „In Afghanistan bleibt die traditionelle Clan- und Stammesgesellschaft stärker als jede Nationalregierung“, sagt Kurtow. „Und mehrere Generationen Afghanen haben sich daran gewöhnt, ihr Geld als Untergrundkämpfer oder Drogenproduzenten zu verdienen. Sie haben sich an den Krieg gewöhnt.“
Auch den USA und ihren Verbündeten gelang das nach 2001 nicht. Bald 16 Jahre nach der US-Invasion bleibt Afghanistan ein von Krieg erschüttertes Land mit wenig Aussicht auf Frieden, Freiheit und Demokratie, die mit der Invasion versprochen worden waren. Offiziell ging Amerikas Mission in Afghanistan mit dem Abzug 2014 bereits zu Ende. 9800 US-Soldaten verbleiben aber im Land, knapp jeder vierte davon ist wieder in Kampfgeschehen involviert und unterstützt afghanische Truppen an der Front.
„Wir werden mit Russland diplomatisch umgehen, wie dies möglich ist.“