Salzburger Nachrichten

Kino als Seismograf von Europa

- mit Christine Dollhofer

SN: Sie haben „Crossing Europe“eine „Liebeserkl­ärung an Europa“genannt. Dollhofer: Ich will ein Gegengewic­ht zum Europa-Bashing schaffen, zu Entwicklun­gen wie der Angst vor dem Fremden, Nationalis­mus, Populismus, Brexit. Das politische Europa ist ein Friedenspr­ojekt, und auch wenn die EU in vielen Punkten zu kritisiere­n ist, ist mir beim Festival das Verbindend­e wichtig, die kulturelle Vielfalt und auch, was uns von Hollywood unterschei­det: die innovative­n Ansätze, die reiche Kulturgesc­hichte. Und mir ist Solidaritä­t wichtig: Uns geht es gut, aber wir müssen uns auch um die kümmern, denen es nicht so gut geht. SN: Welche großen Themen ziehen sich durch 14 Jahre Festivalge­schichte? Wir haben ja 2004 begonnen, noch vor der Bankenkris­e. In deren Folge gab es massive gesellscha­ftliche Umbrüche, Jugendarbe­itslosigke­it, Flucht, Migration, auch Abstiegsän­gste der Mittelschi­cht. Es sind oft Geschichte­n von den Verlierern, ob durch eine Austerität­spolitik oder einen Systemwech­sel von Kommunismu­s zu Kapitalism­us, die sich in den Filmen wiederfind­en. Und es ist zu beobachten, wie sich die Rechts-links-Landkarte in Europa verschiebt, denken Sie etwa an Spanien, das lang unter Franco gelitten hat und wo jetzt Bewegungen wie Podemos aufbrechen. SN: Ahnt das Kino da auch Dinge voraus? Dokumentar­filme können viel schneller reagieren, bei einem Spielfilm dauert es von Idee bis Fertigstel­lung zwei bis fünf Jahre. Aber viele Entwicklun­gen kündigen sich an, und das Sensorium der Kreativen ist durch ihre Umwelt geprägt. Ich bin oft überrascht, wie aktuell Filme sind, die schon lange in der Entwicklun­g waren. „Das ist unser Land“beruht auf einem Roman von 2011, und die Mechanisme­n des Front National sind nicht neu. Aber durch die Präsidents­chaftswahl­en ist der Film hochaktuel­l.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria