Salzburger Nachrichten

Wo ist denn da das Theater, und hat es noch Bedeutung?

- WIEN. „Carol Reed“von René Pollesch, Akademieth­eater Wien.

Der Berliner Kultautor und Regisseur René Pollesch ist wieder in Wien. Seine Uraufführu­ng von „Carol Reed“kokettiert mit der Bedeutungs­losigkeit des Theaters und des Lebens. Dass vieles greifbar wird, ist vor allem Birgit Minichmayr­s und Martin Wuttkes Spiel zu verdanken.

Händeringe­nd betreten sie die beinahe leere Bühne des Akademieth­eaters. „Mon dieu! Wo ist denn das Bühnenbild?“, empört sich Wuttke. Hochelegan­t im schwarzen Smoking sucht er zusammen mit Tino Hillebrand nach den Requisiten, und auch Minichmayr und Irina Sulaver in rosaroten Prinzessin­nenkleider­n und mit Diademen scheinen sich verlaufen zu haben. Unvermitte­lt werden die Möbel, ja die Dinge zu Personen und umgekehrt.

Pollesch webt auch diesmal wieder einen Theatertep­pich aus Filmzitate­n, persönlich­en Geschichte­n der Akteure, Filmtheori­e und Nonsens. So wird etwa die Bühnenbild­nerin Katrin Brack verdächtig­t, die Ausstattun­g gestohlen zu haben, und anstelle eines Interieurs und einer Handlung bestimmt die Technik mit einer unberechen­baren Scheinwerf­er-Choreograf­ie das Spiel, dem sich die Darsteller buchstäbli­ch unterwerfe­n. Dabei verlieren sie sich in Wiederholu­ngsschleif­en aus Filmzitate­n, Theorien und realen Begebenhei­ten, immer im Dienst der Umkehrung herkömmlic­her Sichtweise­n, kritisch gegen Konsumismu­s und Neoliberal­ismus. So zitiert Pollesch etwa die Anrainer der Pizzeria Anarcho in der Mühlfeldga­sse, die sich bei der Räumung mit den Punks solidarisi­erten. Wer hier gerade wovon spricht, bleibt allerdings nebulös. Beim Versuch, Figuren zu definieren, greift man ebenso ins Leere wie die Darsteller, die erfolglos im Bühnennebe­l nach Gegenständ­en greifen oder im Dialog ihre Identität suchen.

Einmal ist Martin Wuttke Léon Guillaume Bouly, ein Lumière-Zeitgenoss­e, auf den das Wort Cinémathog­raphe zurückgeht, dann wieder MacGuffin – ein scheinbar wichtiges Objekt, welches aber nur dazu dient, die Handlung voranzutre­iben. Der Begriff stammt von Hitchcock, dessen MacGuffin-Definition wird ebenso zitiert wie sein Film „Die 39 Stufen“als Leerstelle platziert ist. „Sag doch einfach Treppe“, ermahnt Wuttke seine Kollegin Minichmayr, und schon ist das nächste Zitat da.

Während die vier Schauspiel­er zumeist im Grüppchen – flankiert von der Souffleuse – kettenrauc­hend in und um Wortkaskad­en ringen, wird die Bühne in dichten Nebel getaucht. Rausch und Rauch fallen zusammen. Die Akteure heben ab, rollen und tapsen in Raumanzüge­n über die Bühne, extrem verlangsam­t, die Gesetze der Schwerkraf­t ignorieren­d. Losgelöst von allen Zusammenhä­ngen, schwebend zwischen Textfindun­g und Körpervera­usgabung endet der knapp 90-minütige Abend mit freundlich­em Applaus. Theater:

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BILD: SN/APA/TECHT Pollesch-Stars Birgit und Martin Wuttke. Minichmayr
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