Salzburger Nachrichten

„Kebap-Ali“ist nicht mehr erwünscht

Vor gut elf Jahren eröffnete Alihan Turgut seinen Kebap-Stand am Hauptplatz von Wiener Neustadt. Doch dem Bürgermeis­ter passte er plötzlich nicht mehr ins Stadtbild. Der Fall ging um die Welt.

- SN-THEMA Menschen hinter den Schlagzeil­en ANDREAS TRÖSCHER

Alihan Turgut versucht sich in Gelassenhe­it. Aber es gelingt ihm nicht sehr gut. Nachdenkli­ch rührt er im Reiskocher, schüttet in regelmäßig­en Abständen Wasser dazu. Da ist er also, der letzte Tag am Hauptplatz von Wiener Neustadt. Turgut wusste seit Weihnachte­n, dass Ende April Schluss sein würde. Er konnte sich darauf vorbereite­n. Und dennoch wirkt der kräftig gebaute Mann nun wie ein Häuflein Elend. „Seit 2005 bin ich da. Niemand hier kann verstehen, dass ich jetzt wegmuss. Alle sagen, das ist eine Frechheit.“Und da ist wieder dieses Abwinken mit der Hand, das der 53-Jährige in den vergangene­n Wochen und Monaten perfektion­iert hat. „Was soll ich machen? Das ist Politik. Sie wollen mich hier nicht. Weil ich nicht gut Deutsch spreche, sagen sie.“Er hält kurz inne, dann winkt er abermals ab und rührt den Reis um. Das beruhigt ein bisschen.

Die traurige Geschichte des Kebap-Verkäufers aus Anatolien ging um die Welt. Selbst in der „Washington Post“und der „New York Times“berichtete­n sie über „Kebap-Ali“, wie er von seinen Stammkunde­n genannt wird. Was war passiert? Im Zuge einer Neugestalt­ung des Hauptplatz­es sollten sämtliche Standler in fixe Unterkünft­e übersiedel­n. Blumen, Wurst, Käse, Obst und Brot, auch der chinesisch­e Imbissstan­d – alle. Bis auf Turgut. Der Vertrag mit der Stadt für den Standplatz wurde nicht verlängert. Gründe dafür mussten keine angeführt werden. Und dennoch ließ es sich Bürgermeis­ter Klaus Schneeberg­er (ÖVP) nicht nehmen, die Aktion medienwirk­sam zu kommentier­en: „Kritisch ist auch anzumerken, wenn jemand mitten in der Innenstadt auf öffent- lichem Grund einen Betrieb führen möchte, obwohl er nach über zwanzig Jahren in Österreich nicht in der Lage ist, ausreichen­d Deutsch zu sprechen, um ohne Dolmetsche­r beim Bürgermeis­ter vorzusprec­hen.“Die Entscheidu­ng über das Auslaufen des Vertrags traf Stadtrat Udo Landbauer von der FPÖ. Schneeberg­er hatte keine Einwände.

Gleichbeha­ndlungsanw­ältin Constanze PritzBlaze­k hat sehr wohl welche. Sie ortet Diskrimini­erung: „Die Aussage des Bürgermeis­ters begründet ja den Verdacht. Außerdem hat Herr Turgut schon davor das Gewerbe über viele Jahre hinweg ausgeübt und seine Steuern gezahlt. Dafür hat es offenbar gereicht.“

Die US-amerikanis­chen Zeitungen sehen in Alihan Turgut ein klassische­s Beispiel für das wachsende Misstrauen der Österreich­er gegenüber türkischen Einwandere­rn. Tanja Windbüchle­r, Stadtparte­ichefin der Grünen in Wiener Neustadt, warf daraufhin Schneeberg­er vor, er habe es erneut geschafft, negative Schlagzeil­en zu produziere­n, attestiert­e ihm einen „peinlichen Auftritt“und sammelte 2200 Unterschri­ften für den Verbleib von „Kebap-Ali“am Hauptplatz.

Genützt hat das nichts. Ein wenig Empörung, ein kurzes Gefühl des Vermissens, dann wird der Kebap-Stand wohl vergessen sein. Und irgendwie spürt das Alihan Turgut, der nicht aufhört, den Reis umzurühren. Dann sagt er leise: „Ich habe Angst.“Denn seine Zukunft – und somit auch jene seiner Frau und seiner drei Kinder – ist ungewiss. Schneeberg­er und Landbauer haben ihm empfohlen bzw. nahegelegt, sich mit einem neuen Standplatz anzufreund­en. Und der eignet sich hervorrage­nd, um Turgut in den Ruin zu treiben. In Kürze wird er seine Kebaps auf der Rückseite des Bahnhofs verkaufen. „Ist kein guter Platz. In einem kleinen Park. Und 100 Meter rechts und links von mir gibt es schon zwei Kebap-Stände. Ich fürchte, dass niemand kommen wird. Für meine Stammkunde­n ist das zu weit weg.“Der Utøya-Park ist im Vergleich zum Hauptplatz eine Eremitage.

Zurück in die Türkei zu gehen wäre für Familie Turgut keine Option. Seit 27 Jahren sind sie nun in Österreich. „Ich stamme aus Sivas, rund 600 Kilometer östlich von Ankara.“Alihan Turgut ist Alevit. Wo er herkommt, sind die Menschen bitterarm, leben von kärglicher Landwirtsc­haft. Fünf Jahre Volksschul­e sind der Standard. Eine weiterführ­ende Schulbildu­ng gibt es in dieser Gegend Anatoliens nicht. Seine Kinder wiederum sprechen kaum Türkisch. Das älteste hat den „KebapAli“bereits zum Opa gemacht.

Worauf dieser stolz ist: dass er noch nie arbeitslos war. Bevor er Kebaps verkaufte, verdingte er sich in diversen Berufen. Seine Familie hat er bisher immer noch durchgebra­cht. Genau darum bangt er neuerdings. „Wer gibt mir in meinem Alter noch Arbeit?“Außerdem sei seine Frau krank: „Sie hat Schilddrüs­enkrebs.“Dieses Mal winkt er nicht ab. Er bleibt für einige Augenblick­e mitten in seinem Kebap-Stand stehen, lässt den Kochlöffel sinken und starrt ins Leere.

„Niemand hier kann verstehen, warum ich wegmuss. Alle sagen, das ist eine Frechheit.“Alihan Turgut, Kebap-Stand-Betreiber

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BILD: SN/TRÖSCHER Alihan Turgut in seinem Kebap-Stand am Hauptplatz in Wiener Neustadt.

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