„Kebap-Ali“ist nicht mehr erwünscht
Vor gut elf Jahren eröffnete Alihan Turgut seinen Kebap-Stand am Hauptplatz von Wiener Neustadt. Doch dem Bürgermeister passte er plötzlich nicht mehr ins Stadtbild. Der Fall ging um die Welt.
Alihan Turgut versucht sich in Gelassenheit. Aber es gelingt ihm nicht sehr gut. Nachdenklich rührt er im Reiskocher, schüttet in regelmäßigen Abständen Wasser dazu. Da ist er also, der letzte Tag am Hauptplatz von Wiener Neustadt. Turgut wusste seit Weihnachten, dass Ende April Schluss sein würde. Er konnte sich darauf vorbereiten. Und dennoch wirkt der kräftig gebaute Mann nun wie ein Häuflein Elend. „Seit 2005 bin ich da. Niemand hier kann verstehen, dass ich jetzt wegmuss. Alle sagen, das ist eine Frechheit.“Und da ist wieder dieses Abwinken mit der Hand, das der 53-Jährige in den vergangenen Wochen und Monaten perfektioniert hat. „Was soll ich machen? Das ist Politik. Sie wollen mich hier nicht. Weil ich nicht gut Deutsch spreche, sagen sie.“Er hält kurz inne, dann winkt er abermals ab und rührt den Reis um. Das beruhigt ein bisschen.
Die traurige Geschichte des Kebap-Verkäufers aus Anatolien ging um die Welt. Selbst in der „Washington Post“und der „New York Times“berichteten sie über „Kebap-Ali“, wie er von seinen Stammkunden genannt wird. Was war passiert? Im Zuge einer Neugestaltung des Hauptplatzes sollten sämtliche Standler in fixe Unterkünfte übersiedeln. Blumen, Wurst, Käse, Obst und Brot, auch der chinesische Imbissstand – alle. Bis auf Turgut. Der Vertrag mit der Stadt für den Standplatz wurde nicht verlängert. Gründe dafür mussten keine angeführt werden. Und dennoch ließ es sich Bürgermeister Klaus Schneeberger (ÖVP) nicht nehmen, die Aktion medienwirksam zu kommentieren: „Kritisch ist auch anzumerken, wenn jemand mitten in der Innenstadt auf öffent- lichem Grund einen Betrieb führen möchte, obwohl er nach über zwanzig Jahren in Österreich nicht in der Lage ist, ausreichend Deutsch zu sprechen, um ohne Dolmetscher beim Bürgermeister vorzusprechen.“Die Entscheidung über das Auslaufen des Vertrags traf Stadtrat Udo Landbauer von der FPÖ. Schneeberger hatte keine Einwände.
Gleichbehandlungsanwältin Constanze PritzBlazek hat sehr wohl welche. Sie ortet Diskriminierung: „Die Aussage des Bürgermeisters begründet ja den Verdacht. Außerdem hat Herr Turgut schon davor das Gewerbe über viele Jahre hinweg ausgeübt und seine Steuern gezahlt. Dafür hat es offenbar gereicht.“
Die US-amerikanischen Zeitungen sehen in Alihan Turgut ein klassisches Beispiel für das wachsende Misstrauen der Österreicher gegenüber türkischen Einwanderern. Tanja Windbüchler, Stadtparteichefin der Grünen in Wiener Neustadt, warf daraufhin Schneeberger vor, er habe es erneut geschafft, negative Schlagzeilen zu produzieren, attestierte ihm einen „peinlichen Auftritt“und sammelte 2200 Unterschriften für den Verbleib von „Kebap-Ali“am Hauptplatz.
Genützt hat das nichts. Ein wenig Empörung, ein kurzes Gefühl des Vermissens, dann wird der Kebap-Stand wohl vergessen sein. Und irgendwie spürt das Alihan Turgut, der nicht aufhört, den Reis umzurühren. Dann sagt er leise: „Ich habe Angst.“Denn seine Zukunft – und somit auch jene seiner Frau und seiner drei Kinder – ist ungewiss. Schneeberger und Landbauer haben ihm empfohlen bzw. nahegelegt, sich mit einem neuen Standplatz anzufreunden. Und der eignet sich hervorragend, um Turgut in den Ruin zu treiben. In Kürze wird er seine Kebaps auf der Rückseite des Bahnhofs verkaufen. „Ist kein guter Platz. In einem kleinen Park. Und 100 Meter rechts und links von mir gibt es schon zwei Kebap-Stände. Ich fürchte, dass niemand kommen wird. Für meine Stammkunden ist das zu weit weg.“Der Utøya-Park ist im Vergleich zum Hauptplatz eine Eremitage.
Zurück in die Türkei zu gehen wäre für Familie Turgut keine Option. Seit 27 Jahren sind sie nun in Österreich. „Ich stamme aus Sivas, rund 600 Kilometer östlich von Ankara.“Alihan Turgut ist Alevit. Wo er herkommt, sind die Menschen bitterarm, leben von kärglicher Landwirtschaft. Fünf Jahre Volksschule sind der Standard. Eine weiterführende Schulbildung gibt es in dieser Gegend Anatoliens nicht. Seine Kinder wiederum sprechen kaum Türkisch. Das älteste hat den „KebapAli“bereits zum Opa gemacht.
Worauf dieser stolz ist: dass er noch nie arbeitslos war. Bevor er Kebaps verkaufte, verdingte er sich in diversen Berufen. Seine Familie hat er bisher immer noch durchgebracht. Genau darum bangt er neuerdings. „Wer gibt mir in meinem Alter noch Arbeit?“Außerdem sei seine Frau krank: „Sie hat Schilddrüsenkrebs.“Dieses Mal winkt er nicht ab. Er bleibt für einige Augenblicke mitten in seinem Kebap-Stand stehen, lässt den Kochlöffel sinken und starrt ins Leere.
„Niemand hier kann verstehen, warum ich wegmuss. Alle sagen, das ist eine Frechheit.“Alihan Turgut, Kebap-Stand-Betreiber