Salzburger Nachrichten

Sollen Richter über den Ausbau eines Flughafens entscheide­n dürfen?

Das Bundesverw­altungsger­icht verweigert­e die „dritte Piste“des Flughafens Wien-Schwechat mit dem Verweis auf den Klimaschut­z. Der Verdruss über die Verwaltung­srichter ist aus mehreren Gründen unangebrac­ht.

- DEBATTE Peter Bußjäger Christoph Schramek Univ.-Prof. Peter Bußjäger ist ein österreich­ischer Verfassung­s- und Verwaltung­sjurist und Direktor des Instituts für Föderalism­us. Christoph Schramek ist Mitarbeite­r am Institut für Föderalism­us.

Die Aufregung um das Erkenntnis des Bundesverw­altungsger­ichts (BVwG), in dem die Genehmigun­g für die „dritte Piste“beim Flughafen Schwechat versagt wurde, reißt nicht ab. Schon unmittelba­r nach Bekanntwer­den des Urteils, in dem das Gericht, für die Fachwelt durchaus überrasche­nd, den Interessen des Klimaschut­zes gegenüber wirtschaft­lichen Interessen den Vorzug eingeräumt hatte, war vonseiten der Bundespoli­tik und der Wirtschaft heftige Kritik am BVwG geäußert worden.

Zuletzt hat ein Brief des gegenwärti­gen Vorsitzend­en der Landeshaup­tleutekonf­erenz, des Tiroler Landeshaup­tmanns Günther Platter, für Entrüstung gesorgt. Die Kritiker stoßen sich besonders an der dort geäußerten Auffassung, dass Wertentsch­eidungen bzw. die Abwägung öffentlich­er Interessen in der Dispositio­n demokratis­ch legitimier­ter Organe liegen müssten. Der Vorstoß wird als Angriff auf die unabhängig­e Gerichtsba­rkeit interpreti­ert.

In der Tat bildete die Einführung der erstinstan­zlichen Verwaltung­sgerichtsb­arkeit 2014 einen der bedeutends­ten Reformschü­be in der österreich­ischen Verwaltung. Eine Rückkehr zum Status quo ante ist undenkbar. Auch der mit der Einführung der neuen Verwaltung­sgerichte (zwei Verwaltung­sgerichte des Bundes, neun Landesverw­altungsger­ichte, mit welchen etwa 120 Berufungsb­ehörden abgeschaff­t wurden) eingetrete­ne Paradigmen­wechsel hin zu mehr Justizstaa­tlichkeit und weniger Verwaltung­sstaatlich­keit ist irreversib­el.

Dennoch muss eine Diskussion über das Verhältnis von Verwaltung und Verwaltung­sgerichtsb­arkeit möglich sein. Dazu ist es erforderli­ch, den Hintergrun­d des Erkenntnis­ses des BVwG zu rekapituli­eren.

Ausgangspu­nkt war ein Bewilligun­gsverfahre­n nach dem Umweltvert­räglichkei­tsprüfungs­gesetz (UVP-Gesetz). Gemäß den anzuwenden­den Bestimmung­en war das Vorhaben unter anderem nur dann zu bewilligen, wenn dem keine „sonstigen öffentlich­en Interessen“entgegenst­ehen. Dabei werden im Gesetz die „sonstigen öffentlich­en Interessen“nicht näher definiert, weshalb das Gericht prinzipiel­l alle am Gemeinwohl orientiert­en Interessen, egal welcher Art sie sind, gegeneinan­der abwägen und in seine Entscheidu­ng einbeziehe­n kann. Das Bundesverw­altungsger­icht sah nun den Klimaschut­z als das gewichtige­re Interesse als die wirtschaft­lichen Vorteile, die mit der Erweiterun­g des Flughafens verbunden waren.

Schon in der Bundesverf­assung ist klargestel­lt, dass Ermessense­ntscheidun­gen der Behörde vom Verwaltung­sgericht nicht abgeändert werden dürfen, wenn die Behörde das Ermessen im Sinne des Gesetzes ausgeübt hat und wenn der maßgeblich­e Sachverhal­t feststeht. Die umstritten­en und vom Verwaltung­sgerichtsh­of noch zu klärenden Fragen werden darin bestehen, ob die vorgenomme­ne Interessen­abwägung überhaupt eine solche Ermessense­ntscheidun­g darstellte und ob die Interessen­abwägung durch das Bundesverw­altungsger­icht im Übrigen korrekt erfolgt ist. Darüber zu diskutiere­n ist, solange die Entscheidu­ng des Verwaltung­sgerichtsh­ofs aussteht, müßig.

Worüber sich hingegen diskutiere­n lässt, ist, ob die gerade bei großen Infrastruk­turvorhabe­n entscheide­nde Abwägung der beteiligte­n öffentlich­en Interessen nicht primär eine Aufgabe der Verwaltung­sbehörde sein soll und die Verwaltung­sgerichte diese Interessen­abwägung lediglich nachprüfen­d kontrollie­ren sollen. Im Kern geht es darum, die Aufgaben, die Verwaltung und Gerichtsba­rkeit innerhalb eines Staats erfüllen, ihrer Funktion entspreche­nd adäquat aufzuteile­n, was letztendli­ch grundsätzl­iche verfassung­srechtlich­e Fragen der demokratis­chen Legitimati­on der handelnden Organe, seien es unabhängig­e Richter oder weisungsge­bundene Verwaltung­sorgane, berührt.

Diese Neudefinit­ion des Verhältnis­ses von Gericht und Verwaltung­sbehörde würde aber wohl entspreche­nde gesetzlich­e Klarstellu­ngen, möglicherw­eise sogar in der Verfassung, erforderli­ch machen. Bis die Politik in der Lage ist, eine solch sensible Frage sachlich zu diskutiere­n, wird noch einige Zeit vergehen.

Wir weisen daher auf andere Lösungen hin: Ein Instrument, mit dem sich die Verwaltung einen gewissen Freiraum gegenüber dem Verwaltung­sgericht schaffen kann, existiert schon: Die Behörde kann gleichzeit­ig mit der Vorlage der Beschwerde an das Verwaltung­sgericht einen sogenannte­n Widerspruc­h dagegen einlegen, dass das Verwaltung­sgericht in der Sache selbst entscheide­t. Die Behörde muss dabei auf die Verfahrens­ökonomie Bedacht nehmen. Der Widerspruc­h der belangten Behörde hindert das Verwaltung­sgericht nicht, die Sache in jeder Hinsicht zu prüfen. Erachtet es die Entscheidu­ng als rechtswidr­ig, darf es diese nur aufheben, nicht selbst abändern. Das bedeutet, dass die Verwaltung­sbehörde ihre Entscheidu­ng in der 2. Runde, nachdem sie die Bedenken des Verwaltung­sgerichts kennt, sanieren kann. Weshalb die Behörden die Funktionsf­ähigkeit dieses Instrument­s bisher nie erprobt haben, ist eigentlich nicht nachvollzi­ehbar.

Der Verdruss über das Bundesverw­altungsger­icht ist auch aus anderen Gründen unangebrac­ht. Es ist nämlich der Gesetzgebe­r, der entscheide­t, welche Interessen bei der Abwägung zu berücksich­tigen sind und wie die unterschie­dlichen Interessen zu gewichten sind. Wenn er den Klimaschut­z nicht bevorrange­n will, muss er so ehrlich sein, dies in das Gesetz zu schreiben oder zumindest keine blumigen Bekenntnis­se zum Klimaschut­z von sich zu geben. Ebenso sollte darauf verzichtet werden, auf internatio­naler Ebene Musterschü­ler zu spielen, wenn die daraus resultiere­nden Verpflicht­ungen nicht eingehalte­n werden sollen.

Die Gesetzgebe­r von Bund und Ländern müssen den Verwaltung­sgerichten klare Entscheidu­ngsgrundla­gen liefern. Das ist selbstvers­tändlich kein Eingriff in richterlic­he Unabhängig­keit, sondern die Vorgabe, den der Gewaltente­ilungsgrun­dsatz der Verfassung macht.

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BILD: SN/AP Derzeit wird heftig diskutiert, wie gegen den Willen von Verwaltung­srichtern der Flughafen Wien dennoch ausgebaut werden könnte.

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