Sollen Richter über den Ausbau eines Flughafens entscheiden dürfen?
Das Bundesverwaltungsgericht verweigerte die „dritte Piste“des Flughafens Wien-Schwechat mit dem Verweis auf den Klimaschutz. Der Verdruss über die Verwaltungsrichter ist aus mehreren Gründen unangebracht.
Die Aufregung um das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG), in dem die Genehmigung für die „dritte Piste“beim Flughafen Schwechat versagt wurde, reißt nicht ab. Schon unmittelbar nach Bekanntwerden des Urteils, in dem das Gericht, für die Fachwelt durchaus überraschend, den Interessen des Klimaschutzes gegenüber wirtschaftlichen Interessen den Vorzug eingeräumt hatte, war vonseiten der Bundespolitik und der Wirtschaft heftige Kritik am BVwG geäußert worden.
Zuletzt hat ein Brief des gegenwärtigen Vorsitzenden der Landeshauptleutekonferenz, des Tiroler Landeshauptmanns Günther Platter, für Entrüstung gesorgt. Die Kritiker stoßen sich besonders an der dort geäußerten Auffassung, dass Wertentscheidungen bzw. die Abwägung öffentlicher Interessen in der Disposition demokratisch legitimierter Organe liegen müssten. Der Vorstoß wird als Angriff auf die unabhängige Gerichtsbarkeit interpretiert.
In der Tat bildete die Einführung der erstinstanzlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit 2014 einen der bedeutendsten Reformschübe in der österreichischen Verwaltung. Eine Rückkehr zum Status quo ante ist undenkbar. Auch der mit der Einführung der neuen Verwaltungsgerichte (zwei Verwaltungsgerichte des Bundes, neun Landesverwaltungsgerichte, mit welchen etwa 120 Berufungsbehörden abgeschafft wurden) eingetretene Paradigmenwechsel hin zu mehr Justizstaatlichkeit und weniger Verwaltungsstaatlichkeit ist irreversibel.
Dennoch muss eine Diskussion über das Verhältnis von Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit möglich sein. Dazu ist es erforderlich, den Hintergrund des Erkenntnisses des BVwG zu rekapitulieren.
Ausgangspunkt war ein Bewilligungsverfahren nach dem Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz (UVP-Gesetz). Gemäß den anzuwendenden Bestimmungen war das Vorhaben unter anderem nur dann zu bewilligen, wenn dem keine „sonstigen öffentlichen Interessen“entgegenstehen. Dabei werden im Gesetz die „sonstigen öffentlichen Interessen“nicht näher definiert, weshalb das Gericht prinzipiell alle am Gemeinwohl orientierten Interessen, egal welcher Art sie sind, gegeneinander abwägen und in seine Entscheidung einbeziehen kann. Das Bundesverwaltungsgericht sah nun den Klimaschutz als das gewichtigere Interesse als die wirtschaftlichen Vorteile, die mit der Erweiterung des Flughafens verbunden waren.
Schon in der Bundesverfassung ist klargestellt, dass Ermessensentscheidungen der Behörde vom Verwaltungsgericht nicht abgeändert werden dürfen, wenn die Behörde das Ermessen im Sinne des Gesetzes ausgeübt hat und wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht. Die umstrittenen und vom Verwaltungsgerichtshof noch zu klärenden Fragen werden darin bestehen, ob die vorgenommene Interessenabwägung überhaupt eine solche Ermessensentscheidung darstellte und ob die Interessenabwägung durch das Bundesverwaltungsgericht im Übrigen korrekt erfolgt ist. Darüber zu diskutieren ist, solange die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs aussteht, müßig.
Worüber sich hingegen diskutieren lässt, ist, ob die gerade bei großen Infrastrukturvorhaben entscheidende Abwägung der beteiligten öffentlichen Interessen nicht primär eine Aufgabe der Verwaltungsbehörde sein soll und die Verwaltungsgerichte diese Interessenabwägung lediglich nachprüfend kontrollieren sollen. Im Kern geht es darum, die Aufgaben, die Verwaltung und Gerichtsbarkeit innerhalb eines Staats erfüllen, ihrer Funktion entsprechend adäquat aufzuteilen, was letztendlich grundsätzliche verfassungsrechtliche Fragen der demokratischen Legitimation der handelnden Organe, seien es unabhängige Richter oder weisungsgebundene Verwaltungsorgane, berührt.
Diese Neudefinition des Verhältnisses von Gericht und Verwaltungsbehörde würde aber wohl entsprechende gesetzliche Klarstellungen, möglicherweise sogar in der Verfassung, erforderlich machen. Bis die Politik in der Lage ist, eine solch sensible Frage sachlich zu diskutieren, wird noch einige Zeit vergehen.
Wir weisen daher auf andere Lösungen hin: Ein Instrument, mit dem sich die Verwaltung einen gewissen Freiraum gegenüber dem Verwaltungsgericht schaffen kann, existiert schon: Die Behörde kann gleichzeitig mit der Vorlage der Beschwerde an das Verwaltungsgericht einen sogenannten Widerspruch dagegen einlegen, dass das Verwaltungsgericht in der Sache selbst entscheidet. Die Behörde muss dabei auf die Verfahrensökonomie Bedacht nehmen. Der Widerspruch der belangten Behörde hindert das Verwaltungsgericht nicht, die Sache in jeder Hinsicht zu prüfen. Erachtet es die Entscheidung als rechtswidrig, darf es diese nur aufheben, nicht selbst abändern. Das bedeutet, dass die Verwaltungsbehörde ihre Entscheidung in der 2. Runde, nachdem sie die Bedenken des Verwaltungsgerichts kennt, sanieren kann. Weshalb die Behörden die Funktionsfähigkeit dieses Instruments bisher nie erprobt haben, ist eigentlich nicht nachvollziehbar.
Der Verdruss über das Bundesverwaltungsgericht ist auch aus anderen Gründen unangebracht. Es ist nämlich der Gesetzgeber, der entscheidet, welche Interessen bei der Abwägung zu berücksichtigen sind und wie die unterschiedlichen Interessen zu gewichten sind. Wenn er den Klimaschutz nicht bevorrangen will, muss er so ehrlich sein, dies in das Gesetz zu schreiben oder zumindest keine blumigen Bekenntnisse zum Klimaschutz von sich zu geben. Ebenso sollte darauf verzichtet werden, auf internationaler Ebene Musterschüler zu spielen, wenn die daraus resultierenden Verpflichtungen nicht eingehalten werden sollen.
Die Gesetzgeber von Bund und Ländern müssen den Verwaltungsgerichten klare Entscheidungsgrundlagen liefern. Das ist selbstverständlich kein Eingriff in richterliche Unabhängigkeit, sondern die Vorgabe, den der Gewaltenteilungsgrundsatz der Verfassung macht.