Wird Premieren-Sieger Bottas für Mercedes zum „Risiko“?
Mit dem ersten Grand-Prix-Sieg macht sich der Finne auch zu einem WM-Kandidaten und erhöht die Spannung. Das freut die Fans, wird aber Unruhe bei Mercedes bringen.
SOTSCHI, SALZBURG. Wenn Sebastian Vettel nach einem knapp „verlorenen“Rennen nicht über bremsende Nachzügler oder sonst wen lamentiert, sondern in guter Laune bereitwillig Interviews gibt, muss etwas Besonderes passiert sein. Und wenn der vierfache Champion dann noch sagt: „Im ersten Moment beißt man sich in den Hintern. Unterm Strich können wir aber am besten einschätzen, wie man am Lenkrad drehen muss, und er hat das super gemacht. Er ist ganz klar der Mann des Rennens, auch wenn es einem selbst stinkt“, dann ist das Kompliment für „ihn“ein gewaltiges. Er, das ist Valtteri Bottas, der zwei Wochen nach seiner Premieren-Pole in Bahrain Sonntag in Sotschi seinen ersten Grand-Prix-Sieg feierte.
Und – wie nicht nur Vettel bestätigte – in eindrucksvoller Manier: „Sein erster Stint war ein Wahnsinn. Das war der Grundstein zum Sieg“, meinte Vettel über die Startphase des Finnen, der von der dritten Position die beiden Ferrari in Reihe eins einfach stehen gelassen hatte.
Vettels Trost: Die WM-Führung auf den diesmal farblosen Lewis Hamilton auf Tagesrang vier wuchs um sechs auf 13 Punkte. Bottas ist mit 23 Zählern Rückstand Dritter.
„Es hat über 80 Rennen gedauert. Die Warterei hat sich definitiv gelohnt“, sagte Bottas. Der 27-Jährige übertraf mit dem ersten Sieg im 81. WM-Lauf schon im vierten Rennen für WM-Titelverteidiger Mercedes seine eigenen Erwartungen: „Auch wenn Hamilton in den ersten Rennen schneller sein wird, werde ich nicht in Panik verfallen. Ich weiß, dass ich Spitzenergebnisse bringen kann“, hatte er vor dem Saisonstart im März erklärt. Still, aber nicht heimlich hat sich Bottas in der Spitze etabliert.
„Valtteri hat gegen die Übermacht Vettel nur wegen seiner eigenen Leistung gewonnen“, lobte Mercedes-Aufsichtsrat Niki Lauda, ehe er vor dem Finnen die Kappe zog und ihm gratulierte. „Er ist der coolste Typ im Feld. Unter diesen Bedingungen zu gewinnen, mit dem Vettel im Genick, das ist eine unglaubliche Leistung“, sagte Lauda.
Womit sich die beiden Wiener Mercedes-Chefs mit einer neuen Situation auseinandersetzen müssen. Denn die Erkenntnis von Sotschi lautet: Sie haben wieder zwei Siegfahrer im Team, und Bottas wird sich mit diesem Erfolg nicht zufriedengeben. Will heißen: Die Chance, neuerlich die Konstrukteurs-WM zu gewinnen, lebt. Aber auch: Das Risiko, dass das interne „Klima“wegen eines stichelnden Hamilton leidet, steigt mit jedem weiteren Erfolg von Bottas. In jedem Fall hat der Finne die Entscheidung von Toto Wolff und Niki Lauda für ihn als Rosberg-Nachfolger früh – wohl früher, als viele glaubten – gerechtfertigt.
Bottas setzt auch die seit fast 40 Jahren anhaltende „Erbfolge“finnischer GP-Stars fort: Er ist der fünfte Finne als Formel-1-Sieger nach Keke Rosberg, Mika Häkkinen, dem in Sotschi mit ihm aufs Podest gekommenen Kimi Räikkönen und Heikki Kovalainen. Allen gemeinsam ist: Sie haben in jungen Jahren auf finnischen Landstraßen, vor allem im Winter, „Autofahren gelernt“und sich dann aber für die Rundstrecke und nicht den in Finnland so populären Rallyesport entschieden. Keke Rosberg war Einzelkämpfer, Häkkinen profitierte schon von ihm, und der wiederum war ein Helfer für Bottas – wie auch Wolff und Didier Coton, die als Management-Trio die Karriere von Bottas lenkten (Wolff schied später wegen Unvereinbar- keit mit seinem Mercedes-Job aus).
„Es fühlt sich großartig an, fast ein wenig surreal, dieser erste Sieg, dem hoffentlich noch viele folgen werden“, erklärte Bottas nach der Siegerehrung durch Russlands Staatschef Wladimir Putin, der sich auch einige Minuten im „Abkühlraum“mit den drei Erstplatzierten unterhalten hatte. „Es war sicher eines meiner besten Rennen. Also bin ich wirklich happy.“Im Fahren sind die Finnen meistens besser als in der verbalen Analyse.
Für Red Bull betrieb Max Verstappen als Fünfter die von Motorsportchef Helmut Marko erwartete „Schadensbegrenzung“, doch das Team muss noch die Ursache für das frühe Out von Daniel Ricciardo finden: Die rechte hintere Bremse fing unmittelbar nach der SafetyCar-Phase am Anfang Feuer, der Australier musste in der Box aufgeben. Nicht einmal in die Startaufstellung schaffte es Fernando Alonso im desolaten McLaren-Honda (vermutlich ein Problem mit der Energierückgewinnung) – ein weiterer Tiefpunkt vor dem Heim-GP Alonsos am 14. Mai in Barcelona.
Trotz der aktuellen Problemmisere bei Honda wurde die erwartete Partnerschaft ab 2018 mit Sauber (die Schweizer fahren seit dem BMW-Ausstieg 2010 wieder mit Ferrari-Antrieb) offiziell gemacht.
„Valtteri ist klar der Mann des Rennens.“