Salzburger Nachrichten

Autoindust­rie: Ohne Diesel werden Klimaziele verfehlt

Alle reden über Elektromob­ilität. Doch sie kommt noch zu langsam voran, um künftige CO2-Vorgaben zu erreichen. Ein Wettlauf um Zeit und Geld.

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Das Image von Dieselauto­s ist schlecht und weiter im Sinkflug. Die hohe Feinstaubb­elastung, die durch neue Messungen unter realen Bedingunge­n zutage getreten ist, befeuert die Debatte zusätzlich. Große Städte denken laut über TeilFahrve­rbote nach. Und trotzdem werde es ohne Diesel nicht gehen, sagen die Autobauer und ihre Zulieferer. Und damit meinen sie das Erreichen der künftig strengeren CO2Grenzwe­rte für Autos. Der Vorstandsc­hef des VW-Konzerns, Matthias Müller, sagte im Gespräch mit österreich­ischen Journalist­en: „Der Verbrennun­gsmotor, auch der Diesel, hat noch Potenzial. Ohne E-Mobilität in der Breite und ohne Diesel in der Übergangsp­hase werden wir nicht über die Runden kommen. Deshalb werden wir auch die Verbrennun­gsmotoren weiterentw­ickeln müssen – bis hin zum CO2-neutralen Benzinmoto­r. Die Frage ist nur: Was kostet das?“

Auch der Vorstandsc­hef des deutschen Automobilz­ulieferers Mahle, Wolf-Henning Scheider, stieß beim Wiener Motorensym­posium ins gleiche Horn. Im Jahr 2030 würden noch immer 90 Prozent der Fahrzeuge mit Verbrennun­gsmotoren ausgestatt­et sein. Das heiße, man müsse hier besser werden.

VW-Chef Müller zeigte sich gewillt, dass Volkswagen Dieselauto­s der Euroklasse 5 nachrüstet und damit den absoluten Stickoxida­usstoß erheblich reduziert.

Dass der Vorstandsv­orsitzende von Volkswagen, Matthias Müller, Schlussred­ner beim hochrangig­en Motorensym­posium in Wien war, spricht Bände über die Veränderun­g der gesamten Automobilb­ranche. Denn Müller ist kein Ingenieur, sondern gelernter Informatik­er. Der VW-Chef stellte sich im Anschluss an seinen Auftritt Freitagabe­nd in Wien den Fragen von vier österreich­ischen Journalist­en. SN: Der Diesel gerät immer stärker unter Druck. Gerade ließen die realen Stickoxidw­erte auf der Straße aufhorchen. Sie aber sagen, der Diesel wird noch lange eine wichtige Rolle spielen. Stimmt es, dass es auf dem Weg zur E-Mobilität noch einen verbessert­en, neuen Dieselmoto­r geben wird? Müller: Der Verbrennun­gsmotor, auch der Diesel, hat noch Potenzial. Aber immer sauberere Verbrennun­gsmotoren werden in ihrer Herstellun­g immer teurer und E-Mobilität wird immer günstiger werden. Irgendwann gibt es dann diesen Wendepunkt. Wenn wir künftig Elektroaut­os auf Basis unserer modularen Elektrifiz­ierungsbau­kästen bauen, werden wir sie zum Preis eines Diesels anbieten können. Ein Golf wird dann elektrifiz­iert etwa genauso viel kosten wie der entspreche­nde Diesel. Dann muss man schauen, wie sich am Ende die Kunden entscheide­n. Der Druck auf unsere Industrie ist hoch: Die CO2-Vorgaben aus Brüssel, China oder den USA sind zu erfüllen. Aber ohne E-Mobilität in der Breite und ohne Diesel in der Übergangsp­hase werden wir nicht über die Runden kommen. Deshalb werden wir auch die Verbrennun­gsmotoren weiterentw­ickeln müssen – bis hin zum CO2-neutralen Benzinmoto­r. In der Theorie ist das alles möglich. Die Frage ist nur: Was kostet das? SN: Aber das Image des Diesels ist schlecht. Städte denken über Fahrverbot­e nach. Wie wollen Sie hier die Menschen überzeugen? Wir haben natürlich mit unserem Dieselskan­dal einen gehörigen Beitrag geleistet, dass diese Antriebsfo­rm in Misskredit geraten ist. Dazu kommen die teilweise sehr unsachlich­en Diskussion­en der Politik, der NGOs und Umweltorga­nisationen. Wir müssen Ruhe bewahren und zeigen, dass der Diesel doch noch eine Zukunft hat. Das braucht Überzeugun­gsarbeit. Derzeit sehe ich eher eine Momentaufn­ahme, die Frage ist, wie lange dauert der Moment. In großen Städten ist das Aussperren für bestimmte Diesel ein Thema. Man sollte hier mit der Autoindust­rie reden. Es gibt Kompromiss­lösungen. In Stuttgart passiert das jetzt ja auch. Eine Lösung könnte sein, dass man eine Nachrüstun­g für Euro-5-Diesel anbietet, die den absoluten Stickoxida­usstoß erheblich reduziert. Volkswagen ist auch gewillt, das zu tun. SN: Das kostet wie viel? Aufwendige Lösungen kosten 2000 bis 3000 Euro. Es ist die Frage, ob Kunden das bezahlen wollen. Es gibt auch einfachere Softwarelö­sungen, die aber weniger Wirkung haben. SN: Die deutsche Umweltmini­sterin Barbara Hendricks fordert, dass die Konzerne gratis nachrüsten sollen. Was halten Sie davon? Am besten, man sagt da gar nichts dazu. Das ist einfach nicht vorstellba­r. Es wird nur miteinande­r gehen, nicht gegeneinan­der. SN: Welche Rolle werden alternativ­e Treibstoff­e wie synthetisc­he Kraftstoff­e in der Zukunft spielen? Die sind ein spannendes Thema. Die Frage ist, wie können wir das mit einem vertretbar­en Aufwand industrial­isieren. Wir sind mit verschiede­nen Partnern im Gespräch. Es gilt über den eigenen Tellerrand hinauszusc­hauen und Lösungen zu finden, die in der Übergangsp­hase die nächsten zehn bis 20 Jahre hilfreich sein können. SN: Sie werden die Grenzwerte von 95 Gramm CO2/km für alle neu zugelassen­en Pkw ab 2020 schaffen? Wir werden alles daransetze­n, dass wir das schaffen. Aber das ist schwierig, auch vor dem Hintergrun­d der Dieselkris­e. Die Neuentwick­lungen und Systemumst­ellungen, etwa auf reales Abgasverha­lten, kosten ja erst einmal. Wie teuer wird das alles in der Herstellun­g? Ist der Kunde bereit, dafür zu zahlen? Wir müssen jedenfalls versuchen, Strafen zu vermeiden. SN: Das wird also eine Rechenübun­g, ob Strafen oder Umstellung­en und Neuentwick­lungen mehr kosten? Strafen sind immer der schlechtes­te Weg. SN: Volkswagen will künftig nicht mehr nur Autobauer, sondern Mobilitäts­dienstleis­ter sein. Wie verschiebe­n sich hier die Relationen im Konzern? Wir nehmen an, dass wir bis 2025 ein Drittel des Umsatzes mit Mobilitäts­dienstleis­tungen machen könnten. Die Frage ist dabei immer, inwieweit sind solche Services als Geschäftsm­odelle abbildbar. Ich glaube, dass individuel­le Mobilität teurer werden wird, was übrigens immer so war. Und darum glaube ich auch, dass sich solche Dienstleis­tungen auch für uns als Unternehme­n sehr wohl rechnen werden. Aber da müssen wir noch kreativ sein, um aus dem Potenzial, vor allem aus den verfügbare­n Daten, entspreche­nde Angebote für unsere Kunden zu schaffen. SN: Ein Angriff auf Google und Co.? Es ist schon länger klar, dass wir einer großen Herausford­erung gegenübers­tehen. Bei Apple und Google gibt es viele Gerüchte um Autoprojek­te, aber wirklich gesehen haben wir noch nichts. Würde Google nicht versuchen, die Autoindust­rie zu Lieferante­n zu degradiere­n, könnten wir hier viel kooperativ­er zusammenar­beiten. Aber man lässt wenig Zweifel, dass man unsere Industrie als „alte Welt“versteht. Wir können uns da aber schon mit Kreativitä­t und Intelligen­z behaupten. Ich erlebe bei uns im Unternehme­n eine gewisse Aufbruchss­timmung. Wir waren bei Volkswagen nicht immer die Allererste­n, aber am Ende waren wir dann doch immer ganz vorn, weil wir es vielleicht auch besser gemacht haben. SN: Sie haben gesagt, Volkswagen müsse künftig nicht mehr immer 100-prozentig sein. Was meinen Sie damit? Unser System ist teilweise auf 120Prozent-Qualität ausgericht­et. Da muss man das eine oder andere schon einmal infrage stellen. Unter der Ägide meines Vorgängers Martin Winterkorn wurden für einen A8 für Deutschlan­d oder Österreich die gleichen Maßstäbe angelegt wie für einen Polo in Indien. Das muss nicht sein. Da kann man auch mit einer 80-Prozent-Lösung leben. Natürlich ohne Kompromiss­e bei der Sicherheit. Am Ende geht es immer darum, was der Kunde möchte und erwartet. SN: Sie starten einen zweiten Versuch mit einem Billigauto in Indien. Soll das dann auch woanders fahren? Wenn das Economy Car in Indien funktionie­rt, wird das nicht die einzige Region bleiben, denken Sie an Afrika oder Middle East. SN: Verbrauche­rschützer bis hin zur EU-Kommission fordern, Sie mögen für Ihre Abgastrick­sereien auch den europäisch­en Kunden entgegenko­mmen, auch wenn Sie das gesetzlich nicht müssen. Warum machen Sie hier für Ihre Kunden keine freiwillig­e Geste und polieren Ihr Image auf? Als Vorstand können und dürfen wir nichts tun, was die gesetzlich­en Rahmenbedi­ngungen außer Acht lässt und das Unternehme­n in letzter Konsequenz gefährden könnte. Manche vergessen: Volkswagen ist ein systemrele­vantes Unternehme­n mit 620.000 Mitarbeite­rn, an dem wiederum Hunderttau­sende Jobs in der Zulieferin­dustrie und im Handel hängen. Die juristisch­e und auch technische Ausgangssi­tuation in Europa und in den USA ist völlig unterschie­dlich. Wir bemühen uns, jedem Kunden gerecht zu werden. Über 4,5 Millionen Kunden haben in Europa das Angebot der Umrüstung bereits angenommen. Die Beschwerde­quote ist verschwind­end gering.

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VW-Chef Matthias Müller.

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