Salzburger Nachrichten

„Meinungsfr­eiheit wird vernachläs­sigt“

Nicht nur in Autokratie­n leiden Presse- und Meinungsfr­eiheit immer stärker. Die Präsidenti­n von Reporter ohne Grenzen ortet auch in Österreich Probleme.

- RALF HILLEBRAND

Nicht nur in Autokratie­n leiden Presse- und Meinungsfr­eiheit immer stärker. Die Präsidenti­n von Reporter ohne Grenzen ortet auch in Österreich Probleme, wenn Sicherheit wichtiger als Menschenre­chte werde.

Rubina Möhring ist seit 2001 Präsidenti­n von Reporter ohne Grenzen Österreich. Im Interview zum heutigen Tag der Pressefrei­heit beschreibt die 67-Jährige, was inhaftiert­e Journalist­en in der Türkei erleiden müssen. Und sie benennt das Datum, ab dem Sicherheit wichtiger als Menschenre­chte wurde.

SN: Frau Möhring, ist es nicht traurig, dass es im 21. Jahrhunder­t noch einen Tag der Pressefrei­heit braucht? Rubina Möhring: Ja, ist es. Ich habe immer gesagt, dass ich mich freuen würde, wenn meine Organisati­on überflüssi­g würde. Aber ich habe das Gefühl, dass wir und auch der Tag der Pressefrei­heit mehr denn je gebraucht werden.

SN: Wieso ist dem so? Es geht nicht nur um Pressefrei­heit – die Meinungsfr­eiheit wird allgemein eklatant vernachläs­sigt. Das hat mit 9/11 eingesetzt. Seitdem ist Sicherheit­spolitik wichtiger als Menschenre­chte. Und das ist eine gefährlich­e Tendenz. Natürlich ist Sicherheit­spolitik wichtig. Aber darf man sie als Anlass nehmen, massenhaft Handys abzuhören?

SN: Und solche Probleme gibt es nicht nur in Autokratie­n. Die Tendenz geht zu autoritär geführten Regimen, selbst wenn sie demokratis­ch gewählt wurden. In Ungarn, Polen und auch in Russland hat sich die Lage drastisch verschlech­tert. In den USA haben wir einen Präsidente­n, der Medien als Volksfeind­e bezeichnet. Und in der Türkei ist die Lage katastroph­al.

SN: Was macht die Lage derart katastroph­al? Es ist eine willkürlic­he Verhaftung­spolitik gegenüber jedem, der kritisch zu sein scheint, auszumache­n. Ich nehme sogar eine gewisse Lust an Verhaftung­en wahr. Und wenn man bedenkt, dass allein die Untersuchu­ngshaft in der Türkei fünf Jahre dauern kann, können Sie sich die Ausmaße vorstellen.

SN: Aber wie kann man solchen Problemen Herr werden? Ich glaube, von außen kann man das gar nicht. Es macht mir aber ein wenig Hoffnung, dass das türkische Referendum knapp ausgefalle­n ist. Erdoğan ist zwar im Machtrausc­h, aber ihm muss doch bewusst sein, dass irgendwann ein Bürgerkrie­g ausbricht, wenn er die Einschücht­erungspoli­tik weiter betreibt.

SN: Sie sagen selbst, dass von außen nur schwer etwas zu ändern ist. Sind dann Aufrufe wie #FreeTurkey­Journalist­s überhaupt sinnvoll? Ja, schon. Man zeigt vor allem Solidaritä­t mit den Kollegen. Diese sitzen in verschmutz­ten Zellen, selbst Bleistift und Papier sind verboten. Das bewegt sich im Nahbereich von Folter. Und da kann es ihnen schon etwas geben, wenn sie merken, dass sie nicht vergessen wurden.

SN: Zu Österreich: Wie ist es um die Pressefrei­heit hierzuland­e bestellt? Es gibt einige bedenklich­e Tendenzen. In Österreich gibt es etwa immer noch das Machtspiel­zeug Amtsgeheim­nis. Es ist unglaublic­h, dass es noch nicht abgeschaff­t wurde. Dass am Versammlun­gsrecht gebastelt wurde, ist für mich ebenso gefährlich. Zudem müssen wir mit den Missverstä­ndnissen einer Partei aufräumen, die meint, es falle unter die Meinungsfr­eiheit, wenn man haarsträub­ende Interpreta­tionen der Nazizeit nach außen trägt.

SN: Und was kann man gegen solche Tendenzen tun? Wir müssen schon bei der Erziehung ansetzen. Es braucht etwa Medienunte­rricht in Schulen. Wir müssen von klein auf lernen, wie Informatio­nen zu lesen sind.

Rubina Möhring ist gebürtige Berlinerin, seit ihrem 19. Lebensjahr lebt sie in Wien. Möhring war als Redakteuri­n unter anderem für den ORF tätig.

 ??  ??
 ?? BILD: SN/APA ?? Den Mund aufzumache­n ist nicht überall erwünscht.
BILD: SN/APA Den Mund aufzumache­n ist nicht überall erwünscht.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria