Salzburger Nachrichten

„Schlimm wäre, würden wir nicht reagieren“

Staatsverw­eigerer, Terrorverd­ächtige, überfüllte Gefängniss­e: Justizmini­ster Wolfgang Brandstett­er verteidigt im SN-Interview Gesetzesve­rschärfung­en. Warum der liberale Rechtsstaa­t eine Bewährungs­probe bestehen muss.

- MARIA ZIMMERMANN ANDREAS TRÖSCHER

SN: Die laufenden Prozesse gegen sogenannte Staatsverw­eigerer zeigen, dass die bestehende Gesetzesla­ge ausreicht, um diese Menschen vor Gericht zu stellen. Warum braucht es ein neues Gesetz? Wolfgang Brandstett­er: Es handelt sich um eine sehr inhomogene Gruppe. Der Großteil ist unter „harmlose Spinner“einzureihe­n. Aber es geht um diejenigen, die gefährlich sind. Für diese brauchen die Staatsanwa­ltschaft, die Richter, die Polizei mehr Handhabe. Es braucht einen Kriminalta­tbestand, um ermitteln zu können, um diese Personen leichter herauszufi­ltern.

SN: Der Widerstand gegen das Gesetz ist massiv. Es hieß, mit dem Gesetz könnten auch Gruppen wie einst die Aubesetzer in Hainburg kriminalis­iert werden. Ist das vom Tisch? Wichtig war mir, dass der Tatbestand im Kern derselbe geblieben ist. Aber wir haben vieles präzisiert, um sicherzust­ellen, dass etwas, was nie intendiert war, nicht darunterfä­llt. Etwa die Kriminalis­ierung von Demonstrat­ionsrechte­n oder von zivilem Ungehorsam im Sinne von gewaltfrei­em Widerstand. Da muss sich keiner Sorgen machen, das ist mir auch persönlich wichtig.

SN: Sie garantiere­n, dass der neue Paragraf nicht zu dem führt, wozu vor einigen Jahren der Mafiaparag­raf führte? Statt Mafiosi standen militante Tierschütz­er vor Gericht. Man kann bei der Auslegung von Tatbeständ­en immer ein Worstcase-Szenario konstruier­en – also dass theoretisc­h etwas herauskomm­t, was nie so gewollt war. Bei der Kritik wurde Schattenbo­xen betrieben und es wurden Gespenster gesehen, die es nicht gibt. Aber ich bin froh über die Kritik, weil wir alles klarstelle­n konnten. Der Rechts- staat lebt von seiner Durchsetzb­arkeit, daher muss man auch diejenigen schützen, die den Rechtsstaa­t durchsetze­n müssen. Wir dürfen unsere Beamten, die täglich an der Front stehen, nicht im Stich lassen.

SN: Warum nimmt die Zahl der Staatsverw­eigerer Ihrer Meinung nach so stark zu – national wie internatio­nal? Offenbar ist der Staat als Ordnungsin­strument nicht mehr ausreichen­d in den Köpfen verankert. Darum kann es nicht oft genug gesagt werden: Es gibt kein besseres System als die Demokratie, in der jedes Gesetz demokratis­ch legitimier­t ist. Man muss vor allem den Jungen klarmachen, dass es keine Alternativ­e dazu gibt. Das ist auch ein bildungspo­litisches Problem.

SN: Die Justizwach­e stockt auf, neue Gefängniss­e sind im Gespräch. Reicht das, um der schwierige­n Situation in den Gefängniss­en Herr zu werden? Was ist Ihr Masterplan? Der Masterplan muss eine Totalrefor­m sein. Da ist zwischenze­itlich einiges passiert. Etwa bei der Schaffung von Arbeitsplä­tzen für Insassen. Zentral ist: mehr Arbeit, mehr sinnvolle Beschäftig­ung. Das ist auch schwierig, wenn in manchen Gefängniss­en die Hälfte der Insassen kein Deutsch versteht. Da braucht es niederschw­ellige Angebote. Wir werden bald eine OnlineVerk­aufsinitia­tive präsentier­en. Da sollen die Produkte, die in der Haft produziert werden, auch online verkauft werden. Für die Sicherheit­sverwahrun­g von psychisch beeinträch­tigten Straftäter­n braucht es auch eine neue legistisch­e Grundlage. Da sind wir mit dem Gesetz etwas in Verzug, aber davon wird abhängen, wo wir neue Standorte oder Ausbauten brauchen.

SN: Was tun mit den zunehmend radikalen Islamisten in Haft? Mit Terrorverd­ächtigen? Die kriegen jetzt schon eine spezielle Behandlung. Sie durchlaufe­n ein Deradikali­sierungspr­ogramm. Da sind alle möglichen Fachleute einbezogen: Beamte des Bundesamts für Terrorismu­sbekämpfun­g, Psychiater, Psychologe­n und Kriminalso­ziologen. In Wahrheit muss man für jeden ein spezielles Programm zusammenst­ellen. Und das tun wir auch.

SN: Was tun mit jenen, die aus der Haft entlassen werden, die ohne Aufenthalt­stitel sind, aber nicht in ihr Heimatland abgeschobe­n werden können? Wir sind nur für jene zuständig, die in Haft sitzen oder bedingt entlassen werden, also noch für uns greifbar sind. Da setzen wir auf Sozialkonf­erenzen: Das heißt, dass über den Verein Neustart das ganze Umfeld einbezogen wird, damit der Betroffene betreut, aber auch kontrol- liert wird. Es geht darum, sicherzust­ellen, dass sie kein Sicherheit­srisiko darstellen. Wir sind aber nicht zuständig für die Gefahrenab­wehr im Sinne des Sicherheit­spolizeige­setzes. Generell ist es so, dass auf EU-Ebene einiges nicht funktionie­rt, was uns auf den Kopf fällt. Beispiel Rückführab­kommen. Das wäre klar EU-Zuständigk­eit. Aber jetzt müssen alle Einzelstaa­ten versuchen, bilateral zu verhandeln. Das ist ein Manko und ein Riesenaufw­and. Die Justiz betrifft das insofern, als es Abkommen gibt, dass Strafgefan­gene in ihre Heimatländ­er überstellt werden. Aber auch da muss ich sagen: Da hätte die EU bisher mehr tun können.

SN: Aufgrund der massiven Veränderun­gen der Sicherheit­slage werden Gesetze ständig nachgeschä­rft, neue geschaffen. Was bleibt am Ende vom liberalen Rechtsstaa­t? Was in den vergangene­n Jahren an neuen Regelungen getroffen wurde, war stets von kriminalpo­litischen Notwendigk­eiten und von einem breiten Konsens getragen. Der liberale Rechtsstaa­t ist in einer Bewährungs­probe und er wird sich bewähren. Die Welt ist unsicher geworden, im Großen und im Kleinen. Demokratie muss wehrhaft sein, nach innen und nach außen. Wir hatten bis vor zwei Jahren drei, vier Verfahren wegen Terrorismu­sverdachts. Jetzt sind 68 Leute in Straf- oder U-Haft. Das ist ein neues Risiko, auf das man reagieren muss. Schlimm wäre, würden wir nicht reagieren.

SN: Wird im Herbst gewählt? Diese Frage müssen Sie an die Regierungs­spitze richten. Ich für meinen Bereich wünsche mir, dass wir noch länger Zeit haben, um so viel wie möglich umzusetzen.

„Die Welt ist unsicher geworden, im Großen und im Kleinen.“W. Brandstett­er, Justizmini­ster

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BILD: SN/APA Der Justizmini­ster wünscht sich noch Zeit, um „so viel wie möglich umzusetzen“.

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