„Schlimm wäre, würden wir nicht reagieren“
Staatsverweigerer, Terrorverdächtige, überfüllte Gefängnisse: Justizminister Wolfgang Brandstetter verteidigt im SN-Interview Gesetzesverschärfungen. Warum der liberale Rechtsstaat eine Bewährungsprobe bestehen muss.
SN: Die laufenden Prozesse gegen sogenannte Staatsverweigerer zeigen, dass die bestehende Gesetzeslage ausreicht, um diese Menschen vor Gericht zu stellen. Warum braucht es ein neues Gesetz? Wolfgang Brandstetter: Es handelt sich um eine sehr inhomogene Gruppe. Der Großteil ist unter „harmlose Spinner“einzureihen. Aber es geht um diejenigen, die gefährlich sind. Für diese brauchen die Staatsanwaltschaft, die Richter, die Polizei mehr Handhabe. Es braucht einen Kriminaltatbestand, um ermitteln zu können, um diese Personen leichter herauszufiltern.
SN: Der Widerstand gegen das Gesetz ist massiv. Es hieß, mit dem Gesetz könnten auch Gruppen wie einst die Aubesetzer in Hainburg kriminalisiert werden. Ist das vom Tisch? Wichtig war mir, dass der Tatbestand im Kern derselbe geblieben ist. Aber wir haben vieles präzisiert, um sicherzustellen, dass etwas, was nie intendiert war, nicht darunterfällt. Etwa die Kriminalisierung von Demonstrationsrechten oder von zivilem Ungehorsam im Sinne von gewaltfreiem Widerstand. Da muss sich keiner Sorgen machen, das ist mir auch persönlich wichtig.
SN: Sie garantieren, dass der neue Paragraf nicht zu dem führt, wozu vor einigen Jahren der Mafiaparagraf führte? Statt Mafiosi standen militante Tierschützer vor Gericht. Man kann bei der Auslegung von Tatbeständen immer ein Worstcase-Szenario konstruieren – also dass theoretisch etwas herauskommt, was nie so gewollt war. Bei der Kritik wurde Schattenboxen betrieben und es wurden Gespenster gesehen, die es nicht gibt. Aber ich bin froh über die Kritik, weil wir alles klarstellen konnten. Der Rechts- staat lebt von seiner Durchsetzbarkeit, daher muss man auch diejenigen schützen, die den Rechtsstaat durchsetzen müssen. Wir dürfen unsere Beamten, die täglich an der Front stehen, nicht im Stich lassen.
SN: Warum nimmt die Zahl der Staatsverweigerer Ihrer Meinung nach so stark zu – national wie international? Offenbar ist der Staat als Ordnungsinstrument nicht mehr ausreichend in den Köpfen verankert. Darum kann es nicht oft genug gesagt werden: Es gibt kein besseres System als die Demokratie, in der jedes Gesetz demokratisch legitimiert ist. Man muss vor allem den Jungen klarmachen, dass es keine Alternative dazu gibt. Das ist auch ein bildungspolitisches Problem.
SN: Die Justizwache stockt auf, neue Gefängnisse sind im Gespräch. Reicht das, um der schwierigen Situation in den Gefängnissen Herr zu werden? Was ist Ihr Masterplan? Der Masterplan muss eine Totalreform sein. Da ist zwischenzeitlich einiges passiert. Etwa bei der Schaffung von Arbeitsplätzen für Insassen. Zentral ist: mehr Arbeit, mehr sinnvolle Beschäftigung. Das ist auch schwierig, wenn in manchen Gefängnissen die Hälfte der Insassen kein Deutsch versteht. Da braucht es niederschwellige Angebote. Wir werden bald eine OnlineVerkaufsinitiative präsentieren. Da sollen die Produkte, die in der Haft produziert werden, auch online verkauft werden. Für die Sicherheitsverwahrung von psychisch beeinträchtigten Straftätern braucht es auch eine neue legistische Grundlage. Da sind wir mit dem Gesetz etwas in Verzug, aber davon wird abhängen, wo wir neue Standorte oder Ausbauten brauchen.
SN: Was tun mit den zunehmend radikalen Islamisten in Haft? Mit Terrorverdächtigen? Die kriegen jetzt schon eine spezielle Behandlung. Sie durchlaufen ein Deradikalisierungsprogramm. Da sind alle möglichen Fachleute einbezogen: Beamte des Bundesamts für Terrorismusbekämpfung, Psychiater, Psychologen und Kriminalsoziologen. In Wahrheit muss man für jeden ein spezielles Programm zusammenstellen. Und das tun wir auch.
SN: Was tun mit jenen, die aus der Haft entlassen werden, die ohne Aufenthaltstitel sind, aber nicht in ihr Heimatland abgeschoben werden können? Wir sind nur für jene zuständig, die in Haft sitzen oder bedingt entlassen werden, also noch für uns greifbar sind. Da setzen wir auf Sozialkonferenzen: Das heißt, dass über den Verein Neustart das ganze Umfeld einbezogen wird, damit der Betroffene betreut, aber auch kontrol- liert wird. Es geht darum, sicherzustellen, dass sie kein Sicherheitsrisiko darstellen. Wir sind aber nicht zuständig für die Gefahrenabwehr im Sinne des Sicherheitspolizeigesetzes. Generell ist es so, dass auf EU-Ebene einiges nicht funktioniert, was uns auf den Kopf fällt. Beispiel Rückführabkommen. Das wäre klar EU-Zuständigkeit. Aber jetzt müssen alle Einzelstaaten versuchen, bilateral zu verhandeln. Das ist ein Manko und ein Riesenaufwand. Die Justiz betrifft das insofern, als es Abkommen gibt, dass Strafgefangene in ihre Heimatländer überstellt werden. Aber auch da muss ich sagen: Da hätte die EU bisher mehr tun können.
SN: Aufgrund der massiven Veränderungen der Sicherheitslage werden Gesetze ständig nachgeschärft, neue geschaffen. Was bleibt am Ende vom liberalen Rechtsstaat? Was in den vergangenen Jahren an neuen Regelungen getroffen wurde, war stets von kriminalpolitischen Notwendigkeiten und von einem breiten Konsens getragen. Der liberale Rechtsstaat ist in einer Bewährungsprobe und er wird sich bewähren. Die Welt ist unsicher geworden, im Großen und im Kleinen. Demokratie muss wehrhaft sein, nach innen und nach außen. Wir hatten bis vor zwei Jahren drei, vier Verfahren wegen Terrorismusverdachts. Jetzt sind 68 Leute in Straf- oder U-Haft. Das ist ein neues Risiko, auf das man reagieren muss. Schlimm wäre, würden wir nicht reagieren.
SN: Wird im Herbst gewählt? Diese Frage müssen Sie an die Regierungsspitze richten. Ich für meinen Bereich wünsche mir, dass wir noch länger Zeit haben, um so viel wie möglich umzusetzen.
„Die Welt ist unsicher geworden, im Großen und im Kleinen.“W. Brandstetter, Justizminister