Nicht einig gegen Le Pen
Der Schulterschluss der anderen Parteien gegen die Führerin der Nationalen Front funktioniert diesmal nicht wirklich. Zu viel Stimmenthaltung nutzt der Rechtspopulistin in der Stichwahl.
PARIS. Patrick C. ist pensionierter Bankier, Katholik, konservativ. An den Wochenenden vor der ersten Runde zur Präsidentenwahl ist er jeden Sonntag zum Wochenmarkt in einem Ort am Rande von Paris gegangen und hat Flugblätter für den konservativen Kandidaten François Fillon verteilt. Dass der Ex-Premier wegen des Skandals um die Scheinbeschäftigung seiner Frau als Parlamentsassistentin von vielen als Betrüger abgelehnt wurde, hat ihn nicht gestört. 65 Prozent der Wähler in dem als Hochburg der Rechten geltenden bürgerlichen Vorort der Metropole stimmten für Fillon, sieben Prozent für den sozialliberalen Ex-Wirtschaftsminister Emmanuel Macron – weniger als drei Prozent für die Rechtspopulistin Marine Le Pen von der Nationalen Front (FN). Seitdem ist Patrick C. ratlos.
Wie er am kommenden Sonntag bei der entscheidenden Stichwahl zwischen Macron und Le Pen abstimmen soll, weiß er nicht. Oder vielmehr, wem er seine Stimme nicht geben wird, weiß er schon. „Auf keinen Fall Le Pen“, beteuert er. Und Macron? „Wahrscheinlich auch nicht“, sagt er. Der verspreche vieles, was ihm nicht gefalle, Europa hin, Europa her. Trotz des Appells Fillons, der nach seiner Niederlage für Macron eintrat und noch am vergangenen Wochenende seine Anhänger aufforderte, ihre „Bitterkeit“zu vergessen und zu verhindern, „dass Frankreich vom Extremismus regiert wird“, hat Patrick C. resigniert. Er wird am Sonntag wohl nicht zur Wahl gehen.
So wie er denken manche Wähler, die in der ersten Runde ihre Stimme den dann ausgeschiedenen Kandidaten gegeben haben und sich nun fragen, was sie machen sollen. Wie Fillon haben auch der Sozialist Benoît Hamon und der Linksradikale Jean-Luc Mélenchon („Das aufsässige Frankreich“) ihren Wählern Empfehlungen für die zweite Runde gegeben. Doch diese „Stimmenübertragung“, wie es die Politologen nennen, funktioniert nur begrenzt. Die Stimmen sind schließlich „nicht Eigentum der Kandidaten“. Umfragen der Institute haben immerhin ergeben, dass Macron mit viel mehr „Überläufern“rechnen kann als Le Pen. Je etwa die Hälfte der Wähler Fillons oder Mélenchons sowie 76% der Wähler Hamons wollen Macron ihre Stimme geben. Für Le Pen sprachen sich 25% der Fillon-Wähler, 19% der Mélenchon-Wähler und fünf Prozent der Hamon-Wähler aus.
Für Macron würde dies reichen, um den von zwei Instituten am Dienstag für möglich erklärten Sieg von 60 zu 40 Prozent oder 59 zu 41 Prozent der Stimmen zu erzielen.
Ob diese Prognose vom Wahlausgang bestätigt wird, hängt davon ab, ob die Beteiligung ungefähr so hoch sein wird wie in der ersten Runde und ob die Wähler ihr Verhalten im letzten Moment nicht doch noch ändern. 2002 war der überwiegende Teil der Franzosen über die Teilnahme Jean-Marie Le Pens, des Vaters der heutigen FN-Kandidatin, an der Stichwahl gegen Jacques Chirac entsetzt. Sie folgten den Aufrufen zur Bildung einer „republikanischen Front“gegen den Rechtsextremismus und stimmten – die Sozialisten mit zusammengebissenen Zähnen – für Chirac. Für ein solches aus den übergeordneten Interessen Frankreichs empfundenes Zusammenstehen gab es diesmal weder bei den politischen Parteien noch in der Gesellschaft, wie das Beispiel des Bankiers Patrick C. zeigt, eine Basis. Die Gewöhnung an Le Pen und die Zersplitterung der politischen Lager haben ihre Spuren hinterlassen.
Selbst für manche Intellektuelle ist die Stimme zur Abwehr der Nationalen Front „nicht selbstverständlich“, konstatiert „Le Monde“. Er stimme für Macron, so der Philosoph Alain Finkielkraut, weil er Frankreich nicht Le Pen ausliefern wolle, „aber nicht mit frohem Herzen“.